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Kultur: Die Oktoberrevolution

Das Hans Otto Theater Potsdam fängt neu an – mit Uwe Eric Laufenberg

Sanssouci – ohne Sorgen. In der Uraufführung, mit der Uwe Eric Laufenberg seine Intendanz am Hans Otto Theater im barocken Schlosstheater des Neuen Palais beginnt, kann davon keine Rede sein. In seinem ersten Stück „Lina – Es wird sie töten, du Ärmster“ wandelt der Münchner Autor Markus Hille, Jahrgang 1967, auf den Spuren von Karoline „Lina“ von Günderode. Dabei schert er sich weder um historische Korrektheit noch um Klischees. Die Dichterin, die sich 1806 26-jährig das Leben nahm, scheitert mit ihren heiligen Gefühlen an der schäbig- pragmatischen politischen Welt: Lina geht bei Hille wegen Carl von Savigny in den Tod – und nicht, wie verbürgt, wegen der Liebe zu dem Heidelberger Altphilologen Friedrich Creuzer.

Annett Renneberg, die die Lina wunderbar zwischen Träumerei und Robustheit ansiedelt, erdet Hilles redseliges Gedankenspiel und verleiht der Aufführung poetisch-realistischen Reiz. Das Pfund, mit dem Laufenberg wuchern kann, sind seine jungen Darsteller. Überzeugend auch Jennipher Antoni, Adina Vetter und Moritz Führmann, nur der Darsteller des Savigny bleibt blass. Alles soll neu sein am Potsdamer Theater. Zehn Schauspiel-, sechs Kinder- und Jugendtheater- und drei Musiktheaterpremieren sind geplant. Der 43-jährige Schauspieler und Regisseur Uwe Eric Laufenberg, einst Oberspielleiter bei Bernd Wilms am Maxim Gorki Theater, hat zehn neue Schauspieler engagiert und keine einzige Inszenierung übernommen.

Sieben Premieren werden zum Saisonstart vorgestellt. Dabei sollen die jahrzehntelangen Raumprobleme das Theater nicht mehr quälen. 1991 wurde das Nachkriegsprovisorium in einer umgebauten Tanzgaststätte von der Bauaufsichtsbehörde beendet und ein vor der Wende begonnenes, im Rohbau fertiges Theater auf dem Alten Markt abgerissen. Die ungeliebte „Blechbüchse“, ein 1992 für fünf Jahre errichtetes Leichtmetall-Provisorium, dient bis heute als zentrale Spielstätte. Doch bis 2006 entsteht in der Berliner Vorstadt am Kulturstandort Schiffbauergasse nahe der Glienicker Brücke ein moderner Theaterbau für 450 Zuschauer.

Da dem einstigen Drei-Sparten-Theater durch Sparmaßnahmen der Stadt Ballett, Chor, Opernsolisten und hauseigenes Orchester abhanden kamen, ist hier nur Schauspiel geplant. Offen bleibt, ob Potsdam für den Theaterverbund (eine Zwangsehe zwecks Inszenierungsaustausch zwischen Potsdam, Brandenburg und Frankfurt/Oder) kleine Spielopern beisteuern kann. Das nach dem von den Nazis ermordeten kommunistischen Schauspieler Hans Otto, Charakterdarsteller am Preußischen Staatstheater Berlin, benannte Theater war zu Lebzeiten der DDR von Ostberlin aus nur durch langwierige Umfahrung Westberlins zu erreichen. Nach der Wende sind Berlins Theater zwar näher gerückt, doch Potsdam will sein eigenes Theater. Laufenberg geht deshalb auf die Stadt zu. Er arbeitet mit städtischen Institutionen zusammen, etwa dem Filmmuseum. Mit neun über die ganze Stadt verstreuten Spielstätten versucht er, Potsdam zu erobern.

In der Französischen Kirche bringt Gisbert Jäkel Ende des Monats Tolstois „Krieg und Frieden“ heraus, in einer Villa soll Fontanes „Frau Jenny Treibel“ gegeben werden. In der Orangerie Sanssouci plant Laufenberg als Sommerdoppel Shakespeares „Was ihr wollt“ und Tschechows „Onkel Wanja“, und im Varieté Walhalla wird die Kleinkunst gepflegt. Die nächste Premiere gilt Terry Johnsons „Bedeutende Leute“, in dem Marilyn Monroe und Albert Einstein zusammentreffen (Regie: Guntram Brattia). Prominente Gäste sollen Schauspieler wie Katja Riemann, Katharina Thalbach und Christine Schorn sein – und Regisseure wie Bernd Mottl oder Adriana Altaras.

Mit der zweiten Premiere der neuen Intendanz stellte sich der junge Hausregisseur Tobias Sosinka in der weit aufgerissener Halle des Theaterhauses am Alten Markt vor. Maschinengeräusche dröhnen durch Kleists „Hermannsschlacht“, und zwischen Erdbergen lamentieren Deutschlands Stammesfürsten. Es sind ältere Herren in Regenmänteln, während Hermann, der Cheruskerfürst, schon die nächste Generation verkörpert. Mit spärlichem Oberlippenbart, unter der Lederjacke ein Schlabbershirt, in der Hand eine Weinflasche, gibt Tobias Rott ihn als lässigen Typen. Sosinka inszeniert Kleist nicht als Globalisierungsmenetekel, sondern als Beispiel dafür, was Gewalt mit Menschen anrichtet. Hermanns Thuschen, von der faszinierenden Anne Lebinsky als auch erotisch selbstbewusste Frau gespielt, ist schrecklich in ihrem Zorn. Roms Legat, der sie trotz vorgespielter Leidenschaft nur als Ersatzteillager für Zähne und Haare seiner Kaiserin betrachtet, wird von ihr vergast. Und Hermann agiert sowohl mit dem tödlichen Stromkabel wie mit der Pistole. Am Schluss liegt die Bühne voller schwarzer Leichensäcke. Die Figuren sind Zeichen: wie Ninjakämpfer vermummte Krieger – oder ein gestiefelter römischer Feldherr namens Varus, der als vorgeblicher Helfer wie ein Besatzer mit Raketenbatterien aufmarschiert.

Kaspar Glarner hat das Theaterhaus am Alten Markt in Potsdam zur Raumbühne umgestaltet. Wohl zum ersten Mal wurde die Stahlleichtkonstruktion nicht krampfhaft als Guckkastenbühne eingerichtet, sondern souverän benutzt: ein Paukenschlag zum Beginn der neuen Intendanz. Mit einem überzeugenden Ensemble, das den Vergleich mit Berlin nicht zu scheuen braucht.

Infos unter www.hot.potsdam.de

Hartmut Krug

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