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Kultur: Die Mini-Revolution

Friedrich kaufte ihn, dann fuhr ihn Katharina, später Karin und zuletzt Britta. Jetzt rostet er auf Michis Friedhof. Von Leben und Tod eines Kultautos

Von Thomas Loy

Als erste hat ihn Claudia S. aus 6601 Saarbrücken-Schafbrücke besessen. 6601, weil noch die alten vierstelligen Postleitzahlen galten. Im Auftrag des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Saarbrücken stempelte am 11. Mai 1990 einer seiner Bediensteten den Fahrzeugbrief: „Das Fahrzeug ist heute mit dem amtlichen Kennzeichen SB-D 530 zum Verkehr zugelassen worden für Claudia S., geb. H.“

120 000 Kilometer später. Michael „Michi“ Millhahn, ein Hühne von der Gestalt eines Gerard Depardieu, blickt auf den Mini-Friedhof vor seiner Werkstatt. „Das ist Brittas.“ Er zeigt auf eine kleine, anthrazitbfarbene Blechleiche mit kaputten Rädchen, zerkratzten Türchen und einem zerschmetterten Windschutzscheibchen. Das rechte Auge ist tot, das Dach zerbeult. Er schüttelt seinen großen Kopf und schaut gutmütig wie ein Bär, die Hände in den weiten Taschen des Overalls versenkt. Michi, der Mini-Doktor, wird ihn nicht mehr richten können. Er wird ihn ausschlachten, den Mini von Claudia S. und Britta und all den anderen, die ihn in den zwölf Jahren besessen oder gefahren haben. „Den Motor kann man noch gebrauchen – ein Autobahnmotor, der schnurrt richtig –, die Inneneinrichtung, eine Tür, die Kofferklappe.“ Der Rest? Gummi zu Gummi, Blech zu Blech.

Arbeiter hissen den Union Jack

Es war kein besonderes Auto, nicht mal einen Kosenamen hatte ihm einer der Besitzer gegeben. Immerhin war es ein Mini von Rover, einer der 5 387 862 legendären Minis aus England. „Das witzigste und einflussreichste Kleinauto der Geschichte“, schrieb „Auto-Bild“ am 4. Oktober 2000 zum Abschied, als der letzte Mini vom Band des Rover-Werkes Longbridge lief. Er war rot lackiert und verstaubt jetzt wahrscheinlich in irgendeinem Museum. Der Bild-Reporter hatte Sinn für den bewegenden, ja historischen Moment: „Links und rechts stehen Angestellte Spalier. Arbeiter haben den Union Jack gehisst. Trauer liegt in der Luft.“

Jetzt baut BMW den New Mini, aber niemand aus der verschworenen Fangemeinde denkt im entferntesten daran, sich den neuen zu kaufen. „Das ist ganz was anderes“, sagt Michi sehr ernst. Er ist einen der New Minis Probe gefahren, und es war, ja es war, als ob er in einem ganz normalen Auto sitzen würde. Das war das schlimmste, was man aus dem Mini machen konnte: Ein normales Auto. BMW hat den alten Mini auf dem Gewissen. Das sagt man zwar nicht, aber man fühlt es. Zehn bis 15 Jahre lang wird er die Autos der Mini-Familie noch aus vorhandenen Beständen zusammensetzen können. Dann, sagt Michi, wird es wohl schwierig mit den Ersatzteilen werden.

„Britta Müller, geb. 22.05.73, Wohnort: Berlin.“ Das ist der letzte Eintrag im Fahrzeugbrief, am 17. September 1998 vom Landeseinwohneramt vorgenommen. Damals studierte Britta Bekleidungstechnik in Berlin. Inzwischen wohnt sie in Würzburg und arbeitet als Dessous-Designerin in der Miederfabrik „Ulla“, spezialisiert auf Bademoden und Übergrößen. Außerdem ist sie Vorsitzende der „Miniscene Unterfranken“. „Mein lieber Mini“, sagt sie, wenn sie an den Wagen zurückdenkt, der auf Michis Schrottplatz steht. „Der war noch ein Vergaser.“ Ihr neuer ist leider ein Einspritzer, hat sogar Wegfahrsperre und geregelten Katalysator. Britta mag diese technischen Neuerungen nicht. Sie dämpfen die Geräuschkulisse, erhöhen die Distanz des Fahrers zum Fahrzeug und stören das unmittelbare Erleben der Straße. Das ist Mini-Fahrern sehr wichtig. Die Bezeichnung dafür ist „Mini-Feeling“ oder auch „Gokart-Effekt“.

