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Kultur: Die Quadratur der Gitarre

Oasis waren die Größten: Zehn Jahre danach versuchen sie es noch einmal – gejagt von einer neuen Britpop-Generation

Im Durchschnitt dauert eine Popkarriere in England nur noch zweieinhalb Jahre. Das hat der „Guardian“ herausgefunden und gleich die Biografie einer fiktiven Band geschrieben, die „The Thrillers“ heißt. Es fängt ganz harmlos an, im November: Ein paar Freunde tun sich zusammen, bei ihrem ersten Auftritt in einem nahe gelegenen Club, dessen Inhaber die Eltern kennen, stehen nur Freunde im Publikum. Drei Monate darauf nehmen sie ein Demotape im Schlafzimmer des Schlagzeugers auf und stellen die Songs als MP3-Dateien auf ihre Homepage. Das entgeht den Spürhunden der Plattenfirmen nicht. Nach einem Konzert, bei dem niemand tanzt, aber wenigstens ein paar andächtig mit den Köpfen nicken, müssen die Musiker viele Fragen beantworten. Im Mai erscheint eine erste Mini-LP bei einem Independant-Label, das Pop- Magazin „NME“ widmet ihnen eine wohlwollende Konzertkritik, die den Haarschnitt des Sängers lobt. Im Juli unterschreiben sie bei einem Major-Label, jemand findet, sie seien „the best new band in Britain“. And off they go ...

Die Thrillers gibt es nicht, aber dieselbe Geschichte könnte auch von Arcade Fire, The Vines, The Dears, Magic Numbers, The Departure, The Others oder The Killers handeln. Die britische Popmusik erlebt derzeit einen Boom an jungen, aufregenden Bands, wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Eine neue Britpop-Welle ergießt sich über die Insel und schwappt auch ans Festland, wo die Debütplatten von Überraschungsgruppen wie Franz Ferdinand und Bloc Party als Offenbarung in Sachen Gitarren-Rock, Energie, Dramatik und Aufrichtigkeit gefeiert werden. Maximo Parks „A Certain Trigger“ (Warp-Records) und „Employment“ von den Kaiser Chiefs (Universal) sind die jüngsten Vitalitätsbeweise. Angesichts dieser Dynamik titelte das „Q“-Magazin ahnungsvoll: „The Britpack – warum britische Musik 2005 die Welt erobern wird.“

Das mag zu viel der Euphorie sein. Noch immer sind viele Hoffnungsträger am Bollwerk USA gescheitert, darunter Robbie Williams und Oasis. Und ohne Amerika erobert zu haben, ist die Welt einfach nicht genug. Trotzdem werden nun Independent-Bands als Protagonisten einer british invasion gehandelt, die meist kaum länger als drei Jahre zusammenspielen, genauso lang, wie die Britpop-I-Heroen Liam und Noel Gallagher von Oasis benötigten, um ihr am Montag erscheinendes sechstes Album „Don’t believe the Truth“ fertigzustellen (SonyBMG).

„Die Frau dort“, schilderte jüngst Kaiser-Chiefs-Sänger Ricky Wilson einem Reporter und deutete auf eine junge PR-Dame, „hält mich aus irgendeinem Grund für den Tourmanager. Sie bringt mir ständig Formulare wegen Leuten, die einen Foto-Pass haben wollen. Ich frage mich, ob sie Liam Gallagher auch mit einem Formular behelligen würde.“ Der 27-jährige Wilson sieht wegen seiner Vorliebe für altmodische Herren-Hüte wie ein Komiker aus, ein freundlicher Witzbold, der auch als Versicherungsmakler durchgehen würde. Seine Texte spielen mit altenglischen Floskeln und prophezeien einen Aufruhr, der nie kommen wird („I Predict A Riot“). Seine Begeisterung für schwule Männer und eine gewisse bürgerliche Zurückhaltung ist meilenweit entfernt von dem grimmigen Proleten-Image, das Quälgeist Liam Gallagher verbreitet, ein Choleriker, dem es beliebt, Fotografen anzufallen, sich die Schneidezähne ausschlagen zu lassen und seine Band-Kollegen anzuschreien. Ein Typ von purer Handgreiflichkeit. Kurz: ein Ereignis. Für Wilson ist er ein Idol, „der coolste Kerl, den es je gab“. Obwohl Liam nicht an verächtlichen Bemerkungen über sämtliche Nachfolger spart, die in die Fußstapfen der Oasis-Brüder zu treten drohen. „A bad Blur“ nannte er die Kaiser Chiefs, noch schlechter als Blur – mit denen lag er Mitte der Neunziger in leidenschaftlichem Clinch. Wilson ficht das nicht an: „Jemand, dessen Poster ich in meinem Zimmer hängen hatte, macht sich Gedanken über uns, das ist großartig.“

