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Kultur: Die Rache der Bronx

Seit Anfang Juli gibt es zwei Klassen von Menschen in Manhattan. Die einen, die große Mehrzahl, haben eine Telefonnummer mit der klassischen Vorwahl 212.

Seit Anfang Juli gibt es zwei Klassen von Menschen in Manhattan. Die einen, die große Mehrzahl, haben eine Telefonnummer mit der klassischen Vorwahl 212. Das ist die Vorwahl, die so typisch ist für Manhattan wie gelbe Taxis, Bagels oder Joggen um das Wasserreservoir im Central Park am frühen Morgen. Dann gibt es noch die anderen, und die haben leider bloß die 646.Es ist nämlich so, daß pro Vorwahl nur eine endliche Anzahl von Telefonnummern zur Verfügung steht, 7,9 Millionen sind es genau. Die Bevölkerung Manhattans, und insbesondere die Telefondichte dort, hat aber nun den Punkt erreicht, wo eine drohende 212-Knappheit die Telefongesellschaft Bell Atlantic zwang, eine zweite Vorwahl einzuführen. Das ist eben die 646. Muß man hinzufügen, wie demütigend es ist, demnächst so eine Vorwahl verpaßt zu bekommen? Statt einer 646 auf der Visitenkarte könnte man ebensogut ein großes Schild auf dem Rücken tragen: "Tritt mich - ich bin ein frisch zugezogenes Landei."Natürlich ist auch hier und dort Schadenfreude vernehmbar, insbesondere in den outer boroughs The Bronx, Brooklyn und Queens, deren Bewohner schon seit längerem auf die Vorwahl 718 verwiesen sind. Was soviel heißt wie: "Achtung, ich bin ein Vorortbewohner und kann mir eine Wohnung in Manhattan nicht leisten." Vor 14 Jahren ist die Stadt telefonisch geteilt worden, und manche haben sich von diesem Trennungsschmerz immer noch nicht erholt. Die genießen nun die verdiente Rache.Wenigstens eins ist in New York möglich: Wer umzieht, darf seine alte Nummer mitnehmen. Andererseits besteht auch für die Zugezogenen noch Hoffnung. Es werden ja immer wieder 212-Nummern frei, heißt es bei Bell Atlantic, durch Tod, Geschäftsaufgabe, Fortzug, und die werden natürlich wieder vergeben, nach dem Zufallsprinzip. Nach dem Zufallsprinzip? Wie wir New York so kennen, dürfte sich bald ein blühender Schwarzmarkt für die 212 entwickeln. Denn wer würde es sich in der Stadt, in der Image alles ist, nicht einiges kosten lassen, kein Landei zu sein?

EVA SCHWEITZER

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