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Sein Roman "Weep not Child", der den Schrecken des Mau-Mau Krieges behandelt, machte ihn 1964 schlagartig bekannt.

© dpa

Die Memoiren des Kenianers Ngugi wa Thiong’o: Eine Bildungsgeschichte voller Narben

Er gilt als einer der Gründerväter der afrikanischen Literatur und seit Jahren als Nobelpreisverdächtiger. Mit "Die Geburt eines Traumwebers" setzt Ngugi wa Thiong’o seine Erinnerungen fort.

Seit Jahren steht er ganz oben auf der Liste der Nobelpreisverdächtigen. Doch auch im vergangenen Herbst hat es nicht geklappt. Dabei spielt der 1938 in einem Dorf bei Limuru geborene Kenianer Ngugi wa Thiong’o in der Genealogie afrikanischer Autoren eine bedeutende Rolle. Er gehörte zu den Ersten, der seine Herkunftssprache, Gikuyu, in die Literatur einführte – erstmals in seinem während seiner Gefangenschaft auf Toilettenpapier entstandenen Roman „Devil on the cross“ (Der gekreuzigte Teufel). Literatur, die von einem afrikanischen Autor in einer kolonialen Sprache verfasst werde, behauptete der auch als Kulturwissenschaftler einflussreiche wa Thiong’o, sei keine afrikanische, sondern afro-europäische Literatur. Bis er diese Einsicht umsetzte, hatte er bereits fünf Bücher, Romane und Erzählungen, dazu mehrere Theaterstücke auf Englisch veröffentlicht.

Von seinem bewegten Leben berichtet Ngugi wa Thiong’o seit nunmehr sechs Jahren in einer Folge von überaus lesenswerten Büchern, weil in ihnen der politische Hintergrund nicht nur als Folie aufscheint, sondern gleichberechtigt verzahnt wird mit den biografischen Ereignissen. In „Träume in Zeiten des Krieges“ (2010) erzählt er von seiner Kindheit in dem kleinen Dorf seiner Familie und dem Besuch der Missionsschule, wo er zu einem überzeugten Christen erzogen wird. Seine Jugendjahre in der Alliance High School in Kikuyu fallen in die Zeit des Ausnahmezustands, während der die sogenannte Mau-Mau-Bewegung, der sich auch der ältere Bruder angeschlossen hat, für die Unabhängigkeit des Landes kämpft. „Im Haus des Hüters“ lernt James, wie Ngugi damals noch heißt, Europa als unbedingten Bezugspunkt kennen: „Unsere Zukunft wurde in England gemacht.“

Er studiert am prestigeträchtigen Makerere College

Nun liegt der dritte Band der Biografie vor, der die für wa Thiong’o entscheidenden Jahre zwischen 1959 und 1964 umfasst. Am berühmten Makerere College im ugandischen Kampala wird nicht nur ein Schriftsteller, ein „Traumweber“, geboren, sondern in dieser Phase geht seine Heimat Kenia auch ihrer Unabhängigkeit entgegen. „Ich schrieb mich“, heißt es in „Die Geburt eines Traumwebers“, als „kolonialer Untertan 1959 am Makerere ein und ging 1964 als Bürger des unabhängigen Kenia ab“.

Dramatisch geschickt setzt die biografische Erzählung ein mit einem Schockerlebnis, das den jungen Dramatiker tief beeindruckte. Sein an der Hochschule siegreiches Theaterstück „The Wound of he Heart“ wird nicht für das Theaterfestival in Kampala zugelassen – mit der Begründung, dass ein britischer Beamter anders als im Stück suggeriert, nicht fähig sei, eine Frau zu vergewaltigen. Ein Schlüsselerlebnis: Die Kunst der Politik habe die Kunst ausgestochen, schreibt er: Was nicht sein kann in den Augen der Weißen, darf auch auf dem Theater nicht gezeigt werden.

Der aufstrebende Autor erlebt nicht nur Kampala, wo Schwarze das Stadtbild dominieren, sondern auch das College als etwas Besonderes. Als Ort der Auserwählten, obwohl auch hier der europäische Bildungskanon bestimmend bleibt und die Hierarchien des kolonialen Regimes in den Wohnheimen imitiert werden. Im Makerere geht es darum, die künftige Führungsschicht Afrikas so auszubilden, dass sie für die abdankenden Machthaber kompatibel blieb.

Später wird er Kritiker der Négritude und der postkolonialen Regierung

Für wa Thiong’o hält das College, das „Paradies“, indessen eine aufregende Bildungsreise bereit. Während er verfolgt, wie ein Land nach dem anderen nach der Unabhängigkeit greift und schwarze Staatsmänner wie Idi Amin oder Jomo Kenyatta aufsteigen, beginnt er zu schreiben, zuerst Theaterstücke, dann den ersten Roman, immer gefangen im typisch westlichen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung . Doch er macht auch Erfahrungen mit seinem persönlichen Schwarzsein, die in ihm den Wunsch reifen lassen, dem Dualismus von Schwarz und Weiß zu entkommen. Erste kulturwissenschaftliche Ansätze werden deutlich. Er liest etwa den „Schwarzen Orpheus“, eine Sammlung afrikanischer Erzählungen, und entwickelt zusammen mit anderen Mitstreitern eine Kritik der Négritude: Wie der Tiger seine „Tigritude“ nicht herausbrüllen muss, muss auch das Schwarzsein nicht betont werden, um es aktiv ins Spiel zu bringen.

Durch den Kontakt mit Schriftstellern wie Wole Soyinka oder Chinua Achebe rutscht Ngugi in die einflussreichen literarischen Zirkel der afrikanischen Literatur, nimmt an Konferenzen teil, mischt sich in Debatten ein. Am Ende des Studiums, als er sich bereits als Journalist versucht, schafft es ein Stück sogar auf die Nationalbühne Kampalas. Bei allen Redundanzen und der Neigung des Autors, seine Leserschaft mit Namen zu überhäufen, erzählt die „Geburt eines Traumwebers“ eine Bildungsgeschichte, in der die Narben, die die „koloniale Situation“ hinterlassen hat, nicht verhehlt werden. „Das Paradies barg die Hölle in sich“, resümiert er. Wa Thiong’o wird erleben, dass auch die schwarzen Machthaber keine Gnade kennen mit dem kompromisslosen Kritiker des postkolonialen Regimes.

Ngugi wa Thiong’o: Die Geburt eines Traumwebers. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. A1 Verlag, München 2016. 249 Seiten, 19, 90 €.

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