Oasis waren einmal die Größten. Sie eroberten die Domäne des Power-Rock für die Mittelstandskinder, die Fußball liebten und sich nicht unbedingt in Lederklamotten zwängen wollten. Ein Militärparka tat’s auch. Mit „Definitely Maybe“ (1994) und „(What’s the Story) Morning Glory?“ (1995) schufen sie ragende Platten, die von „Don’t Look Back In Anger“ noch übertrumpft wurden, der hymnischen Zeitgeist-Epistel. Danach folgte der musikalische Abstieg („Please don’t put your life in the hands/ Of a rock’n’roll band/ They’ll throw it all away“). Mit endlosen Umbesetzungen und einem kreativen Zermürbungskrieg schienen sich die Brüder Gallagher immer weiter unterbieten zu wollen.

„Don’t believe the Truth“ hält diesen Abwärtstrend auf. Das um Schlagzeuger Zak Starkey – Sohn von Ringo Starr – erneuerte Quintett dengelt mit schlingerndem Pathos durch den von Bassist Andy Bell geschriebenen Opener, Liam nörgelt mit gewohnter Blasiertheit Sätze wie „So if you see me/ And I look right through/ You shouldn’t take it/ As a reflection on you.“ Das ist bitter, das ist böse – und gut. Vielleicht hat geholfen, dass die Band erstmals als Kollektiv funktionierte. Obwohl die mit Abstand schönsten Songs (vor allem: „The Importance Of Being Idle“) aus der Feder von Mastermind Noel stammen, konnten sich doch drei Stücke von Liam sowie drei der anderen Mitstreiter auf die Platte retten. Er sei einfach überfordert gewesen, gibt der 37-jährige Noel in Interviews zu, ein ganzes Album mit seinen Ideen zu bestücken; umso mehr, da er sich seit Jahren leergeschrieben fühlt und nur wiederholt, was er schon einmal gesagt hat, als er es sagen musste.

Trotzdem strahlt die Platte wieder etwas von der früheren Grandiosität aus, der britische Rockmusiker vergeblich nacheifern. Es schiebt sich „Mucky Fingers“ ins Ohr, die an Velvet Underground gemahnende Verzweiflungsode eines Großstadtneurotikers, gefolgt von dem polternd-überschwänglichen Anbetungslied „Lyla“; auch „Part Of A Queue“ ist als Reminiszenz an die Stranglers („Golden Brown“) eine gelungene Vereinsamungsfantasie.

„Hey szenesters, hey hey szenesters“, rufen derweil The Cribs all ihren Musiker-Kollegen, Freunden und Verbündeten zu und intonieren das Verschworenheitsgefühl jener Generation, die Oasis beerben will. Das Gebrüder-Trio Gary, Ryan und Ross Jarman aus Wakefield, Yorkshire veröffentlicht Mitte Juni sein zweites Album „The New Fellas“ (V2 Records). Es verkörpert den entzückt-glühenden Idealismus, wie er nur in der Perepherie entsteht, wo man sich unterlegen fühlt und umso energischer daran arbeitet, gute Rocksongs zu erfinden. Mit rührender Demut und bemerkenswerter Frische wird die simple Quadratur des Gitarren-Rock aufgegriffen und bereichert um überraschende Tempowechsel, dramatische Gesten und drängende Beats.

„Generation Dankbarkeit“ tauft die britische Presse denn auch die Britpack- Bands, die aus Orten wie Newcastle, Sunderland, Leeds, Hoylake und, na klar, aus London stammen. Doch liegt in deren rasantem Aufstieg auch etwas Beängstigendes. Weil er so berechenbar ist. Erfolg wird zur Formel. Der Reiz einer „Feuerwerk-Karriere“ („Guardian“) erfüllt sich auch in ihrem Scheitern. So geraten die Thrillers, Dorian Lynskeys Als-ob- Band, ins Straucheln, als alles wie am Schnürchen läuft. Im Januar ihres zweiten Profijahres werden sie als „best new band“ geehrt. Sie schreiben immer neue Songs, während sie in ihrem Tourbus durch die Lande tingeln, einige davon beschreiben das Leben im Tourbus. Als das lang erwartete zweite Album im Juni erscheint, sind die Kritiken lauwarme Abgesänge. Es höre sich an wie das Erste, nur eben nicht mehr ganz so gut. Diesen Niedergang haben Oasis jedenfalls überstanden.

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