zum Hauptinhalt

Kultur: Die mit dem Mikro spielt

CHANSON

Kennen Sie dieses Gefühl? Wenn man so spät nach Hause gekommen ist, dass es schon wieder ziemlich früh war. Man hatte getrunken, ein bisschen geraucht und sich prächtig unterhalten. Und jetzt möchte man schlafen. Geht aber nicht. Man ist zu müde, um ins Bett zu gehen. Dahindämmernd hört man die Musik einer Gleichgesinnten: Georgette Dee, die ihre chronische Insomnia behaucht. Sie hat sich auf einem Leopardenfellsessel niedergelassen. Ein Blick nach links, der Griff zur Zigarette, sie bittet um einen Drink. Man ist wie hypnotisiert von diesen kleinen Gesten, der strengen und verführerischen Stimme. Sie benestelt das Mikro, Jürgen Attig zupft am Kontrabass. Nicht Terry Truck, Dees langjähriger Partner am Piano, begleitet das neue Programm in der Bar jeder Vernunft (bis 30. Juli), sondern dieser schlafwandlerisch sichere Bassist, der den Abend mit geschlossenen Augen bestreitet.

„Ich bin zu müde, um schlafen zu gehen“, der alte Titel von Hildegard Knef, ist das Motto und der großartige Eröffnungssong. Die Dee ist in einen orange-gelben Sari gewickelt, den sie mehrmals verlieren wird, „weil meine Nippel dauernd an die Luft wollen“. Doch es bleibt bei Anspielungen, deren Kunst die Sängerin wie keine andere beherrscht. Ihre Interpretationen (darunter Stücke von Waits, Enzensberger, Simon&Garfunkel) deuten sich an, brechen ab, drängen sich nie auf, entwickeln ein Eigenleben im Ohr des Zuhörers. Dazwischen erzählt die Dee kleine wahre Traumgeschichten, spricht witzige Gedichte über Seelenwanderungen.

Zugegeben: Es ist erst halb neun. Doch in der vor Hitze flimmernden Bar jeder Vernunft dämmert es golden am blauen Himmel, als Dee mit Rio Reisers „Für immer und Dich“ zu Bett bittet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false