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Lichte Tage. Die Berliner Philharmoniker gastieren im Baden-Badener Festspielhaus.

© picture alliance / dpa

Die Philharmoniker in Baden-Baden: Kur und Moll

Bei ihren Osterfestspielen in Baden-Baden wollen die Berliner Philharmoniker mehr sein als durchreisende Stars.

Niederlagen sind die Berliner Philharmoniker nicht gewohnt. Mit einem ehrfurchtgebietenden 11:1 fegen die Musiker darum ihre Herausforderer vom Bundesjugendorchester vom Platz. Vor allem der jüngste Neuzugang der Berliner erweist sich dabei als Glücksgriff: Solo-Klarinettist Andreas Ottensamer, vom Deutschen Symphonie-Orchester zu den Philharmonikern gewechselt, ist ein echter Stürmer und Dränger.

Während also Simon Rattle mit dem Großteil seines Orchesters im Baden-Badener Festspielhaus die Bach’sche Johannespassion aufführt, deklassieren die Fußballnarren der Truppe im Aumatt-Stadion die deutsche Nachwuchselite. Mögen die Berliner offiziell auch eine Patenschaft für das Bundesjugendorchester übernommen haben, auf dem Rasen kennen die Profis kein Pardon.

Der Sensationssieg der Philharmoniker vor den Toren der Stadt allerdings bleibt weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ganz im Gegensatz zu den übrigen Aktivitäten, die die Berliner Musiker derzeit am Rande des Schwarzwaldes entfalten. 26 Auftritte in zehn Tagen, dazu allerlei Termine bei Einführungsveranstaltungen und Künstler-Talks – in Baden-Baden wollen die Philharmoniker mehr sein als durchreisende Stars. Und ihre Osterfestspiele soll mehr hergeben als eine Serie von Events, nämlich eine echte Residenz, inklusive Tuchfühlung mit der lokalen Bevölkerung. Und dabei sind sie erfindungsreich.

Wie es bei einem frei finanzierten Festival nicht anders möglich ist, kosten die Opernaufführungen mit den Berliner Philharmonikern in Baden-Baden zwischen 88 und 310 Euro, bei Sinfoniekonzerten liegen die Spitzenpreise um die 200 Euro. Aber es gibt eben auch die „Meisterkonzerte“. An 15 Terminen sind die Philharmoniker da für nur 15 Euro zu erleben, in den unterschiedlichsten Kammermusikformationen zu erleben, zu den unterschiedlichsten Tageszeiten.

Jeder der 128 Philharmoniker ist sowohl Teamplayer als auch Solist

So können die Berliner das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden und auch die weniger Betuchten erreichen und sich gleichzeitig als Individuen präsentieren. Jedes der 128 Mitglieder ist eben nicht nur ein Teamplayer, sondern auch ein potenzieller Solist. Christophe Horak zum Beispiel, einer der Stimmführer der 2. Geigen, spielt im Weinbrennersaal des Kurhauses mit betörendem Klang das Solo im Vorspiel zum dritten Akt der Verdi-Oper „I Lombardi alla prima crociata“. Das Scharoun Ensemble spielt Andreas N. Tarkmans „Verdiana“, die aus Nebenwerken des italienischen Meisters eine Suite für hohe Stimme und Kammerorchester macht. Die hohe Stimme ist dabei Mojca Erdmann, die das Publikum im selbstverständlich ausverkauften Saal mit ihrem strahlenden Sopran betört.

Alle „Meisterkonzerte“ der Philharmoniker sind rappelvoll, sogar die um 11 Uhr morgens. In schönster kollegialer Eintracht spielen die philharmonischen Flötisten Andreas Blau und Michael Hasel zu früher Stunde im Florentinersaal des Casinos. Wobei das Ambiente fast genauso beeindruckt wie die Virtuosität der Interpreten: Das Glück der Baden-Badener war ja, dass sich im 19. Jahrhundert Franzosen um den Glücksspielbetrieb kümmerten, vor allem ein gewisser Jacques Bénazet, der 1839 aus Paris kam, nachdem dort Louis Philippe alle Casinos geschlossen hatte. Die Heilquellen von Baden-Baden hatten schon die alten Römer zu schätzen gewusst, aber erst die Roulette-Lizenz machte den idyllisch gelegenen Ort zur Sommerhauptstadt Europas.

Bénazet bot der finanzkräftigen Kundschaft ein hochkarätiges Kulturprogramm und ließ seine Spielhölle von französischen Innenarchitekten nach neuestem Paris-Geschmack ausstatten; das zog damals auch viele reiche Russen an. Hier könnte jeden Moment Verdis Traviata um die Ecke biegen. Und tatsächlich war Alexandre Dumas einst mit Marie Duplessis in Baden-Baden, jener Edelkurtisane, der er in seiner „Kameliendame“ ein literarisches Denkmal setzen sollte.

Kristalllüster und Holzvertäfelungen in Gold und Elfenbein

Überladen wie das Palais Garnier wirkt der Florentinersaal im Casinogebäude, es gibt riesige Kristalllüster, die Holzvertäfelungen sind in den Farbtönen Gold und Elfenbein gehalten, darüber prangen Wandgemälde in Trompe-l’Œil-Technik. Aus musikalischer Sicht hat der ganze Zierrat sogar seinen Sinn. An den Ornamenten kann sich der Schall bestens brechen. Die Akustik ist hervorragend, und Flötist Michael Hasel erzählt zwischen den Opernparaphrasen, Zugabenschmankerln und Virtuosenstücken so unterhaltsam von den Komponisten und ihrem Leben, dass die eine Stunde, die so ein „Meisterkonzert“ eigentlich dauern soll, am Ende gut und gern 80 Minuten hat. Barockmusik in der Stiftskirche, Tangos mit Bratschen und Kontrabässen, Brahms in Brenners Parkhotel, ein Philharmonischer Salon im Theaterchen des Kurhauses – überall in der Stadt präsentieren die Philharmoniker das, was Simon Rattle eine „Tapas-Bar of music“ nennt.

Und manchmal spielt sogar die Natur mit. Von einer perfekten Lichtregie begleitet wird das Nachmittagskonzert im Museum Frieder Burda. Unter der Leitung des philharmonischen Perkussionisten Raphael Häger erklingen in dem von US-Architekt Richard Meier entworfenen Gebäude italienische Kompositionen des 20. Jahrhunderts, während sich draußen der Himmel über Baden-Baden wechselhaft zeigt. Dann aber bricht genau zum Schlussakkord von Malipieros „Canto Notturno“ unvermittelt die Sonne durch die Wolken und taucht die Halle in gleißendes Gold. Musik, bei der dem Publikum ein Licht aufgeht.

Arte zeigt am 20. April um 18 Uhr sowie 19.25 Uhr ein Konzert mit Sol Gabetta, Rattle und den Philharmonikern.

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