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Kultur: Die Mobilmacher

Neues Lagerkino: „Road to Guantanamo“ und „World Trade Center“

Am 11. September 2001 ist die Geschichte in ihr Science-Fiction-Zeitalter eingetreten. In den von Flugzeugen durchbohrten und einstürzenden Türmen des World Trade Centers hat sich der totale Terror der Al Qaida in einem letztlich unbegreifbaren Bild verdichtet, wie es so überraschend gültig zuvor nicht einmal den genialsten Hollywood-Drehbuchschreibern eingefallen war. Und unlängst zeigte das Fünfjahres-Jubiläum des ikonografischen Schocks eindringlich: Die Menschheit hat sich von diesem Ereignis nicht im Geringsten erholt – und es ist unabsehbar, ob dies je geschehen wird.

Amerika, das Opfer von 9/11, hat der Zeitgeschichte inzwischen neue, anderweitig unbegreifbare Bilder hinzugefügt. Sie künden von der Hybris eines Weltherrscherstaates, der sich in seiner Substanz nach wie vor als demokratisch versteht. Die Folterszenen von Abu Ghraib ließen sich gerade noch in jenen Vorrat an visuellem Schrecken einbinden, der die Menschheit seit jeher aus Kriegsgebieten erreicht. Die Drahtverhaue und Metallkäfige von Guantanamo dagegen wirken wie die Materie gewordene Zukunftsfantasie einer Globaldiktatur – ein exterritorialer Ort totaler Willkür, dessen Insassen ohne Gerichtsverfahren unabsehbar lange festgehalten, gedemütigt, gefoltert werden, ohne dass die Weltgemeinschaft dagegen einschreiten kann.

Eine Zeit, in der die Zukunft als Hoffnungsmetapher dramatisch erodiert, braucht keine Science Fiction mehr. Auch der Film, das Massenselbstverständigungsmittel schlechthin, sucht Antworten auf diesen Epochenriss, auf den menschlichen Wunsch, das ikonografisch Unbegreifliche zu verarbeiten oder zumindest zu bannen. Fast zeitgleich kommen jetzt – mit Michael Winterbottoms „Road to Guantanamo“ und Oliver Stones „World Trade Center“ – zwei Filme ins Kino, die ihr Heil darin suchen, diese Wirklichkeit zu reinszenieren. Doch ihre Versuche der Gegenwartsbewältigung sind mal manisch, mal panisch geraten.

Die Regisseure suchen sich „echte“ Helden aus den konträren Lagern, pakistanischstämmige Briten und New Yorker Polizisten, und treten mit dem Anspruch auf: So war es! Natürlich war es nicht so – nicht nur, weil etwas, das bloß durch nachgestellte Bilder gezeigt wird, nie „so“ gewesen sein kann. Ihre Zeugen sind nichts weiter als Kronzeugen von Ideologien, die nun auch mit den Mitteln des Kinos gegeneinander antreten. Emotion statt Erkenntnis ist ihre einzige Devise.

Das Ergebnis sind zwei formal und thematisch sehr unterschiedliche, aber ungeheuer parteiische und offen aufwiegelnde Filme. Michael Winterbottoms toughes Pamphlet gegen Guantanamo mag sich mit dem ästhetischen Guerilla-Etikett des Agitprop-Kinos schmücken, in dem drei jugendliche Davids, die aus den Nachrichten bekannten Tipton Three, gegen einen Goliath namens Bush-Amerika bestehen. Oliver Stone dagegen macht bushistischstaatskonformes Propagandakino, um vor allem die Moral an der Heimatfront in Sachen Irakkrieg zu stärken. Das Ergebnis ist in beiden Fällen Mobilmachungskino der neuen Art. Stringenz und Differenzierung zählen nicht, nur der Appell zur jeweils eigenen Fahne – hier gegen Bush, dort gegen den Terrorismus. Seismograph Kino vor dem großen Knall: Lässt die Weltgesellschaft nur noch diesen irrwitzigen Antagonismus zu?

