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Am anderen Ende des mythischen Meers: Georgien und die Krimkrise.

© dpa

Die postsowjetischen Staaten und die Krimkrise: Nostalgie für den Großen Bruder

Was bedeutet die Krimkrise für die Zukunft postsowjetischer Staaten? Und ist das Interesse für den Konflikt jenseits der EU zu gering? Drei Stimmen aus dem Berliner Exil.

Skypen verbindet. Tausende osteuropäischer „Skype Mamas“, die im Westen arbeiten, nutzen das digitale Bildtelefon, um mit ihren daheim gebliebenen Familien in Kontakt zu bleiben. Auch Ana-Felicia Scutelnicu erreicht man am besten via Skype – allerdings nur, weil die in Berlin lebende Absolventin der DFFB in ihrer alten Heimat Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, gerade ihren neuen Film vorbereitet. Es soll eine Art Fortsetzung von „Panihida“ werden, ihrem dokumentarisch anmutenden Spielfilm über einen absurden Beerdigungszug, für den sie in Rom und Los Angeles schon Preise gewann.

„Ich arbeite wieder in einem moldawischen Dorf und fast ausschließlich mit Laien“, erklärt sie und hat dabei erfahren, dass die russische Annexion der Krim nicht besonders kritisch gesehen wird. „Man kann eine Spannung, ein Warten auf etwas spüren. Denn die Konflikte sind latent auch hier vorhanden. Es gibt eine desorientierte, verzweifelte und vom Westen enttäuschte Bevölkerung, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nur Armut kennengelernt hat. Aus dieser Situation entsteht Nostalgie für den Großen Bruder.“

Die Republik Moldau ist ein kleiner, aus der früheren Sowjetrepublik hervorgegangener Staat zwischen Rumänien und der Ukraine. Vor einigen Jahren hat die Ukraine einige hundert Meter ihres Donauufers abgetreten, so dass ein Donauanrainer mit Zugang zum Schwarzen Meer entstanden ist. Das Eingezwängtsein zeigt sich auch in der sprachlichen Teilung: Viele sprechen Rumänisch, da das frühere Bessarabien vor seiner Annexion 1812 durch das Zarenreich lange Teil des rumänischen Fürstentums der Moldau war. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte es zu Groß-Rumänien, nach dem Zweiten kam es zur Sowjetunion.

Warum kämpfen, wenn es nichts zu verteidigen gibt?

Das hat sich auch nach der Staatsgründung bemerkbar gemacht, als ein schmaler Streifen Land am Dnjestr mit der Stadt Tiraspol als Stationierungsort der 14. Sowjetischen Armee sich von dem jungen Staat trennte. Als „Transnistrien“ (Pridnestrowien), ein von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkanntes Territorium, existiert es mit russischer Hilfe bis heute. Im Staatswappen trägt es noch Hammer und Sichel.

Für Scutelnicu wären kriegerische Auseinandersetzungen um Transnistrien oder die Republik Moldau allerdings absurd, „ein sinnloses Opfer, da es nichts zu gewinnen und nichts zu verteidigen gibt. Die Menschen sind arm – und arm dran. Sie sind von Angst beherrscht, von reichen Oligarchen und korrupten Politikern manipuliert und ausgebeutet.“

Zaal Andronikashvili kommt aus Georgien, vom anderen Ende des mythischen Meers. Für ihn ist die Krimkrise nichts Neues: „Georgien hat das Szenario mit den Abspaltungen von Abchasien und Süd-Ossetien hinter sich.“ Der Kulturwissenschaftler am Zentrum für Literaturforschung in Berlin sieht eine klare Linie im russischen Vorgehen. „Bei Putin hat sich das ideologische Muster eines Reichs entwickelt, das auf Nationalismus, Größe und Stärke setzt. Besonders wichtig ist ihm dabei die Verbindung mit der orthodoxen Kirche, die dies alles absegnet und in den Augen der Bevölkerung noch einmal besondere Weihen verleiht. In Ansätzen gilt dies auch für die Orthodoxie in Georgien.“

"Das ist keine Krise, sondern ein Krieg - nur bisher ohne Panzer."

Besondere Sorgen bereiten ihm die Militarisierung des Schwarzmeerraums und EU-Stimmen, deren neuem Großmachtdenken zufolge „kleinere Staaten“ unwichtig werden oder gar als absurde „souveräne Pufferstaaten“ gedacht werden. Die EU habe in ihrer langjährigen Auseinandersetzung mit den postsowjetischen Strukturen nie gefragt, ob sich Russland überhaupt verwestlichen wolle. „Im Falle Georgiens hat Westeuropa dieses immer in Richtung Aserbaidschan, Mittelasien verortet und die westliche Orientierung übersehen. Heute gehört Georgien geopolitisch aber eher zur Republik Moldau und der Ukraine.“

"Es geht um Kontrolle, nicht Anschluss"

Destabilisierung erkennt auch der ukrainische Historiker Andrij Portnov als Ziel der Krim-Aktivitäten. Er verließ noch unter Janukowitschs Herrschaft seine Heimat, als er die Freiheit der Wissenschaft nicht mehr gewährleistet sah. Am Wissenschaftskolleg arbeitete er als Fellow an einer größeren Studie über die Geschichte seiner Heimatstadt Dnjepropetrowsk; nun ist er Gastdozent an der Humboldt-Universität. „Es ging Putin nie allein um die Krim, die war nur eine Station. Es geht darum, die Ukraine als souveränen Staat zu zerstören – also um Kontrolle, nicht Anschluss.“

Die Menschen in der Ostukraine hält Portnov für überwiegend passiv. Bei der Vorstellung des Buches „Majdan! Ukraine, Europa“ (Edition FotoTAPETA) beschrieb er die Situation als gefährlich „auch für Deutschland. Dies ist keine Krise, sondern ein Krieg – nur bisher ohne Panzer.“ Portnov beklagt das mangelnde Interesse für die postsowjetischen Staaten jenseits der EU. Seine Frustration ist verständlich: Die gut 20 Jahre ihrer Existenz haben daran bis heute nur wenig geändert.
Andrij Portnov spricht am 12. Mai im Wissenschaftskolleg über „The Ukrainian War and the New World Order“. Ana-Felicia Scutelnicus Film „Panihida“ hat am 22. Mai Premiere im Berliner Kino Krokodil.

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