Britta lädt zu einer Probefahrt über Land ein. Die hügelige Umgebung von Würzburg, verbunden mit engen Dorfstraßen ist für die Erzeugung des „Mini-Feelings“ sehr geeignet. Mit Verzückung und 100 Kilometern pro Stunde lenkt Britta ihren Mini über ein kurviges Asphaltband mit reichlich Bodenwellen. Schwiegermütter würden kreischen, Britta erzählt dabei – ein wenig euphorisiert – von ihrem letzten Unfall. Nichts Schlimmes, nur ein vom Lkw-Reifen emporgeschleuderter Begrenzungspfahl.

Der alte Mini war ihr erstes Auto. Gesehen hatte sie ihn vorm Kino Colosseum in Prenzlauer Berg. Dort stand er an der Straße mit einer Nachricht an der Scheibe: Zu verkaufen. 4000 Mark sollte er kosten, auf 3300 konnte sie herunterhandeln. Das Auto fuhr fortan mit ihr durch Berlin und nach Zeulenroda in Thüringen, zu einer Textilfirma, in der sie ein Praktikum machte. Was sie zusammen erlebt haben? Britta muss überlegen. Nach einer Feier in Westend saßen sie einmal zu sechst in dem winzigen Auto. Dann war da noch ein kleiner Dreher bei geschlossener Schneedecke in Thüringen. Und viele Autobahnflirts. Leute, die gewinkt oder gehupt haben, weil ein Mini eben süß ist und ein Mini mit einer lachenden, rothaarigen Frau am Steuer womöglich noch viel süßer. „Da überholt man sich dann vier oder fünfmal“, sagt Britta.

Wurzelholzschaltknopf

Dass ihr Mini nicht mehr fahrtüchtig ist, hat mit Brittas ehemaligen Freund zu tun. Der bremste eines frostigen Abends im März 2001 auf dem Adlergestell in Treptow, der Mini brach aus der Spur, schlidderte gegen die Bordsteinkante, stürzte um und aus war’s. Britta ist ihrem Ex-Freund nicht böse. Hätte ihr auch passieren können. Zur Erinnerung hat sie die Original-Nummernschilder und den lackierten Wurzelholzschaltknopf mitgenommen. Der Schaltknopf brachte ein wenig Edelkarossenluxus in die Mini-Fahrgastzelle. Er ziert jetzt Brittas neuen Mini. Die alten Nummernschilder liegen im Keller.

Vor Britta steht Peter M. im Fahrzeugbrief. Stimmt, sagt er am Telefon, aber gefahren habe ihn seine Frau, von der er inzwischen getrennt lebe. Karin M. hat diese Trennung noch nicht verwunden. Deshalb möchte sie auch nicht über den Mini reden. Der Abschied vom Auto sei zu eng mit der Trennung von ihrem Mann verbunden. Den Mini habe sie „sehr geliebt“.

Peter M. kaufte das Auto von Hans-Peter F. Der ist nicht zu erreichen. Für seine Sekretärin soll er das Auto gekauft haben, sagen die einen. Andere behaupten, für seine Freundin. Hans-Peter F. habe sich inzwischen nach Spanien abgesetzt, heißt es. Den Mini ließ er in Berlin zurück.

Dass ihr Name vor Hans-Peter F. im Fahrzeugbrief erscheint, wundert Katharina Klecok. Das ganze Formelle hatte doch ihr Mann geregelt, mit dem sie seit längerem nicht mehr zusammen ist. Herr Klecok führt die Geschäfte bei Volvo Lochner in Steglitz. Dort auf dem Firmenhof hatte sie im Frühjahr 1995 den Mini gesehen, und spontan ausgerufen: „Uh – den würde ich gerne mal fahren.“

Frau Klecok – lange braune Haare, Jeans, weißer Pullover – sitzt am Esstisch in ihrer neuen Wohnung in Zehlendorf, und erzählt ihre Mini-Zeit: Shopping-Fahrten mit einer Freundin, Ausgeh-Fahrten mit ihrem Mann, Zurarbeit-Fahrten bei laufendem Radio. „Absolut Spaß“, hat es gemacht, witzig war es, ein Fun-Auto. Sie kann gar nicht genau sagen, warum es absolut Spaß gemacht hat. Schon das Aufschließen war ihr etwas Besonderes. Und dann das Rütteln an der Tür, wenn sie im Winter vereist war – da schwankte das ganze Auto. Es war eine schöne Zeit, aber kein Grund, deswegen in Melancholie zu verfallen.