Der Brite Michael Winterbottom hat mit „Road to Guantanamo“ gewissermaßen das politisch-private Filmalbum von Ruhel, Asif und Shafiq vorgelegt: die rasant geschnittene, sich ganz aus der Erinnerung der drei britischen Pakistaner speisende Kamerafahrt durch ihre gemeinsamen Jahre 2001 bis 2004 – von der nicht stattfindenden Hochzeit Asifs in Pakistan bis zur Entlassung aus Guantanamo. Der Film, bis auf vier Mini-Rückblenden streng chronologisch und in Kürzesteinstellungen fast bis zur Unkenntlichkeit fragmentiert, wechselt zwischen Interview-Spots der realen Tipton Three und ihrer nachinszenierten Odyssee von Karatschi über Kandahar, Kabul und Kunduz bis ins US-Lager auf Kuba. Wie ein Videoclip-Unschuldsbeweis kommt der Film daher – und vor allem wie eine aufwühlende Anklage gegen die Zermürbungs- und Foltermethoden der Amerikaner.

Das Konzept ist so simpel wie suggestiv. Winterbottom will gar nicht wissen, ob die Geschichte um Asifs Hochzeit ausgerechnet unmittelbar nach dem 11. September, die Urlaubsreise Richtung Afghanistan und der Appell eines Imam, dort „humanitäre Hilfe“ zu leisten, auch stimmen. Er inszeniert seinen Film so, wie sich die Tipton Three selber inszenieren – und verlässt sich auf die Wucht seiner im Iran nachgestellten Guantanamo-Bilder mit Verhören, Folter, Isolationshaft. Mehr noch: Wer den Wahrheitsgehalt der Geschichte der längst wieder freien jungen Männer anzweifelt, setzt sich – wie unlängst der Berliner Jurist Uwe Wesel – dem Verdacht aus, erneut zu verhören statt bloß zu recherchieren. Mit anderen Worten: „Road to Guantanamo“ entzieht sich geschickt jeder Kritik. Es geht darum, Reihen zu schließen, Reihen gegen das – amerikanische – Böse.

„Road to Guantanamo“ endet hoffnungsfroh. Asif heiratet doch noch, 2005, in Pakistan. Auch „World Trade Center“ setzt auf ein Happy End nach dem Horror: auf die Geburt des Kindes eines der geretteten Polizisten. Nicolas Cage und Michael Peña spielen die beiden Überlebenden eines Rettungstrupps, über dem die Trümmer der Türme zusammenstürzen – wiederum in einer betont simplen, chronologischen, zwischen Familien- und Verschüttungsszenen wechselnden Hollywood-Dramaturgie. Sippe, Nachbarschaft, Christentum, Nation: Das sind die Werte, die den Film zusammen- und seine Helden am Leben halten, bis ein US-Marine (Michael Shannon) als selbst ernannter Rächer des terroristischen Frevels alles zum Guten wendet. Regisseur Oliver Stone behauptet zwar, keine politische Botschaft im Sinn gehabt zu haben – aber was wäre politischer als der fette Hinweis, dass der Elitesoldat später die amerikanische Ehre im Irak verteidigte?

Nein, mit der puren Reinszenierung im Wege des Aufwühlkinos ist den neuen globalen Traumata nicht beizukommen, im Gegenteil: Wer am lautesten auf Wahrheit pocht, stellt sich meist als der größte Manipulator heraus. Viel klüger – und dennoch keineswegs unemotional – agiert das fiktionale Kino, wenn es sich ausdrücklich die Mühe der verdichtenden Erfindung macht. Man denke etwa an Hany Abu-Assads Selbstmordattentäter-Psychostudie „Paradise Now“, die fesselnde Imagination einer Anschlagsvorbereitung, wie sie jederzeit geschehen könnte; oder auch an Michael Winterbottoms „In this World“, die tragische Odyssee zweier afghanischer Flüchtlinge Richtung England, die das Prototypische im erfunden inszenierten Individuellen sucht.

Solche Filme sind nah an der Wirklichkeit, gerade weil sie um ihre Ungreifbarkeit durch das Kino wissen – und halten zugleich so viel Distanz, dass man sie aufmerksam in den Blick nehmen kann.

„Road to Guantanamo“ läuft ab morgen im Babylon Kreuzberg (OmU), Cinemaxx Potsdamer Platz, Kulturbrauerei und Kant. „World Trade Center“ startet nächste Woche.

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