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Kultur: Die neue Lust am Klassenkampf

Man könnte als Festival-Besucher unablässig reflektieren: über die (Vor-)Geschichte des Tempodroms, über das neue Bauwerk und sein nächstes Kapitel; über die staatliche Kulturförderung oder die Zukunft der internationalen Kleinkunst. Oder aber: Man lässt sich verzaubern - von Menschen auf der Bühne, die einem sonst nie über den Weg gelaufen wären.

Man könnte als Festival-Besucher unablässig reflektieren: über die (Vor-)Geschichte des Tempodroms, über das neue Bauwerk und sein nächstes Kapitel; über die staatliche Kulturförderung oder die Zukunft der internationalen Kleinkunst. Oder aber: Man lässt sich verzaubern - von Menschen auf der Bühne, die einem sonst nie über den Weg gelaufen wären. Von Sándor Fábry, dem ehemaligen Deutschlehrer, der im ungarischen Fernsehen eine Rolle einnimmt wie Harald Schmidt hierzulande. "Ossi-Wessi-Dizàjn-Center" heißt sein Vortrag, in dem Gebrauchsgegenstände aus dem sozialistischen Osteuropa präsentiert werden, sonst nichts. Das jedoch geschieht mit ausgebufftem Charme und bizarren Haushaltshilfen wie einem ausklappbaren Kondomtrockner, aufziehbaren Rasierapparaten und kaum anziehbarer Unterwäsche. Am Ende fehlte nicht viel, dass für Teile des aufgelösten Publikums der handbetriebene Lachtränentrockner nötig gewesen wäre.

Die größte Entdeckung des Festivals ist aber wohl Freek de Jonge. Der niederländische Satiriker schleicht sich zur Hintertür herein, macht zunächst einen Probelauf im kleinen Studio, bevor er auf der großen Bühne brilliert. Als er seinerzeit eingeladen wurde, plante er eigentlich eine Persiflage auf die "Vagina-Monologe". Doch dann kam der 11. September und de Jong änderte das gesamte Programm. Eine Stunde lang, gelegentlich nur auf sein Laptop mit den Notizen schauend, erzählt er die Geschichte eines - vermutlich fiktiven - Mitschülers, der mit keinem Land, keiner Religion, letztlich auch keinem Geschlecht glücklich werden kann und nun mit neuer Identität als Muslimin durch die Welt geht. Als dieser Junge voller Toleranz und unerwiderter Liebe sich nach dem 11. September vom Hoteldach stürzen will, ruft er als letzten Menschen den Erzähler herbei. Und der erinnert sich auf der Fahrt ins Hotel an ihre gemeinsame Geschichte. Das ist komisch und anrührend, weise und in keiner Weise politisch korrekt. Das atemlos lauschende Publikum applaudiert hingerissen. Wenn es fernseherfahrene, deutsch sprechende Menschen wie de Jonge und Fábry gibt, warum werden wir auf der Mattscheibe eigentlich immer mit Leuten wie Ingo Appelt und Gabi Decker gepeinigt? Knud Kohr

Es gehört zu den irritierenden Begleiterscheinungen dieses Festivals, dass uns plötzlich klar wird, was wir daheim andauernd verpassen: wann immer nämlich ein wirklich großer Kabarettist fremder Zunge sich entschließt, erstmals ein Programm auf Deutsch vorzutragen. Der Spanier Leo Bassi füllt die große Arena - und frappiert durch die groteske Simplizität seiner Bilder. In anarchischem Überdruss versprüht Bassi erst mal den Inhalt von Cola-Light-Dosen, die er zuvor mit großer Geste in der Waschtrommel geschleudert hat. Wie er am eigenen Leibe den Triumph eines mit Honig übergossenen, gefederten 50-ährigen über die Zielgruppeneinteilungen der Marktforschung demonstriert, ohne sich dabei zum Affen zu machen, das hat einfache Größe. Der zuvor umjubelte Kollege de Jonge verfolgt die Performance aus dem Publikum und amüsiert sich wie Bolle. So also funktioniert Völkerverständigung. Carsten Niemann

