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Kultur: Die Natur und ich

„Der Umweg“: Gerbrand Bakker erzählt von einem radikalen Rückzug.

Der Umweg“ heißt der dritte Roman des niederländischen Autors Gerbrand Bakker, der in Deutschland mit seinem Debüt „Oben war es still“ vor einigen Jahren schlagartig bekannt wurde. Dieser Romantitel, sagte Bakker bei einem seiner Auftritte, sei ihm der liebste. Weil er nicht nur zum Buch passe, sondern seine Arbeitsweise allgemein beschreibe. Er wisse nämlich beim Schreiben nie so genau, wohin die Reise gehe, lasse sich auf Umwegen durch die Geschichte treiben und erfahre erst nach Fertigstellung über Leserreaktionen, was in seinem Buch eigentlich drin stehe.

Bakker, 1962 in einer Wieringwaarder Bauernfamilie geboren, kann so lapidar den Plot vernachlässigen, weil seine Stärke im Atmosphärischen liegt. In „Oben ist es still“ erzählte er mit beeindruckender Seelenruhe von einem Vater-Sohn-Konflikt auf einem Bauernhof. Auch „Juni“ spielte auf einem Bauernhof und entblättert nach und nach eine Familientragödie, die just an dem Tag ihren Ausgang nahm, als die niederländische Königin an einem brütend heißen Sommertag des Jahres 1969 das Dorf besucht.

Jetzt ist „Der Umweg“ auf Deutsch erschienen und führt wieder in eine reizvoll karge Landschaft und den reizvoll einförmigen Alltag und Rhythmus des Landlebens. Nur liegt das Farmershaus dieses Mal nicht in den Niederlanden, sondern in Wales. Dorthin hat sich die ungefähr vierzigjährige Holländerin Agnes zurückgezogen, sie ist aus Amsterdam regelrecht dorthin geflohen und hat sich auf unbestimmte Zeit in das Haus einer kürzlich verstorbenen Witwe eingemietet und besänftigt sich nun mit langen Spaziergängen, Gartenarbeit, Schuppenreparieren und Gänsebeobachten.

Welche Funktion ihre ritualisierten Tätigkeiten haben, ist klar: Sicherheit geben und nach und nach ein vorsichtiges Erinnern ermöglichen. So erfährt der Leser in sparsamen Rückblenden, dass Agnes ihren Mann verlassen hat, nachdem sie wegen einer Affäre mit einem ihrer Studenten ihren Uni-Job als Literaturwissenschaftlerin verloren hat. Was genau das Eheproblem und wie leidenschaftlich die Affäre war, erfährt man nicht.

Alles bleibt im Ungefähren, das ist Bakkers Trick, der sich bald als gravierende Schwäche erweist. Es gibt zwar einen Grund für ihre Flucht und ihre autistische Verwirrtheit, aber irgendwie ist ihre existenzielle Verlorenheit größer, hat vielleicht gar nichts mit den beiden Männern, sondern mit dem Leben als solchem (und einer angedeuteten schweren Krankheit) zu tun? Dieses urtümliche Rückzugsbedürfnis (die Natur und ich!) setzt Bakker sehr plastisch und mit leichtem, aber unerbittlichem Sog in Szene.

Natürlich: Etwas muss doch passieren, und weil die Hauptfigur klärende Erinnerung verweigert, wird die Umwelt im Zustand der Verdrängung ein unheimlicher Projektionsraum, in dem sich Sehnsüchte und Ängste spiegeln. Als sie sich auf einem Stein sonnt, wird sie von einem Dachs gebissen, in der Zuvorkommenheit des ungläubigen Dorfarztes schwingt unangenehme Zudringlichkeit mit, und die Freundlichkeit von Bäckerin und Friseurin bekommt bald etwas Befremdliches. Eine Frau, allein in einem Haus auf dem Land, es ist naheliegend, dass bald sexuelle Bedrohung in der Luft liegt und fies durch die Fensterritzen des baufälligen Hauses ins Innere zieht. Plötzlich sitzt ein Nachbar mit löchrigen Socken auf ihrem Sofa und grinst dreist.

Über achtzig, hundert Seiten steigert Bakker die Spannung, lässt er die Umwelt auf subtile Weise immer irrealer und traumhafter werden, bis auf einmal der freundliche junge Bradwen des Weges kommt und sich kurzerhand bei der geschwächten Fremden einnistet. Und sie lässt es zu. Macht ihm sofort Kaffee und schickt ihn, als er nicht gehen will, zur Männerarbeit in den Garten.

Es ist schon rührend, wie die beiden, die nichts von sich erzählen, sich aneinander klammern, als kennten sie sich lange – aber glaubhaft ist diese Beziehung nicht. Denn der Junge ist unwirklich wie eine Einbildung, schleicht auf seinen Sportsocken wie ein herbei gewünschter Engel durch die Räume, und auch Agnes bleibt für ihn eher ein Gespenst. Statt zu sprechen, seufzt sie „Ach!“, außerdem verschweigt sie ihren wirklichen Namen und nennt sich Emily, nach der Dichterin Emily Dickinson, über die sie promoviert.

Man fragt sich, wie diese Geschichte eigentlich enden kann, inzwischen weiß auch der verlassene Ehemann, wo sich seine Frau aufhält und macht sich mit einem homosexuellen Polizisten auf den Weg. Keine Frage, Gerbrand Bakker vermag es, die Welt einer tief Verwundeten in ein aussichtsloses Spiegelkabinett zu verwandeln. Nur den Weg aus dem Labyrinth hinaus in die Wirklichkeit zurück findet er nicht. Die Spannung verpufft, und die Heldin bleibt desinteressiert am Wegesrand zurück.

Gerbrand Bakker: Der Umweg. Roman. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 230 Seiten, 19,95 €.

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