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Kultur: Die Phantome der Puppenspielerin

Verknotete Körper: Die Choreografin Colette Sadler kommt aus Glasgow. In Berlin hat sie eine neue Sprache gefunden.

Von Sandra Luzina

In Colette Sadlers Choreografie „The Making of Doubt“ von 2008 dauert es nicht lange, bis den Zuschauer erste Zweifel beschleichen. Die sechs Kapuzenträger, die sich auf der Bühne lümmeln, geben sich zuerst nicht zu erkennen. Sie sind gesichtslose Wesen, auch ihr Geschlecht ist nicht auszumachen. Aber sind das wirklich alles menschliche Körper? Warum lassen sie sich so hängen? Erst nach einer Weile begreift man, dass es sich bei zwei der Gestalten um lebensgroße Puppen handelt. Die Tänzer und ihre Doubles – Colette Sadler verwischt den Unterschied zwischen dem Echten und der Simulation. Die Performer gleichen sich immer mehr den wattigen Puppenkörpern an, die keinen Widerstand leisten, sich beliebig manipulieren lassen und am Ende achtlos in die Ecke geworfen werden. Sadler konfrontiert die Zuschauer mit bizarren Anatomien: Da ragt plötzlich ein dritter Arm aus dem Bauch einer Tänzerin, ein Tänzer verknotet seine drei Beine.

„Ich habe ein Faible für das Absonderliche“, sagt Colette Sadler mit ihrem hinreißenden schottischen Akzent. Deswegen liebe sie auch die Filme von Alfred Hitchcock. Das Gespräch findet zwischen den Proben in den Weddinger Uferstudios statt. Die Choreografin hat gerade ein neues Gruppenstück erarbeitet. In „I not I“ gibt es zwar keine direkte Anspielung auf die Thriller des Suspense-Meisters, aber Sadler baut eine bedrohliche Atmosphäre auf, Raum und Körper führen ein unheimliches Eigenleben. Sie verzichtet diesmal auf Puppen und Prothesen, doch auch in „I not I“ entwirft sie wieder groteske Körperbilder.

Die neue Produktion geht auf ein älteres Solo zurück, das um Fragen der Identität kreiste. „In ,dDumY – another myself‘ habe ich versucht, einen hybriden Körper zu produzieren. Die menschliche Anatomie wird durch einen Stuhl erweitert“, sagt Sadler. Der Körper als das andere, als etwas, das nicht zu mir gehört, das ist ein Thema, dass sich durch ihre Arbeiten zieht. Das Ich trifft auf sein Nicht-Ich. Sadler will zudem die Wahrnehmung schärfen. Wann identifizieren wir eine Gestalt als menschlich, wann nicht? Und so arbeitet sie gewitzt mit Verschiebungen und Verrückungen, der Körper wird zerlegt, umgeordnet, neu konfiguriert.

Diesmal ersinnt sie für die drei Tänzer Assaf Hochman, Maxwell McCarthy und Yohei Yamada Bewegungen und Positionen, die der menschlichen Anatomie widersprechen. Dabei konzentriert sie sich vornehmlich auf fragmentierte Bewegungen der Arme. Wenn Hochmann den Arm abwinkelt, um 90 Grad zur Seite dreht und wieder zurückschnappen lässt, wirkt das, als ob ihm ein geheimer Mechanismus eingebaut wurde. Sadler und ihre Tänzer haben zudem mit der Idee des Verriegelns, Blockierens gearbeitet. Der Körper wirkt wie verschlossen, eingesperrt, die sperrigen Bewegungen verstellen auch den Blick auf das Gesicht der Tänzer, verschleiern seine Identität. Und manchmal lassen die drei Männer ihre Glieder auf bizarre Weise verschmelzen, plötzlich winkt da ein verlängerter Arm mit drei Ellbogengelenken. Der Zuschauer reibt sich angesichts der absonderlichen Kreaturen die Augen und fragt: Ist das ein Mensch oder eine Maschine? Oder ein Alien?

„Ich war unzufrieden mit dem Tanz, wie ich ihn früher praktiziert habe“, erzählt Sadler. Die 1974 in Glasgow geborene Künstlerin hat zunächst klassisches Ballett, Modern Dance und Tap studiert, um dann ihre Ausbildung am Laban Centre in London abzuschließen. Als Tänzerin arbeitete sie unter anderem für renommierte Choreografen wie Wayne McGregor und Amanda Miller, von 1997 bis 2000 gehörte sie der spanischen Kompanie von Vicente Saez an. Als Choreografin hat sie dann neue Wege beschritten. Sadler interessieren Gesten und Bewegungen, die keine Gefühle ausdrücken, keine Bedeutung transportieren. „Es ist schwer, diese leeren, sinnlosen Gesten herzustellen“, sagt sie.

Sadler geht es bei ihren Zergliederungen und Abwandlungen um eine Anatomie des Unbewussten. „Das andere als das Unbekannte macht Angst, es ist chaotisch und anarchisch“, erklärt die Choreografin. Doch gerade diese anarchischen Möglichkeiten reizen sie.

In der britischen Tanzszene hat sie sich mit ihrer Position ziemlich isoliert gefühlt, erzählt sie. „Ich hatte das Gefühl festzustecken. Ich konnte meine Stücke nicht zeigen. Mir fehlten Leute, mit denen ich mich austauschen konnte. Aber ich wollte nicht als Exzentrikerin abgestempelt werden.“ Durch den Wechsel nach Berlin hat ihre Karriere neuen Schwung bekommen. Seit 2006 pendelt sie nun schon zwischen Glasgow und der deutschen Hauptstadt. Hier gilt sie keineswegs als Mad Woman. Denn in Berlin dominiert der Konzepttanz, und Colette Sadler fällt schon deshalb auf, weil ihre Stücke ein großes handwerkliches Können erkennen lassen.

Die Berliner Tanzszene findet Sadler sehr anregend: „Es gibt hier so viel Energie und Enthusiasmus. Es wird enorm viel produziert. Man begegnet ständig neuen Ideen. Und das Publikum ist sehr wach und interessiert.“ Doch sie bewegt sich nicht ausschließlich in Tanzkreisen. „Ich bin keineswegs ein Dance-Junkie,“ sagt sie. Als Sadler nach Berlin kam, besuchte sie viele Konzerte mit experimenteller Musik in Locations wie dem Ausland. Und sie geht gern in Museen oder schaut sich Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst an. Überhaupt seien ihre Arbeiten stark von der bildenden Kunst beeinflusst.

Auf die Frage, was sie in ihrer Wahlheimat Berlin vermisst, antwortet sie zunächst: „Meine Familie“. Und gesteht dann, dass ihr vor allem der britische Humor fehlt. Wenn es ganz schlimm wird, schaut sie sich auf Youtube Serien wie „Little Britain“, „The Office“ oder die „Catherine Tate Show“ an. Auch in Colette Sadlers Stücken lässt sich bei aller Strenge ein schwarzer Humor ausmachen. In „I not I“ mit seinen phantasmagorischen Körperbildern werden die Zuschauer jedenfalls kräftig auf den Arm genommen.

Sophiensäle, Fr 3.2., 20 Uhr (Premiere), und Sa, 4.2. , 20 Uhr

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