Die gute Nachricht zuerst: Das Landsmännische ist wieder im Kommen. Jahrelang schien es, als hätten deutsche Kabarettisten sich ganz der rundum genormten, digitalen Wirklichkeit angepasst. Witze über regionale Eigenheiten - die beste Strategie, sich beim Party-Small-Talk als Landei bloßzustellen - ließ man allenfalls noch den Staubsaugervertretern durchgehen. Ein cooler Neu-Mitte-Kosmopolit war schließlich Städter von Geburt, zumindest gab ihm sein Friseur dieses Gefühl. Jetzt aber hat der Wind sich gedreht: Deutsche Kabarettisten beziehen sich wieder auf ihre Heimat. Da wo einer wech kommt, liegt meist auch der Grund dafür, dass er Kabarettist wurde. Reden wir also wieder von Schwaben, Hessen, Westfalen oder vom Rheinland. Wenn auch nicht besonders gut. Hatten wir zwar schon. Macht aber Spaß. Denn da kann jeder mitreden. Weshalb auch fast jeder Maulheld zur Eröffnung seines Auftritts erstmal von den Auen seiner Kindheit spricht.

Die Rückkehr der Folklore ins Kabarett hat einen Grund: Es ist Kandidat Stoiber. Die friedlichen Jahre des Appeasement zwischen Berlin und den südlichen Bergvölkern gehen ihrem Ende entgegen. Seit Stoiber sich aus dem Fenster hängt, darf wieder fröhlich polarisiert werden. Wenn die Pole Gerhard Polt und Biermösl Blosn heißen, geht das schwer in Ordnung, bei ihnen kommt die Kolportage ja aus erster Hand. Wenn drei Blasmusiker und ein Altmeister der Wortschmiede unter 3000 Zuschauern eine Stimmung entfachen, als wäre eine Rock-Band am Werk - dann wird klar: Ein Festival wie die "Maulhelden" trifft auf den dringenden Bedarf des Publikums, endlich wieder Butter bei die Fische zu geben.

Überhaupt die Altmeister: Wiglaf Droste, der in Rüschenhemd und Gehrock kommt und lässig boshafte Sentenzen über Menschen drechselt, die "aussehen, als hätte man ein Stück Fleisch großgezogen". Matthias Beltz, der "wieder richtig Lust auf Klassenkampf hat". Oder Georg Schramm, der als deutschnationaler Rentner darüber sinniert, dass "Hitler ja auch keinen mehr hoch gekriegt hat". Die Alten wirken in ihrer ungebrochenen Radikalität frischer als der Nachwuchs, für den die läppische Kasperei einer Pro7-Comedy schon den Gipfel der satirischen Möglichkeiten darstellt. Sind das nun späte Opfer des Kohl-Regimes oder einfach nur schlappe Birnen?

Der Turko-Bayer Django Asül verdient zwar einen Sympathie-Bonus dafür, dass er einem nicht (wie später, im Verlauf des Festivalabends, der Rapper Tahir Cevik) den echten Sozialstations-Blumenkohl ans Ohr quatscht. Aber wenn Asül vom Musterschüler-Hochdeutsch in aufgesetzte Kanak-Sprak fällt, dann bleibt dem aufgeklärten Zuschauer eigentlich nur die Wahl, auch mal verständnisvoll zu nicken. Die Grundbravheit ist allerdings kein Problem der Jungen allein: Auch ein vielleicht schon allzu reifer Herr wie Achim Kohnejung löst bei dem durchweg wachen Publikum im Tempodrom eine Massenflucht aus.

Für die Massen nicht gemacht sind jene kleinen, feinen Lesungen gegen Ende der zehntägigen Veranstaltung, zu denen wegen Überfüllung oder organisatorischer Probleme nur ein kleiner Kreis Zutritt hatte: Wladimir Kaminer, ein Pop-Star, weggesperrt auf die kleine Bühne - während im großen Saal der Kabarett-Betriebsrat "N8schicht" tagte. Solche Pannen der Besucherlenkung und die Grunderfahrung des Schlangestehens und Pfandbecherzurückgebens passen irgendwie zur Stadthallen-Atmosphäre im Foyer. Gewiss, bald wird auch der nagelneue Sichtbeton die nötige Patina ansetzen. Beide Tempodrom-Säle sind atmosphärisch und akustisch für fast alles geeignet - besonders für Kabarettisten, Scherzkekse, Schwadroneure. Aber selbst unter denen gibt es Vorgruppen und Headliner. Und ein Wort-Festival funktioniert leider anders als ein Rockfestival, bei dem man problemlos zwischen einem halben Dutzend Bühnen hin- und herzappen kann. Ein kleineres Angebot, dass tatsächlich jeder Interessent zu sehen bekommt, wäre angenehmer als eine Opulenz, die nur im Programmheft existiert. Fürs nächste Mal also: Bitte weiter, aber anders. Ralph Geisenhanslüke

Knud Kohr

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