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Kultur: Die Off-Szene: Kunst kommt vom Sparen

Der wichtigste Hoffnungsträger der Berliner Off-Szene ist 76 Jahre alt. Er heißt Dieter Sauberzweig und ist der Herr über den Hauptstadtkulturfonds, jenen 20-Millionen-Mark-Fördertopf, den Kulturstaatsminister Michael Naumann zur Unterstützung überregional ausstrahlender Projekte in Berlin eingerichtet hat.

Der wichtigste Hoffnungsträger der Berliner Off-Szene ist 76 Jahre alt. Er heißt Dieter Sauberzweig und ist der Herr über den Hauptstadtkulturfonds, jenen 20-Millionen-Mark-Fördertopf, den Kulturstaatsminister Michael Naumann zur Unterstützung überregional ausstrahlender Projekte in Berlin eingerichtet hat. Sauberzweig ist der einzige staatliche Ansprechpartner, von dem sich die 400 Off-Theater-Truppen der Hauptstadt noch nennenswerte Zuschüsse für ihre Projekte erhoffen können. Berlins Off-Szene blüht derzeit vor allem in den Broschüren der Berlin-Werbung. Seit Peter Radunski die freien Schauspieltruppen zum "Humus" deklarierte, auf dem allein großes Theater wachsen könne, ist es schick, mit ranzigen Hinterhof-Bühnen anzugeben. Beim Anblick der tollkühnen Nachwuchskünstler soll es den Touristen gehen wie Nina Hagen vor dem Fernseher: Alles so schön bunt hier, ich kann mich gar nicht entscheiden.

Die Politik liebt die Off-Szene aber auch noch aus einem anderen Grund: Nirgendwo kostet Kunst so wenig wie hier. In der freien Szene arbeiten Idealisten für Gehälter, für die staatlich angestellte Kulturmacher auf der Vormittagsprobe nicht einmal "Guten Morgen" sagen würden. Und noch einen Vorteil haben die eigenverantwortlich agierenden Mimen: Weil im Kampf um die Fördertöpfe jeder ein Einzelkämpfer ist, gibt es keine Lobby. Der Beirat der Lotto-Stiftung kann ungestraft seinen Arbeitsauftrag missachten, neben Projekten aus den Bereichen Jugend, Sport und Soziales die freien Kulturszene zu fördern. Dabei ist das, was am 13. Dezember beschlossen wurde, ein handfester Skandal: 100 Millionen Mark aus Lotto-Gewinnen waren zu vergeben - und die Off-Szene ging komplett leer aus. Stattdessen ließ sich das Gremium, dessen Entscheidungen sich selbst der parlamentarischen Kontrolle entziehen, zum Berliner Schattenhaushalt instrumentalisieren. Für das Berliner Ensemble und die Schaubühne waren Millionensummen drin, die 28 Millionen Mark teure Sieben-Hügel-Ausstellung bekam 2,4 Millionen Mark nachgereicht. Wer sich in der Szene umhört, trifft überall auf Entsetzen - zum öffentlichkeitswirksamen Protest aber vereinen sich die dünnen Stimmchen aus dem Off nicht.

Auch bei der Kulturverwaltung sieht es nicht rosig aus: Wenn auch die fünfprozentige Sparklausel für 2001 nicht voll auf den Etat der freien Gruppen umgelegt werden musste, stehen doch 280 000 Mark weniger, also insgesamt 8,25 Millionen Mark, zur Verfügung. Dieses Geld wird bei der Projekt- und Spielstättenförderung eingespart. "Jetzt ist der Hauptstadtkulturfonds unsere letzte Hoffnung", erzählt Heike Weinreich vom Theater Fürst Oblomov. "Wenn unser Antrag auch hier nicht ausgewählt wird, wissen wir nicht mehr, wie es weitergehen soll." Denn trotz des noblen Namens ist das Theater genauso arm wie alle Off-Bühnen. Wie so mancher mittelloser Adliger hat Fürst Oblomov allerdings großen Besitz zu bewirtschaften: Das Haus in der Zinnowitzer Straße hat vier Spielstätten. Nur wenn auf allen regelmäßig der Vorhang hoch geht, kommt genug Geld für die Miete zusammen. Neue Produktionen aber lassen sich nur realisieren, wenn Fördergelder fließen. Ein Teufelskreis: Hast du nicht genug Premieren, kannst du die Miete nicht zahlen. Kommt nicht genug Geld in die Ticketkasse, fliegst du raus.

