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Kultur: Die Nächste, bitte

Ein Model steigt ab: Birgit Möllers sensibles Spielfilmdebüt „Valerie“

„Wenn einer in sein dreißigstes Jahr geht“, schreibt Ingeborg Bachmann in ihrer schönsten Erzählung, „wird man nicht aufhören, ihn jung zu nennen. Er selber aber, obgleich er keine Veränderungen an sich entdecken kann, wird unsicher; ihm ist, als stünde es ihm nicht mehr zu, sich für jung auszugeben.“ Mehr noch, mit dem Pathos der frühen Jahre schwant ihm: Etwas, vielleicht alles, ist vorbei.

Valerie (Agata Buzek) ist 29, als Model hat sie jahrelang in Saus und Braus Geld gemacht und die Nächte durch, und plötzlich ist irgendwie Schluss. Ihre Möbel in Paris hat sie dem Nachmieter überlassen, die Designer-Klamotten, ihre ganze Habe, liegen in ihrem alten Jaguar in der Hyatt-Tiefgarage am Potsdamer Platz, es ist Weihnachten und eiskalt, und das Hotelzimmer kann Valerie, die Kreditkarte macht endgültig schlapp, auch nicht bezahlen. Und weil ihr sogar das Kleingeld für die Ausfahr-Parkmünze fehlt, richtet Valerie sich kurzerhand im Auto ein: Luxussarg in kühl ausgeleuchteter Kellerlandschaft für eine junge, lebende Tote.

Mager stakst Valerie, fragiler Vogelkopf auf Stangenhals, durch den Berliner Winter und durch ihre verbleibenden Sozialkontakte: Isa (Anne Sarah Hartung), die sie auf Parties einlädt, in denen Valerie überschallschnell an den Rand treibt. Ihre Agentin Ellen (Sabine Vitua), die mit kultiviert abgeregeltem Entsetzen registriert, dass Valerie in keiner Weise für das Loch namens Zukunft vorgesorgt hat. Und der coole Fotograf (Birol Ünel), mit dem sie arbeitet und in dessen Bett sie sich aufwärmt, bis die nächste kommt. Der Rest sind Gelegenheitsgesichter vom Menschengrabbeltisch – eine Art Freier an der Hotelbar, der bald ihren Stolz beleidigt, oder auch am späten Heiligabend die Treberin in der Spießerkneipe. Oder André (Devid Striesow), der Hotelparkwächter, den sie erst beschimpft und der sich ihrer doch erbarmt, nicht nur, weil sie ihm nützlich wird eines stillen Morgens bei einem ihrer immer schriller implodierenden Abgänge.

So geht das, und so geht das eigentlich gar nicht mehr. Gegen die Wand hat diese Valerie ihr Leben gefahren, und doch zuckt es vier, fünf Berliner Tage und Nächte voran; weil ja auch ein gegen die Wand gefahrenes Leben irgendwie weitergeht. So jung und schön und so abgebrannt und obdachlos: In ihrem dffb-Abschlussfilm erzählt Birgit Möller diese hochglanzpoliturgefährdete, bittersüßigkeitenverdächtige Geschichte unerschrocken und unpathetisch geradeaus, mit einem tränen- und selbstmitleidlosen Sternenwesen im Mittelpunkt und Devid Striesow, der das Geschehen als Tiefgaragenwärter immer wieder erdet: ein nicht besonders angenehmer Mensch, wie aus dem richtigen, nicht besonders angenehmen Leben. Kolja Raschkes Kamera erkundet sorgfältig Valeries leere Seelenräume, in denen es mitunter geradezu schmerzhaft bunt zugehen kann. Und Christian Conrads Musik, sehr gelegentlich und sehr genau und sehr leise, spinnt aufregend dünne Fäden dazu.

Ein kleiner Film, gewiss, mit ein paar kleinen Schwächen, aber was macht das schon. In seinen 84 Minuten erzählt er einiges über Lebenslügen und Einsamkeit und Vorsicht und das Tapfersein, ohne dem Zuschauer jedwedes Gewicht aufzubürden; durchscheinend und unvergesslich wie Valerie selber. „Jetzt weiß er, dass auch er in der Falle ist“, schreibt Ingeborg Bachmann im „Dreißigsten Jahr“ über ihren altjungen Helden weiter. Könnte sein, dass Valerie erst frei wird in diesen klirrenden Tagen und Nächten – Valerie mit ihrer Handtasche, die sie sich aus dem Müllcontainer zurückerobert hat, Valerie in Isas Leih-Pelz, Valerie mit der geschenkten letzten Zigarette. Oder war es die vorletzte.

Broadway, Eiszeit, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe

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