Schließlich blieb das Auto eine Episode in ihrem Leben, wie viele Autos davor und danach. Nicht mal ein Foto hat sie gemacht. 1996 wurde sie schwanger und das Spaßauto fiel der nüchternen Familienplanung zum Opfer. Sie bekam einen signalroten VW-Polo, aber der blieb noch kürzer bei ihr, weil der Kinderwagen nicht reinpasste. Dann kamen die Volvos, die unverwüstlichen Großraumkutschen mit der breiten Knautschzone. Darin fährt sie jeden Morgen ihren Sohn Kilian zur Vorschule. Er feiert bald seinen sechsten Geburtstag und kann sich gar nicht vorstellen, wie das war, als seine Mutter mit 29 Jahren in einem winzigen Kultauto herumfuhr.

Die meisten Minis hatten ein relativ kurzes Leben – sie wurden nicht älter als Katzen oder Hunde. Dem Modell Mini erging es so wie der DDR: Man feierte seinen 40. Geburtstag und ahnte nicht, dass es ein Jahr später abgewickelt würde. Zu Recht, sagen die, die an den Fortschritt glauben. „Im Mini steckt noch die Technik der 60er Jahre. Man kann sich darauf verlassen, er geht immer kaputt“, meint Mini-Schrauber Michi Millhahn. Und wenn er mal nicht kaputt ist, rostet er dennoch munter weiter. In der ADAC-Motorwelt hieß es schon 1993: „Längst ist der Mini Legende, auch weil er gleich dreimal die Rallye Monte Carlo gewann. Dass er in die Jahre gekommen ist, darf man voraussetzen. Und auch, dass die Briten niemals irgendetwas Sinnvolles unternommen haben, um den Mini an moderne Zeiten anzupassen.“ So sind sie, die Briten. Pflegen ihre Traditionen, bis der Kolbenfresser sie auslöscht.

Mitte der 50er Jahre geschah auf der Insel jedoch etwas Außergewöhnliches, etwas geradezu Revolutionäres. Die British Motor Company beauftragte den Entwickler Alec Issigonis, einen Kleinwagen zu konstruieren. England befand sich in einer Wirtschaftskrise und es fehlte ein Auto, das der Durchschnittsbrite bezahlen konnte. Es fehlte ein Volkswagen, ein britischer Käfer. Issigonis, dessen Mutter aus Deutschland stammte, entwarf eine erste Skizze des Mini auf einer Serviette. Wie man das eben so macht, wenn eine große Vision ihren Ausdruck sucht. Im August 1959 war aus der Serviettenskizze ein Auto geworden: Der erste Mini ging an den Start, drei Meter kurz, der Motor vorne eingebaut, und zwar quer - das sparte Platz und macht sogar einen Kofferraum möglich – die Räder einzeln aufgehängt, die Stoßdämpfer aus Gummi. Schlappe 500 Pfund sollte das Schrumpfauto kosten.

So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen. Denn im Gegensatz zum Käfer hatte der Mini Vorderradantrieb. Das war die wahre technische Revolution, die Volkswagen mit dem Golf schließlich kopierte: Motor vorne, Antrieb vorne. Durch Issigonis’ Geniestreich lag der Mini so sicher in der Kurve, dass bald auch Sportvarianten angeboten werden konnten: Der Mini Cooper mit stolzen 55 PS kam auf den Markt, benannt nach seinem Ideengeber John Cooper. Mit dem Cooper und seinen Rallye-Erfolgen wurde aus dem Kleinwagen für die Unterprivilegierten ein Kultauto für die Schickeria. Die Liste der Mini-Besitzer liest sich eindrucksvoll: Peter Sellers, John Lennon, Enzo Ferrari, Nicki Lauda, Steve McQueen, Paul Newman, Charles Aznavour und Brigitte Bardot. Heute darf ein „Austin Mini“ in keiner britischen Oldtimersammlung fehlen.