Da bleibt nur der Ausweg, noch mehr Gäste in ihr Haus einzuladen - glückliche Zuschussgewinner, die zum fairen Tarif von 70:30 bei Fürstens auftreten, das heißt: Gut zwei Drittel der Abendeinnahmen gehen an die Künstler, der Rest bleibt den Vermietern zur Deckung ihrer Fixkosten. Eine erkennbare Programmplanung lässt sich unter solchen Bedingungen allerdings nicht realisieren. Das musste auch Zebu Kluth erfahren: Als er 1996 Chef des Theaters am Halleschen Ufer wurde, war er voller Ideen. Er wollte das beim Senat als "zentrale Spielstätte" geführte Theater zum Brennpunkt der Berliner Off-Szene machen. Hier sollten die Messen der Meister von Morgen stattfinden, zusammengestellt aus Projekten mit einer ähnlichen künstlerischen Konzeption. Doch schnell wurde klar, dass sich seine Träume nicht realisieren ließen. Das Geld reicht gerade, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Also traten die Truppen auf, die gerade Zuschüsse bekommen hatten. Kein Wunder, dass sein Spielplan mehr nach "Kraut und Rüben" aussah als nach "Sinn und Form". Das wiederum wirkte nicht gerade verlockend aufs Publikum.

Daraufhin forderte der Aufsichtsrat der "Berliner Veranstaltungs GmbH", zu der neben dem Podewil auch das Theater am Halleschen Ufer gehört, die Vorlage eines völlig neuen Personal- und Nutzungskonzepts. Mitte Januar soll es vorliegen. Doch das Theater am Halleschen Ufer krankt nicht nur am knappen Etat - was fehlt ist der HipnessFaktor. Der ist bei den Sophiensälen höher als bei jeder anderen Location des Neuen Berlin. Inzwischen mieten sich sogar die altehrwürdigen Herrschaften von den Berliner Festspielen dort ein, wenn sie sich mal so richtig avantgardistisch zeigen wollen. Natürlich verdankt der heruntergekommene Festsaal des einstigen Handwerkervereins direkt hinter den Hackeschen Höfen seinen kometenhaften Aufstieg auch der Qualität dessen, was hier geboten wird. 1996 startete die Tänzerin Sascha Waltz hier mit ihrem Manager Jochen Sandig. Heute sitzen beide im Leitungsteam der Schaubühne - ein Off-Theatertraum.

Ihre Nachfolger Amelie Deuflhard und Michael Mans profitieren davon, dass es längst eine Stammkundschaft gibt, die sich darauf verlässt, dass sie in "ihrem" Saal immer auf Spannendes stößt. Wenn sich Deuflhard allerdings wie jüngst im "Focus" darüber beschwert, dass "alle die gut sind, sofort abgeworben" würden, dann kann man sie nur damit trösten, dass Fluktuation das Wesen der freien Szene ist. "Off" ist nämlich kein Aggregatzustand, sondern ein Übergangsstadium und eine Karrierenweiche. Das geflügelte Wort vom "Sprungbrett" ist so gemeint: Entweder, man saust hinauf in die Höhen der Staatstheater - wie in letzter Zeit neben Sascha Waltz zum Beispiel Stefan Bachmann, der jetzt am Theater Basel arbeitet, oder Sebastian Hartmann, der zum Hausregisseur der Volksbühne avancierte - oder man taucht ab ins trübe Wasser der Namenlosigkeit.

Jene Truppen, die sich zu Miniatur-Staatstheatern auf Hungerleiderniveau verhärten, weil sie sich an - fraglos mühsam - Erworbenes klammern, in ihrem Theaterchen partout keine Gäste auftreten lassen wollen, und mit dem Argument Zuschüsse einfordern, man habe schließlich immer welche bekommen, schaden dem Ansehen der Szene. Häuser, die darauf pochen, ihr Geld überwiesen zu bekommen, weil es schon immer so war, gibt es in Berlin schon genug.

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