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Kultur: Die Penthesilea-Maschine

Der Krieg findet nicht statt: Wie Luk Perceval an der Berliner Schaubühne Heinrich von Kleist umkreist

„Großartig“ fand ein Kollege die Premiere, man müsse das Ganze als zeitgenössische Oper betrachten, da versteht man den Text auch nur zum Teil. Dieses sinnfreie Toben! Diese bedingungslose Leidenschaft! Er ist Musikkritiker von Beruf, und Musikkritiker gelten bekanntlich als die härtesten und kritischsten.

Aus der Schaubühne dagegen kam die Anregung, es handele sich bei der „Penthesilea“ im Grunde um Bildende Kunst, also eine Art Installation mit Schauspielern und Kleist-Text. Um den ersten Eindruck zu vervollständigen, wäre noch auf das Tanztheater hinzuweisen, zumal an diesem Haus, wo Sasha Waltz Maßstäbe gesetzt hat, wie die erhabene Beton-Kathedrale einzunehmen und aufzureißen ist. Was folgt daraus? Es gibt viele Ausreden für schlechtes Theater.

Es gibt in der deutschsprachigen Dramatik auch kein zweites Stück, das so rauschhaft, so radikal die klassischen Ideale zerreißt wie Heinrich von Kleists „Penthesilea“. Ein Vereinigungskampf, wie man bei den Boxern sagt, wenn die Champions zweier verschiedener Weltverbände aufeinander losgehen. Amazonenkönigin gegen Griechenheld. Tödliche Umarmung auf einem Nebenschauplatz des Trojanischen Kriegs, um den sich so viele Klein- und Privatkriege ranken. Achilles’ Ferse ist das Geschlecht, die Lust. Untergangslust. Eine zutiefst germanische Passion, schwarze Romantik – aber in der Verbindung von Kampf und Sex und Tod auch sehr französisch. Die Lordsiegelbewahrer der deutschen Klassik, auch Goethe, hatten an Kleist wenig Vergnügen. Seine „Penthesilea“, inzwischen gut 200 Jahre alt, bedeutet für das Theater noch immer eine notwendige Zumutung.

Aber wie bitter, wenn ein so formbewusster Regisseur wie Luk Perceval das Drama schockgefriert. Zwei Stunden lang hält sich das Ensemble auf einer monotonen Oberfläche. Eine Zustandsbeschreibung, nicht die Beschreibung eines Kampfs. Vielleicht die Beschreibung eines inneren Kampfes – aber wie soll man in diese weißgeschminkten, gekalkten, wie Leichen angetanen Figuren (Kostüme: Ursula Renzenbrink) hineinschauen? Warum mit ihnen fühlen? Was sie fragen? Die Frauen stehen, die Männer rennen herum auf der leeren Bühne von Annette Kurz, die in der Tat an eine Installation von Jannis Kounellis erinnert, wie man sie derzeit in der Neuen Nationalgalerie begehen kann. In der Mitte Holzbalken, zum Riesenmikado aufgestellt, am Rand rostige Metallplatten. Und der amerikanische Jazz-Gitarrist Jean-Paul Bourelly mit seinen Rückkopplungen und sirrenden Soli: So viele Wege zu Kleist, so viele offene Türen, und nichts führt hinein. Man bleibt auf Umlaufbahnen um ein Geheimnis. Nur in stillen Momenten, wenn Katharina Schüttler – eine zarte, zerbrechliche Amazone – sich dem Mikrofon anvertraut, wenn der Aktionismus innehält, kann diese Liebesgeschichte berühren. Denn das reißt Perceval an: eine amour fou von zwei jungen Menschen, die sich nicht bekümmern um ihr Woher oder Wohin. Auch Rafael Stachowiak ist ein eher schmächtiger Heros Achill, mit fassungslos weit aufgerissenen Augen.

Sie wirken wie ferngesteuert, wenn sie nicht in den Hendrix-Gewittern des Gitarristen in Stand-By-Modus verharren. Die Musik dämpft das Drama, der Raum schluckt, was von der Klage und der Wut noch bleibt. Diese Kälte! Grau-weiß ist die Grundfarbe der Inszenierung, und von Anfang an ist alles so gepolt, wie es am Ende sein wird. „Penthesilea“ in der Endlosschleife, Kleist fragmentarisch, Untote in einer unruhigen Nacht.

Passt das nicht zu Kleist, der sich am Wannsee an einem Novembertag des Jahres 1811 das Leben nahm? Hat Perceval etwa nicht dieses unheimliche Geisterleben alptraumwandlerisch erfasst?

Nein. Dieses Theater nervt. Es bewegt sich nicht. Und wenn es sich bewegt, ist es vorhersehbar. Die Kerle geben sich tumb oder werfen sich in militärische Drillposen; mal ganz was Neues. Und die Frauen sind halt nachdenklicher und gefühliger. Und Mikrofone ersetzen auf Dauer keine Passion.

Oder doch. Ja: Perceval ist dicht dran an Kleist, an der „Penthesilea“ und ihrem absoluten Freiheitsdrang, der blind macht. Dann aber legt er brutal offen, dass es sich bei diesem Katarakt von Dramentext um eine reine Kopfgeburt handelt, den blanken Wahn. Perceval hat eine solche Angst vor (falscher) Theatralik, dass er sich in Kunstformen des Ungefähren flüchtet. Diese „Penthesilea“ sieht aus wie eine Off-Produktion der Achtziger, nur sehr viel teurer. Hier wird abgeräumt, werden Schneisen geschlagen, die Balken stürzen herab. Jimi Hendrix hätte jetzt seine Gitarre abgefackelt. Aber Percevals Kleist ist imprägniert, hier brennt nichts.

Wieder vom 23. bis 25. 2. sowie am 7. und 8. und vom 18. bis 20. 4.

Rüdiger Schaper

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