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Kultur: Die Pflanze, umgetopft, kränkelt

Alte Meister? Alte Pfuscher!

Alte Meister? Alte Pfuscher! Kein Kunstwerk, das nicht einen Fehler aufwiese: "Wer hier in diesem Museum in diesen Hunderten von sogenannten Meisterwerken nach Fehlern sucht, der findet sie auch, sagte Reger." Und die Entlarvung des vermeintlich Vollkommenen als fehlerhaft macht diesen Mann, der seit dreißig Jahren jeden zweiten Tag ins Wiener Kunsthistorische Museum geht, glücklich - schreibt Atzbacher.Reger, dieser Unglücksmensch, dessen höchstes Glück es ist, alle Welt zu schmähen, hat in Atzbacher, der alle seine Schmähungen getreulich festhält, ein Sprachrohr gefunden - wie Goethe in Eckermann.Anders als Goethe und sein Chronist aber sind Reger und sein Adlatus keine historischen Personen, sondern Kopfgeburten: Sprachrohre Thomas Bernhards, des Meisters der literarischen Schmährede.Reger, Atzbacher und, als Dritter im Bunde, der Museumsdiener Irrsigler sind Romanfiguren aus dem 1985 erschienenen 300-Seiten-Werk "Alte Meister".

Bühnengestalt haben sie erst im Herbst vorigen Jahres angenommen, als das Deutsche Theater in Berlin und das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg gleichzeitig zwei selbstgemachte Dramatisierungen herausbrachten.Die Hamburger Version, eingerichtet von dem Regisseur Christof Nel und der Dramaturgin Stefanie Carp, ist nun bevorzugterweise zum Berliner Theatertreffen eingeladen.Das Gastspiel im Theater am Halleschen Ufer zeigt, im Vergleich zu Friedo Solters Berliner Fassung, Vorzüge, läßt aber auch bezweifeln, daß damit das Bernhard-Repertoire um ein weiteres Stück bereichert sei.Im Blick auf beide Inszenierungen stellt sich die Frage, ob man recht daran getan hat, die Pflanze umzutopfen - so als wäre Thomas Bernhard, Romancier und Dramatiker, bei der Wahl der Form nicht mit großem Bedacht vorgegangen.Sein Kunstgriff ist hier ja, daß die zentrale Figur des Reger nicht direkt in Erscheinung tritt, sondern nur in der Wiedergabe durch das Sprachrohr Atzbacher und den weiteren Augen- und Ohrenzeugen Irrsigler aufscheint.

Im Gegensatz zur Berliner Aufführung, die aus dem Material der Prosa eine Handvoll Figuren schnitzt, gehen Nel und Carp subtiler vor, indem sie gar nicht erst den Versuch machen, den Schimpfkanonier Reger mit beiden Beinen fest auf den Brettern stehen zu lassen.Sie teilen den Stoff vielmehr auf drei Schauspieler auf: Stephan Bissmeier, Peter Brombacher und Werner Rehm wetteifern darin, die Skala der Schmähtöne auszumessen, gelegentlich auch Weh- und Ach-Klagen unterzumischen.Und eine Frau ist auch dabei, Monica Bleibtreu; sie unterlegt das Geschwätz mit den hallenden Schritten der in den Sälen ihrem Geschäft nachgehenden Museumswärterin und gibt schon mal ihren Senf dazu: "Es ist zum Kotzen." Ein Satz, der, so kurz angebunden, sicherlich nicht im Buche steht.

Nels Inszenierung, bei der Gastspielpremiere freundlich, aber nicht enthusiastisch aufgenommen, schlägt einmal, gegen Ende, wider alles Erwarten in existentiellen Ernst um: Regers Trauer um seine Frau, "unseren einzigen Menschen", ein Reflex von des Autors Trauer um seine im April 1984 verstorbene lebenslange Freundin Hedwig Stanianicek, rührt an die Grenze zwischen Schein und Sein.Eine sentimentale Peinlichkeit? Ein Kunstfehler? Auch ein junger, alter Meister wie Thomas Bernhard war dagegen nicht gefeit.

Theater am Halleschen Ufer, wieder am

20.Mai, 20 Uhr, und am 21.Mai, 15 Uhr.

GÜNTHER GRACK

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