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Kultur: Die Nackten und die Toten in der Blue Box

Heimo Zobernig ist erst vierzig, aber bereits ein Klassiker. Was man darunter in der heutigen Kunst verstehen könnte?

Heimo Zobernig ist erst vierzig, aber bereits ein Klassiker. Was man darunter in der heutigen Kunst verstehen könnte? Zum Beispiel einen Künstler, dem ein Artikel im "Kritischen Lexikon der Gegenwartskunst" gewidmet ist; auch einen, der den konstruktiv-konzeptuellen Strang der Moderne fortführt und im Sinne des "Betriebssystems Kunst" modifiziert hat, für das ihn der Kunstkritiker Thomas Wulffen reklamierte, als beide noch Youngster waren. Vielleicht auch einen, der sich rational und puristisch abseits hält von der Eventkultur der Jüngeren. Zobernig war für Wulffen damals der einzige international präsente österreichische Künstler. Heute müßte man wohl auch Peter Friedl nennen - oder in Deutschland Fritz Balthaus, dessen Ansatz und Purismus sich mit Zobernig vergleichen läßt.Friedl und Zobernig leisteten Beiträge zur Documenta X. Während Friedl der Documenta-Halle den Schriftzug "KINO" verpaßte, also extrovertiert und mit sprachlicher Semantik agierte, lieferte Zobernig Teile des Ambientes für die "100 Tage - 100 Gäste" - in Form von Installationen, die sich mit der Architektur verbanden und den Rahmen des Geschehens unaufdringlich prägten. Zobernig konstituiert - durchaus im Rahmen des Kunst-Events und dieses zugleich reflektierend - präzise Verortungen, die mit den Grenzen zwischen Kunst, Kunstpräsentation und Kontext spielen. Er begreift Bilder als Übergangsform von der Kunst zur Architektur; und auch vermeintlich skulpturale Objekte sind bei ihm nicht auratisches Einzelwerk, sondern immer im Zusammenhang mit dem "Umfeld" gemeint. Ein starkes Moment seines vorgeblich zurückhaltenden Minimalismus kann die Farbe werden, die ein Szenario ganz dominiert, wie etwa die in Leuchtstoffröhrenrot getauchte Ausstellung der Bilder von Albert Oehlen bei De Appel in Amsterdam 1994, welche die Farben von dessen Malerei ins Grau absinken ließen.Da wirkt das Arrangement bei Anselm Dreher eher modellhaft, es inszeniert eben nicht den ganzen Raum, sondern zerfällt in Objekte, die auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen zugänglich sind. Die Farbe, die hier aufgegriffen wird, ist das Blau der "Blue Box" im virtuellen Raum des Fernsehens. Dort ist sie der Studiohintergrund, der bei Bedarf mit Bildern überblendet werden kann, die eine vermeintlich reale Kulisse für die Akteure vor der Kamera bilden. Zobernig demonstriert mit zwei Videos seine Umwertung dieses Standardszenarios. Einmal bahnte er sich einen virtuellen Korridor durch die Topographie der Stadt Chicago, die statt der blau bespannten Wände eines Ausstellungsraumes erscheinen, während er selber, ohne Klamotten übrigens, auf dem nicht überblendeten Boden herumturnt. Was ist das? Ecce homo in der Medienwelt? Auf jeden Fall die kokette Verkleidung und zugleich Entblößung der einen medialen Bildebene durch eine andere, also ein "Real Virtuality Strip".Dafür sind seine Bildobjekte umso züchtiger bekleidet, mit dem Spießerstoff Trevira nämlich, der in den Studios verwendet wird. Zwei Blaustufen werden präsentiert, dann auch ein Phospororange und ein Neongrün, also lichthaltige Farben, die Testfarben des Fernsehbildes nachempfunden sind. Die Videos und, wenn man so will, die konkreten Bilder, haben in der aktuellen Situation des Galerieraumes nichts miteinander zu tun, sind konkurrierende Verweise, zwischen denen sich ein konzeptueller Spalt für die Gedanken des Betrachters auftut. Der muß sich überlegen: Treten hier optische Sensationen in Konkurrenz oder ergänzen sie sich nur - und welcher ästhetischen Präsenz gestehe ich mehr Wirkung zu: dem bildnerischen Farbraum oder dem virtuellen Geschehnisraum?

Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Straße 80, bis 31. Juli; Dienstag bis Freitag 14 - 18.30 Uhr, Sonnabend 11 - 14 Uhr.

KATJA REISSNER

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