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Kultur: Die Quadratur des Grauens

Krieg und Frieden (7): Kriegsfotografen gelten als Helden ihrer Zunft. Doch erst der Blick des Zuschauers macht das Bild

Gleich zu Beginn von Christian Freis filmischem Porträt des Fotografen James Nachtwey – „War Photographer“ – darf man den Redakteuren des „Stern“ dabei zuschauen, wie sie Bilder von Nachtwey für eine Fotostrecke über „die neuen Kriege“ aussuchen. In der antiseptischen Atmosphäre deutscher Redaktionsstuben verlieren die Fotos vom Krieg jeden konkreten Bezug zu Raum und Zeit. Das abgebildete Leid ist nur noch den Maßstäben von Ästhetik und Wirkung unterworfen. Nein, das sei ihm zu „graphisch und unemotional“, meint einer der Redakteure. „Das mit den Leichenbergen“ dagegen findet ein anderer „super“. Bei einem weiteren Bild, welches Leichen zeigt, die gerade von einem Lastwagen gekippt werden, fragt man sich, ob denn zu erkennen sei, dass die Leichen diesmal nicht aus Afrika stammen – etwas mehr Kolorit ist offenbar erforderlich. Als Fazit dieser Diskussion könnte zweifellos folgender Satz eines Redakteurs stehen: „Da hast du diese armen Menschen da.... Sieht ja super aus.“

Dass es bei der Kriegsfotografie unter Umständen nur noch darum geht, das der abgebildete Gegenstand „super aussieht“, diese Auffassung teilt James Nachtwey selbstverständlich nicht. Er wird im Film und auch bei anderen Gelegenheiten niemals müde, als Ausgangspunkt seiner Tätigkeit die kritische Fotografie des Vietnam-Krieges zu benennen – eine Fotografie, die „straightfoward documentary“ gewesen sei und dem Zuschauer mitteilte, „what was really happening on the ground level“. Ganz im Sinne dieses Realismusgebots weist er in einem Interview mit „The Independent“ insbesondere auf Huyngh Cong „Nick“ Uts legendäres Bild „Terror of War“ hin, welches das vietnamesische Mädchen Kim Phuc zeigt, das nackt auf einer Straße vor einem Napalm-Angriff davonrennt.

Doch weit entfernt davon, tatsächlich ein Vorgänger von Nachtweys Arbeit zu sein, bildet jenes Bild vielmehr den Kontrapunkt seiner Tätigkeit. Ebenso wie die beiden anderen, ikonisch gewordenen Fotos des Vietnamkonfliktes – jenes des buddhistischen Mönches, der sich aus Protest verbrennt, und jenes von General Loan, der während der TET-Offensive einen Vietcong erschießt – handelt es sich bei Uts Bild um einen spontanen „Schnappschuss“, um eine schlechte Kopie ohne jeden künstlerischen Anspruch.

Zu schön, um wahr zu sein?

Nachtweys Fotos dagegen sind trotz des dokumentarischen Anspruchs des Magnum-Fotografen höchst präzise eingestellt und makellos ausgeleuchtet. Dafür nimmt sich Nachtwey, was auch im Dokumentarfilm zu sehen ist, angesichts seiner „Objekte“ geradezu frivol viel Zeit. Seine Bilder arbeiten ihren Gegenstand klar heraus und sind grandios komponiert. Zudem ist die Kopie stets von brillanter Qualität. „Sein Blick“, schreibt Richard B. Woodward in einer scharfen Kritik in der New Yorker Zeitschrift „Village Voice“, „wird vielmehr von ästhetischer Neugier geleitet als von einer Ablehnung der Gewalt. Nachtwey ist in etwa so viel Anti-Krieg, wie Herb Ritts Anti-Mode ist.“

Tatsächlich macht auch der Film „War Photographer“ deutlich, dass Nachtwey eine Art Freak des Krieges ist. Die Verwerfungen des Kampfes und ihre Spuren auf den Körpern der Menschen sind für ihn eine höchst private und zutiefst voyeuristische Erfahrung. Diese Erfahrung verwandelt er schließlich in eine ebenso private Kette von Bildern, wobei seine „Fundstücke“ seltsam flimmern – sie oszillieren zwischen der Behauptung, hier handle es sich um ein bedeutendes Dokument der Zeitgeschichte, der Abbildung eines zweifellos pittoresken Objektes sowie dem Herausstellen der Schönheit dessen, was auf auf den Bildern zu sehen ist.

