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Chris Rock lieferte eine wunderbare Performance als Gastgeber der Oscars 2016. Hier im Bild mit Michael Keaton.

© dpa

Die Oscar-Verleihung 2016: Frech wie Oscar

Politisch, witzig, klug: Chris Rock beschert der 88. Oscar-Gala einen unvergesslichen Auftritt und Tom McCarthys Journalistendrama "Spotlight" trägt den verdienten Sieg davon.

Das gab’s noch nie: Dass der Star des Abends der Moderator ist und die Oscar-Verleihung in den ersten zehn Minuten ihren Höhepunkt erreicht. Die Überraschung dieses Jahrgang – das Journalistendrama „Spotlight“ als bester Film und nicht Alejandro G. Iñárritus Radikal-Western „The Revenant“ –, die Erleichterung des Abends – endlich ein Goldjunge für Leonardo DiCaprio –, der bewegendste Moment der Drei-Stunden-Gala – Ovationen für Filmmusik-Altmeister Ennio Morricone –, all das wurde getoppt vom Auftritt Chris Rocks gleich zu Beginn.

Wie bloß wird der Comedian die knifflige Aufgabe bewältigen, elegant, scharf und politisch korrekt die #OscarSoWhiteDebatte anzusprechen? Nun, er tat es, indem er die Gesinnungspolizisten und Abwiegler, Anti-Rassisten und Anti-Anti-Rassisten mit purem Selbstbewusstsein beschämte. Mit virtuoser politischer Unkorrektheit und jenem sarkastischen Witz, der der Realität den Spiegel vorhält.

„Welcome to the White People’s Choice Awards“: Rock trägt seine schwarze Haut im weißen Anzug zu Markte und begrüßt das Publikum zum Wahl-der-Weißen-Preis. Riesengelächter, Riesenbegeisterung, Riesenverstörung im Saal – seine fulminante Rundum-Attacke politisiert den Glamour im Dolby Theatre in L.A. von der ersten Sekunde an.

Zuerst knöpft sich Rock die Academy vor: Wenn auch Moderatoren nominiert würden, hätte er den Job nie bekommen. Dann sind die Protestler dran, jene schwarzen Promis, die ihn aufforderten, den Job hinzuwerfen: „Wieso raten einem sowas immer nur Arbeitslose?“ Dann ist wieder die Academy dran: „Dies ist die 88. Oscar-Verleihung. Was bedeutet, dass es dieses ,Keine Nominierungen für Schwarze’-Ding schon mindestens 71 Mal gab.“ Damals, in den Sechzigern, habe nur deshalb niemand protestiert, weil „wir zu sehr damit beschäftigt waren, vergewaltigt und gelyncht zu werden, um uns darum zu kümmern, wer den Preis für die beste Kamera gewinnt. Wenn deine Großmutter am Ast baumelt, ist es ganz schön schwer, sich für die beste ausländische Kurzfilm-Doku zu interessieren“.

Chris Rock spricht über Hollywoods subtilen Rassismus

Dann kriegen die Protestler es wieder ab: Dass Jada Pinkett Smith die Show boykottiert, sei etwa so, „wie wenn ich Sex mit Rihanna ablehnen würde: Sie hat mich gar nicht eingeladen!“ Zwar sei Jada zu Recht sauer darüber, dass ihr Mann Will Smith nicht für „Concussion“ nominiert sei. „Aber es ist auch nicht fair, dass Will 20 Millionen für ,Wild Wild West’ kassierte.“

Nach seinem Vorschlag, bei den Erinnerungsminuten für die jüngst verstorbenen Promis diesmal doch jener Schwarzen zu gedenken, die auf dem Weg zum Kino von Polizisten erschossen worden sind, stellt Chris Rock schließlich die Frage nach Hollywoods Rassismus. Und beschreibt ihn mit seiner leicht aufgekratzten Stimme als subtilen Ausgrenzungsmechanismus à la „Wir finden dich nett, aber du gehörst nicht in unseren Club“. Da wird es kurz ganz still im Saal.

