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Kultur: Die Nackten und die Schwulen

Ob Carl St. Clair heute wohl in der Komischen Oper ist?

Ob Carl St. Clair heute wohl in der Komischen Oper ist? Hoffentlich, denn die Premiere von Glucks „Iphigenie auf Tauris“ dürfte dem designierten Generalmusikdirektor zeigen, worauf er sich bei seinem neuen Job eingelassen hat. Denn geht es nach der „BZ“, wird die Premiere ein satter Opernskandal, wie ihn das Haus seit Calixto Bieitos „Entführung“ nicht mehr erlebt hat. „Nackt-Rentner“ machte das Blatt in der Inszenierung des Australiers Barrie Kosky aus und stellte in seiner Freitagsausgabe die Frage, ob die spärlich bekleideten älteren Herrschaften etwa Kunst sein sollten. Zwar könnte man die „BZ“ fragen, ob das denn Journalismus sein soll, aber Aufregung ist damit vorprogrammiert. Zumal die Komische Oper ihrerseits vorgesorgt und Kosky Unterstützung verschafft hat: Der zweite Rang wird mit Lesern des schwulen Berliner Zentralorgans „Siegessäule“ gefüllt sein, die diese Karten im Rahmen einer Half-Price-Aktion erwerben konnten. Sie werden den offen schwulen Regisseur nicht im Regen stehen lassen. „BZ“ gegen „Siegessäule“ also, und der Ausgang dieser Premierenschlacht dürfte auch darüber Auskunft geben, ob es der Komischen Oper in den letzten Jahren gelungen ist, ein neues Publikum zu gewinnen.

Der einzige Mensch an der Komischen Oper, der dem gelassen entgegenblicken kann, ist Kirill Petrenko. Weil er dieses Mal ohnehin nicht im Graben steht. Und weil er seine verbleibenden Tage als Chefdirigent langsam zählen kann. Dass die Ära Petrenko musikalisch eine glorreiche gewesen ist, steht fest. Genauso wichtig ist, dass der Chefdirigent sich auch bei umstrittenen Produktionen wie der „Entführung“ immer hinter die Regie gestellt hat – selbst wenn er anderer Meinung war. Wenn ein Regisseur eine starke Vision eines Stückes habe, müsse er sie auch ausdrücken können, erklärte Petrenko stets und sorgte im Graben für die nötige Dringlichkeit, die gerade waghalsige Interpretationen brauchen. Das sechste Sinfoniekonzert der Komischen Oper am Freitag läutet nun die letzte Petrenko-Arbeitsphase ein. Mit Werken von Schostakowitsch, Rachmaninow und Prokofjew hat sich der 35-Jährige ein russisches Wunschprogramm zusammengestellt.

Jörg Königsdorf

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