Freilich steht Nachtwey mit dieser Arbeitsweise nicht allein: Auch die anderen Stars der Kriegsfotografie, etwa Gilles Peress oder Simon Norfolk arbeiten teilweise ganz ähnlich. Sowohl die Bilder, die Magnum-Fotografen von den Ereignissen des 11. September aufnahmen, als auch Norfolks preisgekröntes Buch „Afghanistan Zero“ zeigen die bizarre Schönheit der Zerstörung an zwei miteinander zusammenhängenden „Nullpunkten“ des Krieges. Das 11.-Septbember-Buch der Fotografen zeigt zudem, dass das Diktum des Magnum-Gründers Robert Capas, der Fotograf müsse möglichst „nahe dran“ sein an seinem Objekt, mittlerweile modifiziert wurde: Bei dieser Art der Fotografie gehen die Protagonisten offenbar genau so nahe heran, wie es ihnen noch möglich ist, die Eleganz der Perspektive und andere künstlerische Parameter ihrer Arbeit unter Kontrolle zu behalten.

Ebenso wie Nachtwey halten auch die anderen Magnum-Fotografen ihren dokumentarischen Anspruch zumindest verbal aufrecht, während sie bei ihren Arbeiten immer mehr wie Künstler vorgehen. So entsteht auch in den Bildern selbst ein seltsamer Zwitter – etwas, was man als „Doku-Malerei“ bezeichnen könnte. Nun wäre es naiv, gegen diese Fotografen den Vorwurf der Ästhetisierung zu erheben und damit den aus der Fotografie-Geschichte allzu bekannten Streit zwischen Piktorealismus und Dokumentarismus noch einmal aufzuwärmen. Seit den ersten Kriegseinsätzen von Fotoreportern, also seitdem der englische Fotograf Robert Fenton im mittleren 19. Jahrhundert seine ersten Bilder vom Krieg auf der Krim schoss und seitdem darauf der Portraitfotograf Mathew Brady den Bürgerkrieg in den USA aufnahm, schwankte die Kriegsfotografie zwischen dokumentarischem Anspruch und der Neigung zu einer Ästhetisierung, die stets sowohl den kommerziellen Interessen von Seiten der Presse als auch einem politischen Verlangen nach Propaganda von staatlicher Seite in die Hände zu spielen drohte.

Selbstverständlich beruht, wie etwa Susan Sontag herausgearbeitet hat, die Hauptwirkung der Fotografie auf der Ästhetisierung – das hat auch immer schon für den Dokumentarismus gegolten. Die Frage ist lediglich: Wie verhalten sich die Fotos zu dieser Ästhetisierung? Es wäre jedoch falsch, diese Frage von der Intention der Fotografen her zu beantworten, also zu ermitteln, ob sie etwa engagiert sind oder nicht. Tatsächlich lässt sich diese Frage nur vom Standpunkt dessen stellen, was Jacques Lacan als den „Blick“ bezeichnet hat. Lacan hat verdeutlicht, dass der Betrachter keineswegs der zentrale Ausgangspunkt der Perspektive ist, sondern dass das Bild gewissermaßen „zurückblickt“ und ihm in einem Gesamt-„Tableau“ einen Platz zuweist.

In seinem historischen Abriss „Bilder vom Krieg“ hat Rainer Fabian dieses Problem implizit beschrieben, als er bemerkte: „Der Napalmkrieg verfolgte den Amerikaner wie das schlechte Gewissen. Wenn er beim Frühstück mit Cornflakes und Toast die Morgenzeitung aufschlug, sah der Krieg ihn an.“ Insofern geht es darum, wie der Krieg aus den Bildern zurückschaut und wo das Bild den Betrachter im Tableau des Krieges plaziert.

Ruanda? Bosnien? Alles eins?

