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Das berühmteste Theaterstück über Ressentiments ist Lessings "Nathan der Weise". Hier eine Hamburger Inszenierung von Nicolas Stemann aus dem Jahr 2009: Übergestülpten Vorurteilen gleich, tragen die Schauspieler Pappköpfe - als Moslem, Christ, Jude. Ein böser Blick, der Gewalt nach sich ziehen kann.

© picture-alliance/ dpa

Die Pariser Attentäter: Woher kommt der Fanatismus?

"Charlie Hebdo" und die Gottesrächer: über den Zusammenhang von Frustration, Ressentiment, Hass und Terror - und was man gegen Feindbilder tun kann.

Von Caroline Fetscher

In Frankreich gibt es Angst vor neuen Anschlägen durch Islamisten. Der Autor Michel Houellebecq hält sich versteckt. In Saudi-Arabien wurde am Donnerstag der Blogger Raif Badawi wegen „Beleidigung des Islam“ und „Auflehnung gegen die Obrigkeit“ öffentlich ausgepeitscht. Im Norden von Nigeria sollen Gotteskrieger der Gruppe Boko Haram bis zu 2000 „ungläubige“ Männer, Frauen und Kinder ermordet haben. Die Gruppe will verhindern, dass „westliche Bildung“ in die Köpfe von Kindern gelangt. All das geschah in dieser einen Woche.
Am meisten Entsetzen riefen bisher die auf CNN und BBC in Endlosschleifen gezeigten Bildsequenzen hervor, die am Mittwoch vom Dach des Pariser Redaktionsgebäudes der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ aufgenommen wurden. Sie dokumentieren einen der zwölf Morde der beiden jungen Killer, die unten auf der Straße dabei waren, „Allahs Ehre“ wiederherzustellen. Dort schossen sie dem am Boden liegenden, muslimischen Polizisten in den Kopf, der das Gebäude bewachen sollte. Eine emblematische Szene, mit Gotteskämpfern im Mafia-Stil.

Ressentiment und Blasphemie: Kann die Ehre Gottes überhaupt beleidgt werden?

Allah und der Prophet seien durch Karikaturen von „Charlie Hebdo“ beleidigt worden, davon waren nicht allein die Attentäter überzeugt, die sich zum Exekutionskommando ernannt hatten. Ob man Gott oder den Propheten überhaupt beleidigen könne, wurde der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff gefragt, seit 2001 ist er Mitglied des Ethikrats. „Die Ehre Gottes ist nicht die Ehre einer Privatperson“, erklärte er. „Gott selbst kann mit Karikaturen oder Schmähungen nicht beleidigt werden. Er kann nur beleidigt werden, wenn die Würde seines menschlichen Ebenbildes, also der Mensch, in den Schmutz gezogen wird.“

Weder in Dänemark 2005 noch jetzt in Frankreich oder andernorts nahmen Karikaturisten Allah oder den Propheten aufs Korn. Ihnen geht es darum, die Instrumentalisierung und Pervertierung von Religion durch fanatische Adepten zur Kenntlichkeit zu verzerren. Gehofft wird dabei auf den Erkenntnisblitz, der Lachen auslöst, wenn das Groteske an den totalitären Phantasmen ins Auge fällt. Wer solche Karikaturen nicht sehen will, bräuchte eigentlich nur wegzugucken. Doch die Extremisten scheinen sich nicht sattsehen zu können an den respektlosen Bildern, sie üben nachgerade eine Faszination auf sie aus. Wie schon 1989 die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie, wegen des bloßen Titels. Da ist endlich ein echter Beweis, dass mein Prophet, dass ich beleidigt werde!
Nichts scheint befriedigender für das Ressentiment zu sein als dessen Bestätigung. Je stärker sich jedoch ein Gekränkter mit der Kränkung befasst, desto stärker erscheint ihm auch die Macht des vermeintlich Beleidigenden. Mit Kalaschnikows wurden die Zeichner von Strichmännchen ermordet – Kanonen auf Spatzen. Die Logik der Täter speist sich aus Hass, dem Endprodukt akkumulierter Ressentiments. „Die den Frieden erzielen wollen, sollen nicht von der Liebe sprechen, bevor sie den Hass nicht erkannt haben“, warnte 1928 der Psychoanalytiker Istvan Hollos, ein Weggefährte von Sigmund Freud. „Mit den Hassregungen wie mit allen unverwüstlichen und notwendigen Kraftquellen muss kühl gerechnet werden.“

Das Ressentiment produziert Feindbilder: Antisemitismus, Homophobie, Anti-Amerikanismus

Das berühmteste Theaterstück über Ressentiments ist Lessings "Nathan der Weise". Hier eine Hamburger Inszenierung von Nicolas Stemann aus dem Jahr 2009: Übergestülpten Vorurteilen gleich, tragen die Schauspieler Pappköpfe - als Moslem, Christ, Jude. Ein böser Blick, der Gewalt nach sich ziehen kann.
Das berühmteste Theaterstück über Ressentiments ist Lessings "Nathan der Weise". Hier eine Hamburger Inszenierung von Nicolas Stemann aus dem Jahr 2009: Übergestülpten Vorurteilen gleich, tragen die Schauspieler Pappköpfe - als Moslem, Christ, Jude. Ein böser Blick, der Gewalt nach sich ziehen kann.

