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Hundefreund Emilio (Quim Gutiérrez) lebt seine sadistischen Fantasien aus.

© Neue VIsionen

„Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden“: Aritz Moreno gelingt mit seinem Debüt eine clevere Komödie

Der Erstling des spanischen Regisseurs erzählt von einer Begegnung von Zugreisenden, die bald in eine Spirale surrealer Geschichten mündet.

Zugfahrten im Kino, das waren einmal Roadmovies von gepflegter Abgründigkeit. Die Welt da draußen scheint keine Rolle zu spielen. Was zählt, ist die Freiheit, fremde Mitreisende auf eine Schussfahrt in die Mysterien menschlicher Obsessionen mitzunehmen.

Manoel de Oliveira ließ in „Eigenheiten einer Blondine“ einen Mann das Drama seiner gescheiterten Liebe nacherleben, Luis Buñuel nutzte das intime Zugabteil in „Dieses obskure Objekt der Begierde“ für ein sarkastisches Porträt des patriarchalen Liebeswahns.

„Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden“ von Aritz Moreno beruft sich auf diese Vorfahren, doch der Regisseur dreht die Spirale surrealistischen Erzählens noch weiter. Seine schwarze Komödie geht zwar auch von der Faszination einer Reisenden für ihr plauderndes Gegenüber aus, doch die halluzinative Energie der fantastischen Geschichten löst eine Kettenreaktion drastischer Episoden aus, die um grotesk zugespitzte Psychopathologien kreisen.

Die Zuhörerin findet sich schließlich selbst in einem Film im Film wieder. Morenos Erstling reißt in gleitenden Parallelfahrten und -schwenks die Grenzen zwischen Realität und Zwangsvorstellung ein, jongliert mit den Mitteln des Mystery-, Thriller- und Psychodrama-Genres.

Vor lauter Lust auf faszinierende Horrorgeschichten geht der Verlegerin Helga Plato (Pilar Castro) der innere Kompass verloren. Ihr Problem sei, „dass sie den Erzähler mit dem Autor und diesen mit seinen Figuren verwechselt“, doziert ein Schriftsteller (Quim Gutiérrez), der prompt als Figur in einer abstrusen Episode Helgas Masochismus auf die Spitze treibt.

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Als Hundeliebhaber Emilio nötigt er ihr mit schwer erträglichen Methoden die Verwandlung in eine Hündin ab, bis sie ihn auf krimiwürdige Weise erledigt. Die Männer in Morenos Film sind allesamt labil, landen in der Psychiatrie oder flüchten davor, um als multiple Persönlichkeiten ihren Teil zum Chaos draußen beizutragen.

[In elf Berliner Kinos (auch OmU)]

Helga hat gerade ihren dementen Mann in der Klinik abgeliefert, als sie auf der Zugfahrt von einem seriösen Herrn (Ernesto Alterio) in ein Gespräch verwickelt wird. Er nennt sich Psychiater mit dem besonderen Auftrag, seine Patienten zu therapieren, indem diese ihre Geschichte aufschreiben. Aus dem Protokoll seiner „Textanalysen“ in einem schwarzen Heft entsteht die Dramaturgie des Films.

Ein Spektakel, das sich über sein Publikum lustig macht

Gleich die erste Story hat es in sich. Martín (Luis Tosar), der auf Geheiß seines dominanten Vaters zum Militär geht, erlebt als Teil der UN-Truppen im Kosovo eine Blitzkarriere. Vor Ort aber stellt sich heraus, dass die Männer der UN und der NGOs in kriminelle Machenschaften verstrickt sind. Kinder enden – zur „maximalen Verwertung“ – als Missbrauchsopfer, pornografische Bildobjekte und illegale „Organspende“.

Kein Wunder, dass der Rückkehrer traumatisiert ist. Die Geschichte erweist sich dann aber als mediengesättigte Pulp Fiction, denn Martín hat nicht mal die Aufnahme ins Militär geschafft, er wurde ein vom Dreck der Zivilisation geschädigter Müllmann, der sich von der politischen Polizei verfolgt fühlt und zum Terroristen wird.

Was aber gibt dieser rücksichtslose Humor am Ende her? Helga besinnt sich auf ihre verlegerischen Ambitionen, doch der Psychiater, dessen Heft sie publizieren möchte, erweist sich selbst als Figur aus einem Paralleluniversum multipler Persönlichkeiten. „Glaubwürdigkeit ist überbewertet“, lautet ein Schlüsselsatz im Film. Das Spektakel macht sich hemmungslos lustig über die mediengetriebene Bildergier seines Publikums.

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