„Ich fahre nicht aus Vergnügen“

Und der New Mini von BMW? Fährt sich super. Liegt auf der Straße wie angegossen. Spurt und zieht, ohne zu zicken. Und dann der Tachometer! Ein Fetisch der Geschwindigkeit, kreisrund wie ein Bullauge, in zentraler Position, damit jeder Mitfahrer den magischen Zeiger mit eigenen Augen verfolgen kann. Doch alles Zuraten und Anpreisen hilft nichts. Britta lehnt jede Kontaktaufnahme ab. Kein Interesse. Viel zu klobig, viel zu neu. Eine teures Plagiat ohne jede Chance, Kult zu werden. Gäbe es den Classic Mini nicht, könnte sich Britta mit dem New Mini vielleicht anfreunden, aber so … Kann man den New Mini lieben?, fragte sich der „Stern“ vor kurzem. Das Testurteil fiel deutlich aus: Der New Mini ist wie „Sex mit Kondom“.

Ist der Classic Mini also Sex pur? „Eine Blechkiste, um von A nach B zu kommen.“ Friedrich Wilhelm Chris Roes – so steht er im Fahrzeugbrief – kann sehr uncharmant sein, zumindest zu Autos. „Ich fahre nicht aus Vergnügen.“ Dabei hat er den Mini am längsten von allen gehabt, fast fünf Jahre lang. Und er hat ihn als Neuwagen gekauft und war somit der erste Mensch, mit dem der Mini eine längere Beziehung einging. 1990 war das. Roes studierte Veterinärmedizin in Berlin und machte sein Schlachthof-Praktikum zu Hause in Saarbrücken.

Saarbrücken! Unsere Geschichte rundet sich langsam. Roes ist der Neffe von Claudia S. Sie stand im Fahrzeugbrief, damit er ihren günstigen Schadensfreiheitsrabatt nutzen konnte. Später schrieb Roes das Auto auf seinen Namen um.

Der Mini, Brittas Mini, der jetzt Michis Mini ist, war Roes’ zweiter Mini. Viele prägende Erfahrungen machte er schon mit seinem ersten. Das Aufsetzen der Tür an der Bordsteinkante, das Abreißen des Nummernschilds beim Hinauffahren auf die Bordsteinkante, die Beulen am Kühler, weil die Stoßstange zu niedrig hing, der zerschlagene Rücken nach der langen Autobahnfahrt von Berlin nach Saarbrücken. Für Roes waren die Minis eine konsequente Antwort auf die Schwächen der BVG. Eigentlich hatte er in Berlin ohne Auto auskommen wollen, eigentlich war er überhaupt ein Auto-Skeptiker, weil es „etliche Verkehrstote in der Familie“ gab. Aber dann, nach zwei Jahren, passierte diese denkwürdige Prügelei am Loretta-Biergarten. Dabei ging es um einen der raren Sitzplätze im BVG-Nachtbus, der ein Kleinbus war. Roes zog freiwillig den Kürzeren, nahm ein Taxi nach Hause und entschloss sich, ein Auto zu kaufen, einen Mini, weil er nur 12 000 Mark kostete und – nun gesteht er doch ein Quentchen Rührung zu – „weil er einfach schnuffig war“.

Heute fährt Roes einen alten Volvo, „den Panzer“. Er hat einen festen Job als Tierarzt, eine Frau, zwei Kinder, eine Doppelhaushälfte in Groß-Kienitz südlich von Berlin. Da ist für den Mini kein Platz mehr. Aber es gibt ihn noch als Spielzeugauto, orange mit schwarzem Dach. Den hat Roes noch aus seiner Kindheit, und weil er schon damals ein Vernunftfahrer war, ist fast nichts kaputtgegangen. Sohn Tobias darf nur unter Aufsicht mit dem Mini-Mini spielen. Sonst steht er so hoch im Regal, dass nur Papa rankommt. An was er sich sonst noch erinnert? Klar, dieses Luxusteil. Der Wurzelholzschaltknopf, der Britta beim Schalten in ihrem neuen Mini jedesmal an ihren alten Mini erinnert, war ein Geburtstagsgeschenk von seiner Frau. Er soll sich sehr darüber gefreut haben.

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