© picture-alliance/ dpa

Ressentiments, Vorurteile, Rassismus, Antisemitismus, toxischer, unterdrückter Groll – all das entsteht oft schleichend. Das Gros der jungen Männer, die solche Attentate begehen, zeichnet sich durch einen Mangel an gesellschaftlichem Status aus, an Ichstärke, Souveränität, Bildung und Distanzvermögen. Intrapsychisch sind die Pendants dazu am Werk, ein quälender Überschuss an Abwertung, Ichschwäche, Reizüberflutung, Desorientiertheit. Negative, innere Instanzen senden die Signale: Du bist wenig wert, wirst nicht gewollt, kannst und weißt nichts. Entstehen können diese unbewussten Instanzen, Introjekte genannt, wenn die Psyche mit geliebten, aber ablehnenden Autoritäten konfrontiert wird. Etwa bei einem brutalisierten Patriarchat im Familiengefüge. Oder durch Verwahrlosung sowie unpersönliche Härte unter staatlicher Obhut. Es liest sich wie aus dem Bilderbuch der Soziologie: Die Pariser Attentäter-Brüder sind Immigranten-Söhne, Waisen und Heimkinder; Abwertung haben sie vermutlich früh erfahren. Mit den Satirikern von „Charlie Hebdo“ morden sie die Stimmen, von denen sie sich verspottet fühlen, mit den Polizisten die verbietende, strafende Stimme.
Unerträgliche Introjekte stacheln das Verlangen nach Kompensation, Akzeptanz und Macht an, alledem, was „die anderen“ vermeintlich haben. Doch ist das ohne Voraussetzungen wie Bildung und Ichstärke kaum zu bekommen. Es bleibt nur die Inszenierung als Outlaw. So posieren Rapper als Machos in Limousinen als hedonistische Mafiosi, für die sich sexy Mädchen begeistern. Und wo ein Imam dem Attentäter Bedeutung als Märtyrer verheißt, da lässt sich die Inszenierung als Held proben, da kann einer mit Waffe, Bart und im schwarzen Habit des Rächers auftreten, um endlich für die Autorität akzeptierbar zu werden. Für seinen Imam, träumt der junge Mann, werde er als Killer zum James Bond des Prekariats aufsteigen, im Dienst einer grandiosen Sache.

Unter dem Titel "Feindanalysen" untersuchte Herbert Marcuse 1942 die Ressentiments der Nazideutschen

Aus dem Motivpool der Ressentiments lassen sich Feindbilder en masse angeln: der Westen, die Amerikaner, das Weltjudentum, die Homosexuellen, die Ungläubigen, das Finanzkapital. Nur geht die Strategie nicht auf, sie tut es nie. Werbung für Allah, den Barmherzigen, sähe anders aus. Und statt der Ichstärke entwickelt sich noch mehr intrapsychischer Terror, der noch massiver entäußert werden muss. Was tun? Selbst wenn Millionen Pegida-Anhänger mit Gegen-Ressentiments durch die Straßen spazieren würden: Der Islam lässt sich aus Europas Kultur nicht wegdenken. Aber es gilt, dem primitiven, kompensatorisch missbrauchten Deuten des Koran etwas entgegenzusetzen. Zweifellos muss sich der Islam unmissverständlich vom Islamismus abgrenzen, sich von innen reformieren, und ausgezeichnete Ansätze dazu existieren schon, etwa auf www.islam-analyse.de.
Aber wie lassen sie sich unterstützen? Relevant können Studien sein, wie Herbert Marcuse sie 1942 im Exil für das amerikanische Office of Strategic Services verfasst hat. Unter dem Titel „Feindanalysen“ sind sie erst vor einigen Jahren auf Deutsch erschienen. Marcuse analysierte nicht nur die Ressentiments der nazideutschen Bevölkerung, er half auch bei den Planungen zur Reeducation nach der Barbarei. Derart fanatisierte Gruppen, fand Marcuse, lassen sich zuallererst vom Konkreten überzeugen: von Arbeit und Wohlstand. Zentral werde ein völlig neues, auf kritisches, individuelles Denken zielendes Bildungssystem sein, selbstbewusste, konsequente Strafverfolgung sei unabdingbar. Mit diesen Prinzipien ist den Alliierten die Reeducation weitgehend gelungen.

Wollen Europas Demokratien die Treibhäuser des Terrors abschaffen, zu denen viele Banlieues geworden sind, dürfen sie das Projekt getrost so ernst nehmen wie etwa die systemstabilisierende Bankenrettung. Milliarden Euro müssen in die Schulen investiert werden – Elternhäuser, Heime oder Moscheen werden es allein nicht richten. Anstatt mit Betreuungsgeldern und dysfunktionalen Bildungspaketen Verwahrlosung zu alimentieren, muss obligatorisch und kostenfrei werden, was wirklich nutzt: Kindergärten, Nachhilfe, Schulmensa, Sport, Musik, Theater, Debattierstunden, interreligiöser Unterricht, Mentoren für jeden Schüler, kleinste Klassen, je größer die Not. Zur Zeit ist es dem Zufall überlassen, an welcher Schule Kenntnisse zu Rechtsstaat und Säkularismus vermittelt werden. An vielen Berliner Schulen wurde das Fach Politik abgeschafft. Projekte freier Träger, die hier und da salafistische Strömungen bekämpfen, ringen jährlich neu um ihre Finanzierung. Ihre Zielsetzung müsste in alle Curricula Eingang finden, vor allem in urbanen Ballungsräumen. Ein gesamteuropäischer New Deal für die Bildung, das ist das Gebot der Stunde.

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