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Kultur: Die Männer sind anders Brochs „Barbara“ –

und Petzolds Film.

In Interviews hat Christian Petzold berichtet, dass sich die Inspiration zu seinem Film „Barbara“ der Lektüre von Hermann Brochs gleichnamiger Novelle aus dem Jahr 1936 verdankt. Der Hinweis ist bisher kaum beachtet worden. Petzold war von der jungen, eigenwilligen Kinderärztin fasziniert, die ihren Beruf mit Kompetenz und Empathie ausübt und zugleich als radikale Linke am Umsturz einer Gesellschaft arbeitet, deren soziale Ungerechtigkeiten sie nicht erträgt. Brochs Novelle, zuletzt als Insel-Taschenbuch aufgelegt, ist in Österreich kurz nach dem Ersten Weltkrieg angesiedelt, wo die Protagonistin in einem Landeskrankenhaus arbeitet. Der Film spielt in der DDR der frühen 80er Jahre, in einem kleinen Hospital an der Ostsee. Nina Hoss, auch von Broch her gesehen die ideale Besetzung für die Rolle der Barbara, gerät mit ihren rebellischen Zielen in Konflikt, als sie eine Liebesbeziehung zu ihrem Vorgesetzten eingeht.

Damit enden allerdings die Gemeinsamkeiten – außer dass beide Ärzte unpolitisch sind. Zwischen Brochs postkakanischem Kavalier, der den ganzen Kosmos zum Zeugen seiner erotischen Ergriffenheit aufruft, und dem scheuen DDR-Softie André liegen Welten. Brochs Held muss auch nicht mit einem Düsseldorfer Jungunternehmer konkurrieren, der mit seinem Mercedes aufkreuzt. Wenn er und Barbara sich heimlich im Wald treffen, reißen sie sich die Kleider vom Leibe und stürzen sich in den Liebesakt, als ginge es um Akkordarbeit. Brochs erfahrener Liebespartner erreicht schon bald die ersehnte körperliche Vereinigung. Das passt nicht zu André, der, ganz Verständnis und Hilfsbereitschaft, zwar einen Kuss von Barbara als Versprechen erhalten hat, aber am Schluss noch immer nicht sicher ist, ob er mit seinem Minnedienst ans Ziel gelangt.

Die Vorstellungen von Männlichkeit in Film und Novelle klaffen weit auseinander und berühren sich nur darin, dass beide Liebhaber wenig von der Geliebten verstehen. Brochs Arzt begreift weder, mit welcher Leidenschaft Barbara Ärztin ist, noch mit welchem Ernst sie ihre terroristischen Aktionen betreibt. Und als er erfährt, dass Barbara von ihm schwanger ist, denkt er nur noch in den Kategorien der künftigen Kleinfamilie, ohne zu merken, dass er damit die Beziehung zerstört und sie in den Selbstmord treibt.

Bei Christian Petzold wiederum verspricht der reiche Mercedesfahrer, Barbara nach gelungener Flucht zu heiraten. Sie brauche dann nicht mehr zu arbeiten. Das Angebot bedeutet das Ende ihrer Beziehung. Auch Petzolds Barbara lebt gefährlich, wenngleich das tragische Ende ausbleibt. Sie gibt den eigenen Plan zur „Republikflucht“ auf und hilft stattdessen einer jungen Patientin, in den Westen zu entkommen.

Als Experten für unterschiedliche Gefühlslagen bei Männern und Frauen erzählen Broch und Petzold in ihren Meisterwerken von der Liebe in widrigen Zeiten: von ihrem Tod in der Novelle, von ihrem Überleben im Film. Es ist faszinierend, sich beides in einem Land zu vergegenwärtigen, dem die politische Dimension privater Entscheidungen fremd geworden ist. Paul Michael Lützeler

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