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„Die Pforten der Liebe“ an der Staatsoper: Faltenwurf der Jugend

Hans Neuenfels richtet Mozart neu zu: Aus „La finta giardiniera“ werden an der Staatsoper „Die Pforten der Liebe“.

Gleich am Anfang ist alles zu Ende. Eine junge Frau und ein junger Mann, beide schön und sportlich, ringen um einen Apfel. Sie lockt lachend mit der Frucht vom Baum der Erkenntnis, drückt dem erbittert Angreifenden Küsse auf den Hals, wie ein Matador, der seine Spieße in den Stiernacken treibt. Wenn dies ein Vorspiel zur opera buffa sein sollte, so ist es ein tödliches. Ohne weitere Umstände würgt der Mann das Leben aus der Frau und entschwindet mit dem Apfel, der ihrer erschlafften Hand entrollt. Sündenfall der Liebe, der sich gleich noch einmal wiederholt, wenn Graf Belfiore seiner Geliebten Marchesa Violante die Hand zum Tanz reicht und ihr alsbald ein Messer in den Unterleib rammt. Sie überlebt – und liebt ihn weiterhin, irgendwie.

Hans Neuenfels macht keine Gefangenen, wenn er sein spätes Regiedebüt an der Staatsoper gibt. Mozarts Jugendwerk „La finta giardiniera“ hat er für diesen Anlass neu zugerichtet und stellt es mit einem Libretto aus eigener Hand als „Die Pforten der Liebe“ auf die Bühne des Schillertheaters. Für dies undurchschaubare Liebestreiben, bei dem alle Beteiligten von elementarer Panik erfasst werden, wäre „Die Gärtnerin aus Liebe“ auch ein viel zu harmloser Titel gewesen. Mit neuromantischem guerilla gardening hat Neuenfels nichts am Hut, von der Flucht in Schrebergärten hält er bekanntermaßen nichts. Dafür hat er seine Bataille-Bücher wieder einmal durchgeblättert und die Figuren eines alten Adelspaars erfunden, das über den schlaff gewordenen Faltenwurf der Liebe räsoniert. Die Contessa ist natürlich Elisabeth Trissenaar, Neuenfels’ Gattin und Gefährtin, als Conte haucht Markus Boysen an ihrer Seite sein nach Frischfleisch gierendes Leben aus.

Der gedankliche Ausgangspunkt des Abends gerät dabei schnell zur Nebensache. Eigentlich hatte Neuenfels ja „La finta giardiniera“ zu ihrem Kern zurückbringen sollen, in der oft leerdrehenden buffo-Mechanik die Töne der Aufklärung stärken und den Aspekt der Prüfungsoper über den der Posse erheben wollen. Material dafür gibt es zuhauf. Beinahe fünf Stunden Musik hat Mozart komponiert, René Jacobs hat sie gerade vor Energie berstend auf CD veröffentlicht, allerdings in einer späteren, süffigeren und oft auch sinnfälligeren Instrumentation.

Neuenfels, der große Mozart-Verehrer, weiß, wie es gehen könnte: „Wer sich Mozarts rücksichtsloser Musik blank anvertraut, merkt, wie erschreckend fremd sie ist, und wie fremd man sich selber wird.“ Mit dem Vertrauen in den frühen Mozart und die als unaufführbar gebrandmarkte „Finta“ tut sich der Regisseur merkwürdig schwer. In seinem dreistündigen Remix darf die Musik nie wirklich die Dramaturgie übernehmen. Arien wirken wie bloß abgestellt und verwischen ohne klar fixierten Start- und Endpunkt, anstatt aufzuleuchten.

Christopher Moulds arbeitet im hochgefahrenen Orchestergraben mit Hingabe gegen den atomisierenden Gestus der Inszenierung an. Doch obwohl die Staatskapelle hellwach und meist auch hellhörig agiert, muss sie sich immer wieder von einem Spannungsniveau unter Null hochspielen. Annette Dasch sollte als Violante zum Fixpunkt von „Die Pforten der Liebe“ werden. Neuenfels wollte nach Bayreuth unbedingt wieder mit der Sopranistin zusammenarbeiten. Doch der Weg zurück zu Mozart erweist sich als dornig. Dasch verpasste erkrankt die finale Probenphase, man spürt ihre Abwesenheit, besonders im gänzlich aus der Form gefallenen zweiten Teil. Auch stimmlich wirkt sie unsicher, vor allem in der Höhe. Was bei Wagner als Verletzlichkeit berührte, droht sich bei Mozart zum Handicap auszuwachsen. Doch kein Sänger erreicht unter den Geiern, die Neuenfels über ihnen kreisen lässt, seine wahre Klasse. Die umwerfende Alexandrina Pendatchanska, die sich nur noch Alex Penda nennt, rettet als Arminda Aspekte ihres bulgarischen Temperaments, während der Belfiore von Joel Prieto auch unter stimmlichem Autoritätsverlust leidet.

Noch etwas Gespenstisches geschieht an den Pforten der Liebe. Nein, nicht das Geschiebe mit den Plexiglassärgen. Neuenfels wird vom Geist des alten Schillertheaters heimgesucht. Die mattschwarzen Wellen, mit denen das Bühnenbild von Reinhard von der Thannen in den Zuschauerraum leckt, evozieren die ehemalige Wandverkleidung des Saales. Aus dem Lautsprecher dringt die brüchige Stimme des Regisseurs, mit ihren unberechenbaren Betonungsrückungen. „Wir hocken blank und ausgesetzt da und starren auf unseren Nabel“, tönt es. Man hört Neuenfels dabei beinahe so gebannt zu, wie Minetti, als er Grimms Märchen mümmelte. Damals, lange her. Ulrich Amling

Nächste Vorstellungen am 27.11. sowie am 1., 8. und 15.12.

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