Vergleicht man in diesem Sinne etwa Philip Jones Griffiths klassischen Essayfotoband „Vietnam Inc.“ und Nachtweys Band „Inferno“, so fallen die Unterschiede ins Auge. Griffiths Bilder integrieren den Betrachter der Opfer und die Bilder der US-Soldaten scheinen sich bei denjenigen, welche die Bilder anschauen, zu erkundigen: Warum tun wir das? Was machen wir eigentlich hier? Dabei sprechen Griffiths bewusst beiläufig-dokumentarische Fotos von einem zeitlich und räumlich lokalisierbaren Konflikt. Auch die Kriegsfotos von Nachtwey schauen den Betrachter zunächst als quasi-dokumentarische Bilder an, auch sie reservieren im Tableau für den Rezipienten einen Ort als Subjekt mit einem Gewissen, einem schlechten Gewissen. Allerdings fragen die Bilder eher allgemein-ungenau: Warum geschieht so etwas? Dazu passt, das die Konflikte eben überhaupt nicht mehr lokalisierbar sind – im Tableau verschwimmen Somalia, Bosnien-Herzegowina, Ruanda, Tschetschenien zu einer Gesamt-Naturkatastrophe, zu einem kaum noch differenzierten Daueranlass für Fotos des Elends.

Schließlich sind die Bilder keineswegs beiläufig, sondern tragen deutlich sichtbar alle Spuren einer künstlerischen Bearbeitung. „Das Schöpferische am Fotografieren“, hatte Walter Benjamin bereits 1931 scharfzüngig bemerkt, „ist dessen Überantwortung an die Mode“. Daher gliedern diese Bilder den Betrachter offenbar als Konsumenten solcher Bilder ein – als Konsumenten mit einem schlechten Gewissen. Nachtweys Bilder fügen sich zum privaten Fotoalbum des Krieges, das musealisiert wird.

Derzeit offenbaren die Bilder vom Krieg ein unverhohlenes Einverständnis mit der im Spiel der Kamera angelegten Tendenz zur Ästhetisierung. Aufschlussreich ist dabei die Tatsache, dass nicht jene Dokumentarfilme Aufmerksamkeit auf sich ziehen, welche den Krieg zum Thema haben, sondern ein Film über den Fotografen des Krieges – „War Photographer“ erhielt sogar einen Oscar. Objekt des Interesses ist der Spieler mit der Kamera – das neobürgerliche Subjekt, welches durch die Apparatur eine Welt des Krieges, die ihn nicht mehr direkt berührt, zum Material einer Symbolisierung macht.

Tatsächlich gilt im Westen der Fotograf als der wahre Krieger – nicht umsonst werden gerade die Fotos jener Fotografen wiederentdeckt, die Vietnam als Abenteuerspielplatz betrachteten und ihren „Einsatz“ teilweise mit dem Leben bezahlten – Tim Page, Larry Burrows, Sean Flynn. Zu den wirklichen Teilnehmern am jeweiligen Krieg lässt sich ohnehin keine reale Beziehung mehr aufnehmen. Aktiv ist nur noch die Symbolisierung des Krieges – dem Krieg selbst stehen Fotograf wie Betrachter völlig passiv gegenüber.

Doch obwohl der westliche Betrachter gewissermaßen als sekundärer War Photographer agiert, muss man davon ausgehen, dass diese Erfahrung durchaus einen realen Charakter besitzt – gerade angesichts der Tatsache, dass die „Doku-Malerei" eine naturalistische Erlebnisweise vorgibt. Mittels der technischen Bilder werden die Konsumenten solcher Bilder im Westen zu „Spielern“ in einem ästhetischen Kriegszustand – sie erleben den „Krieg als Massenkultur“. Und obwohl das „Kriegsspiel“ keine körperliche Berührung zulässt, könnte man vermuten, dass die künstliche Nähe und Penetranz der technischen Bilder „seelische“ Auswirkungen hat. Gerade weil die einzig mögliche Aktivität im Vorgang der Symbolisierung liegt, reagiert der funktionslose Körper gegenüber dem ästhetischen Kriegszustand mit unspezifischen, fortwährenden Gefühlen von Stress und Angst.

Der Autor veröffentlichte zuletzt „Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert“ (gemeinsam mit Tom Holert), Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002.

Bisher erschienene Folgen unserer Serie „Krieg und Frieden“: Theater (8.1.), Literatur (11.1.), Film (18.1.), Witz und Satire (24.1.) Philosophie (8.2.), Popmusik (14.2.). Demnächst: Klassik.

Mark Terkessidis

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