Hier gilt’s nicht der Filmkunst, sondern der Kultur des Zusammenlebens – was mit dem Wesen des Kinos als soziales Ereignis doch wieder viel zu tun hat. Schon immer war die Gala eine Mischung aus Geschäftssinn – Oscars steigern Einspiel und Gagen –, Selbstfeier und politischer Bühne. Vietnam, Aids, Irakkrieg, die Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen, Schwarzen, Armut, Hunger, Klimawandel: Auf der Oscar-Bühne positioniert sich das liberale Amerika. Ein immer auch leicht wohlfeiles Ritual, wenn etwa Leonardo DiCaprio uns alle auffordert, den gefährdeten Planeten zu retten, Academy-Chefin Cheryl Boone Isaacs erneut ihr Engagement für Diversity beteuert oder US-Vizepräsident Joe Biden enthusiastischen Applaus erntet, als er für die „It’s On Us“-Kampagne gegen sexuellen Missbrauch wirbt.

Nun aber, endlich, die Filme: Der Oscar für „Spotlight“ gilt nicht nur einem Old-School-Drama über den von der Kirche verschwiegenen und den Reportern des „Boston Globe“ aufgedeckten Missbrauchsskandal, nicht nur einem brillanten Drehbuch (dafür gab’s einen zweiten Oscar) und intelligentem Ensemblespiel. Sondern einem Film, der Amerikas Grausamkeit in der vermeintlich so zivilisierten Gegenwart offenlegt und jene würdigt, die tapfer dagegenhalten.

Ein geradliniger, hochintelligenter Film: Tom McCarthys Siegerfilm "Spotlight"

Die Courage der „Spotlight“-Reporter in Tom McCarthys vergleichsweise geradlinigem Genrefilm ist gleichsam das Pendant zu DiCaprios nach Gerechtigkeit dürstendem Rachefeldzug in der grausamen Winterwelt von „The Revenant“. Dessen Auseinandersetzung mit dem vorzivilisatorischen Amerika, inszeniert mit physischer Wucht und einem das gute alte Analog- Kino beschwörenden Naturalismus, war der Academy am Ende immerhin drei Auszeichnungen wert: für DiCaprios Extremstrapazen, für Emmanuel Lubezkis Kamera und für Regisseur Iñárritu. Der Mexikaner mit Wohnsitz in L.A. ist der einzige, der nach den 45 erlaubten Dankesreden-Sekunden die gnadenlos einsetzende Walkürenritt-Rausschmeißermusik ignoriert – um Chris Rocks Thema aufzugreifen. Lautstark behauptet sich Iñárritu gegen Wagner, indem er den Wunsch äußert, das Stammesdenken der „Revenant“-Zeit möge überwunden und die Hautfarbe eines Menschen bald so irrelevant werden wie die Länge seines Haars.

Immerhin ist Iñárritu der erste Filmemacher seit Joseph L. Mankiewicz 1950/51, der zweimal in Folge den Regie-Preis gewinnt. Dass er beim Hauptpreis zugunsten von „Spotlight“ verschmäht wurde, hat womöglich mit einem letzten Zurückscheuen der Academy-Mitglieder vor Iñárritus Kino der Grausamkeit zu tun. Gewiss auch mit seinem Vorjahres-Oscar für „Birdman“. Beide Siegerfilme feierten übrigens auf dem Filmfest Venedig Weltpremiere: „Birdman“ ging 2014 leer aus, „Spotlight“ lief 2015 außer Konkurrenz.

Auch der Abräumer des Abends zeichnet das ehrliche Bild einer heftig umkämpften, aber real nicht existierenden gesellschaftlichen Harmonie. „Mad Max: The Fury Road“ erhielt sechs Trophäen in den technischen Kategorien: Das ruppige Sci-Fi-Actionspektakel mit all den Wüstenfreaks auf supercool frisierten Vehikeln versöhnt die Sehnsucht mit dem Spaß, den Sarkasmus eines Chris Rock mit der Menschlichkeit eines Films wie „Spotlight“. Auf der „Fury Road“ prügeln sich die Frauen genauso unerschrocken wie die Männer – so viel Diversity ist in Zukunft immerhin drin.

PS: Und die Deutschen? Haben das Nachsehen. Der Kurzfilm „Alles wird gut“ geht leer aus, bei der sechsfach nominierten Berlin-Koproduktion „Bridge of Spies“ reicht es für den Nebendarsteller Mark Rylance.

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