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Kultur: Die Macht des Hammerschlags

Der Selbsterfinder: Thomas Ruff zeigt in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts seine Serie „Maschinen“

Es ist bereits die vierte Ausstellung von Thomas Ruff in der Galerie Comtemporary Fine Arts – und noch jedesmal überraschte der Düsseldorfer Becher-Schüler mit einem neuen fotografischen Genre. Der stete Wechsel in Ruffs Arbeit hat Methode. In den frühen Achtzigern begann er mit einer Serie überdimensionaler Porträts im Passbildstil, danach kamen Architekturaufnahmen, polizeiliche Kompositbilder („Phantombilder“), mit Restlichtverstärker aufgenommene Nachtaufnahmen, Agit-Prop-Collagen, Stereoskop- und Sternenfotografien, abfotografierte Zeitungsbilder und – der letzte große Erfolg – bearbeitete Pornobilder, deren Vorlagen aus dem Internet kamen. Vor zwei Jahren begann Ruff die Serie „Substrate“, bunt-abstrakte Abzüge, denen Manga-Comics ebenfalls aus dem Internet zugrunde liegen. Acht dieser an den abstrakten Expressionismus erinnernden Bilder zeigt Contemporary Fine Arts jetzt zusammen mit Ruffs neuester Serie „Maschinen“.

Ausgangspunkt dieser Werkgruppe sind großformatige Glasplattennegative aus den dreißiger Jahren. Ruff fand sie im Nachlass einer Werkzeugmaschinenfabrik, die die Marke „May“ produzierte. Die Bestände der in Konkurs gegangenen Firma, die ihren Sitz ganz in der Nähe seines Düsseldorfer Ateliers hatte, standen zum Verkauf. Darunter auch Negative, die einst als Vorlage für die Musterkataloge des Betriebs gedacht waren.

„May“-Produkte waren Bohrköpfe und Bohrmaschinen. Die diversen Bohrgestänge und Fräsen wurden im Hinblick auf ihre Verwendung im Katalog fotografiert. Um sie dort grafisch besser freistellen zu können, verhüllte man beim Fotografieren die störenden Hintergrunde in der Fabrik mit weißen Tüchern. Manchmal bearbeitete der Fotograf aber auch direkt die Negativplatten: Alles Störende wurde mit weißer Farbe abgedeckt, Glanzlichter konnten gezielt gesetzt werden und Oberflächen geglättet. Ruff hat diese schwarz-weißen Vorlagen eingescannt und am Computer weiter bearbeitet. Die Maschinen präsentieren sich nun auf den großformatigen C-Prints in so genannten Hammerschlagfarben. Es sind genau jene dumpfen Farbtöne, mit denen die metallenen Maschinenteile des Industriezeitalters einst angestrichen waren (Preise zwischen 22 000 und 30 000 Euro).

Einen größeren Gegensatz zu den knallig-bunten und amorphen „Substrat“-Bildern kann man sich kaum vorstellen: Auf der einen Seite der fotografische Blick in die konkrete Vergangenheit mit ihrem synästhetischen Gepräge, wo Maschinen noch bohren, hämmern, stinken und lärmen konnten. Auf der anderen Seite der Blick in eine nebulöse Farbwelt, die trotz ihrer Präsenz auf dem Fotopapier keinerlei Anhaltspunkte dafür liefert, woher die Motive stammen. Dass sich diese „Substrate“ tatsächlich nicht einer Fotokamera verdanken, sondern auf die im Internet zirkulierenden Manga-Zeichnungen zurückgehen, kann man Ruff nur glauben – anzusehen ist es den Bildern nicht mehr. Die Zeichnungen seien im Bildbearbeitungsprogramm des Computers in mehreren durchsichtigen Schichten übereinander gelegt und multipliziert worden, bis ein „semantisch leeres“ Bild entstand. In dieser additiven Schichtung scheinen dann auch die extrem leuchtenden Farben zu entstehen, die Ruffs Bilder in einen psychedelischen Farbrausch verwandelten (Preise zwischen 26 000 und 45 000 Euro).

Man kann sich fragen, was diese Bilder überhaupt noch mit Fotografie zu tun haben. Denn vom „Foto-Grafischen“, des mit Licht Geschriebenen, bleibt nur die Ausbelichtung der digitalen Datei per Laser auf Fotopapier. Wie in seinen bisherigen Serien auch beschäftigt sich Ruff mit der Frage nach dem Realitätsbezug der Fotografie – oder besser: unserem Realitätsbezug mittels Fotografie. Denn über lange Zeit galt die Fotografie als Garant für eine objektive Wirklichkeitsschilderung. Erst jetzt aber scheinen durch die schier unendlichen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung die alten, schon bisher geübten Fotomanipulationen bewusst zu werden. Ruffs Bilder sind daher Fotografien über Fotografie. Immer geht es darum zu zeigen, was Fotografie kann oder nicht kann, welche Einschränkungen und Möglichkeiten in der Produktion und Wahrnehmung von Fotografien es gibt. Das gilt für den an der Oberfläche bleibenden Blick auf das Porträt, welches das Innere des Menschen im Verborgenen belässt ebenso wie für die Maschinenbilder, die das Industrieprodukt aus allen Zusammenhängen herauslösten, um es so attraktiv wie möglich zu präsentieren. Dass einem beim Anblick der jüngsten Ruff-Serie eher die geheimnisvolle Metaphysik der Maschinen bei einem Maler wie Konrad Klapheck in den Sinn kommt, zeigt nur, wie viel die Fotografie inzwischen von ihrem realistischen Nimbus eingebüßt hat und wie sehr ihr Bild das Siegel auf das Unsichtbare hinter den Erscheinungen geworden ist.

Contemporary Fine Arts, Sophienstraße 21, bis 6. März; Dienstag bis Freitag 10 – 18, Sonnabend 11 – 18 Uhr.

Ronald Berg

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