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Kultur: Die Macht der langen Messer

Es ist schon paradox: Jeder hat zu Hause einen Radioapparat.Aber in den eigenen vier Wänden, wo man mit sich, den Stimmen und Tönen allein sein könnte, verirrt sich kaum noch dorthin, wo das Hörspiel seine Nischenexistenz fristet.

Es ist schon paradox: Jeder hat zu Hause einen Radioapparat.Aber in den eigenen vier Wänden, wo man mit sich, den Stimmen und Tönen allein sein könnte, verirrt sich kaum noch dorthin, wo das Hörspiel seine Nischenexistenz fristet.Wenn aber ein In-Theater wie die Baracke ruft und ein angesagter Nachwuchsautor wie Marius von Mayenburg, der mit seinem "Feuergesicht" derzeit für Furore sorgt, den Stoff liefert, aus dem die Hörwunder sind, strömen die Neugierigen zum gemeinsamen Ohrenschmaus zusammen.

Die Baracke wird zum Hörraum, das Theaterstück zum Hörspiel.Wenigstens auf diese Weise kommt Mayenburgs 1995 verfaßtes "Haarmann"-Stück zur Uraufführung.Auf dem Theater hat es noch nicht geklappt, zu stark war wohl die Konkurrenz der Bilder, die Romuald Karmakars "Totmacher"-Film mit Götz George in der Hauptrolle in den Köpfen hinterlassen hat.So ist es auch jetzt.Während Bernd Stempel sich abmüht und einem mal kindisch greinenden, mal jähzornig schreienden Haarmann seine Stimme leiht, entstehen zwar im Kopf des Hörers Bilder eines möglichen Theaterstücks.Doch die dabei aufflackernden Szenen vermischen sich zunächst immer wieder mit den ins Gehirn eingefrästen filmischen Erinnerungen.

Um sich abzukoppeln vom erdrückenden Widerpart, greift Regisseur Wulf Twiehaus tief in die Grabbelkiste der guten alten und immer wieder erstaunlich frischen Radiokunst.Weil der Hörraum rundum mit Lautsprechern bestückt ist, umzingeln hallende Schritte von klobigem Schuhwerk die Hörer.Wenn Haarmann beschreibt, wie er seine Opfer erst totgebissen und dann zerstückelt und in der Leine entsorgt hat, kommt seine ruhige, fast kontemplative Stimme von hinten.Wenn Haarmann dem sich entsetzt von einem Detail zum nächsten durchfragenden Richter (Udo Kroschwald) antwortet oder er sich mit Lebensgefährte Hans Grans (Ronald Kukulies) streitet, der vor Gericht mit Leugnen und Lügen seine eigene Haut retten will, ertönen die Stimmen von vorn.Von irgendwo her wird aus ärztlichen Gutachten zitiert oder wehen Fetzen des operettenhaften Schlagers und seiner volksmundartigen Verballhornung.Warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt Haarmann mit dem Hackebeilchen auch zu Dir.

Zunehmend fühlt sich der Hörer im Zentrum des Unheils.Er denkt die Collage aus Stimmen und Tönen weiter, er erfindet eigene Bilder und schreibt in Gedanken an Mayenburgs Text weiter.Langsam schwant ihm, daß dieses Stück aus der Welt der menschlichen Monster im Hörraum seine wahre Uraufführung erlebt haben und auf der Bühne zerbröseln könnte.

Alles Blut, das im "Haarmann"-Hörspiel nur in der Phantasie fließt, spritzt in Jan Bosses Inszenierung von Mayenburgs "Psychopathen" gleich literweise.Wichtigste Mitarbeiterin Bosses, der mit seiner Arbeit bei den letztjährigen Wiener Festwochen den ersten Preis beim Regiewettbewerb gewann und Mayenburgs "Feuergesicht" in München zur Uraufführung brachte, ist denn auch die "Blutspezialistin" (so der Progammzettel) Christine Rebet.Die drei Darsteller Ursula Doll, Victor Calero und Martin Engler wären ohne ihren Rat wohl kaum in der Lage gewesen, ihrer Blutorgie auf der Bühne freien Lauf zu lassen.

Die drei psychopathischen Selbstverstümmler und Messerfetischisten spielen mit der Szenerie von Hitchcocks Thriller "Psycho".Vor allem die legendäre Duschszene wird vielfach variiert.Die Filmsequenzen, auf eine Plexiglaswand projiziert, werden von einem verrückten Friseur, der in seiner Gummischürze eher wie ein Schlachtermeister daherkommt, lüstern seziert und fachgerecht kommentiert.Ein anderer arbeitet seine schizoiden Zustände wie weiland Norman Bates an seiner toten Mutter ab, die im Nebenzimmer langsam vermodert.Natürlich gibt es auch die schöne Blonde.Doch während sie im Film vom Messer wie von einer Naturkatastrophe ereilt wird, sehnt sie sich in Mayenburgs Szenen-Collage nach ihrem eigenen Tod.Deshalb kommt ihr das slapstickartig à la Castorf von einer Blutlache in die nächste rutschende Muttersöhnchen gerade recht.Damit er sie nicht wieder wegschickt aus seiner Mördergrube, nagelt sie ihre Füße mit entschlossenen Hammerschlägen auf dem Boden fest.Der ist weiß, gut gefliest und lädt zum Blutvergießen ebenso ein wie die Scheiben der Dusch-Gummizellen.Daß zum großen Finale des absurden, manchmal unfreiwillig komischen Mörderspiels der rote Lebenssaft der traurigen Blonden gegen die Scheiben spritzen wird, ahnen wir längst, bevor das schizoide Männer-Doppelpack seine blutige Arbeit am wehrlosen Frauenkörper verrichtet.Warum uns diese, Wahn und Gewalt vervielfachende Hitchcock-Wiederaufbereitung interessieren sollte, wissen wir dann aber immer noch nicht.

"Haarmann", am 10.2., 20.00 Uhr, in der Baracke; "Psychopathen", heute um 16.00 und 20.00 Uhr in den Sophiensälen

FRANK DIETSCHREIT

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