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Kultur: Die Räuberbande

Im Konzerthaus inszeniert die Berliner Operngruppe Verdis „I Masnadieri“ – mit Laien und Profis.

Zum dritten Mal rufen sie jetzt ihren „Capitano“, zum dritten Mal heben die Streicher ihre Instrumente an den Hals. Aber Felix Krieger ist nicht zufrieden: „Da muss mehr Fleisch rein!“ Der Dirigent lehnt im Ferenc-Fricsay-Saal des RBB-Sendezentrums an der Masurenallee auf seinem Hocker und wippt vor und zurück. Geprobt wird der vierte Akt von Verdis Schiller-Vertonung „I Masnadieri“, der Auftritt der Räuber steht an.

Krieger lehnt sich zu seinem ersten Geiger. Ein Crescendo zu Fortissimo solle das Orchester spielen, dabei „das Crescendo sofort schlagen“. Dann ruft er hoch zum Chor: „Ihr müsst die Konsonanten im Gesang richtig rausspucken.“ „Capitano! Capitan!“, spuckt also der Chor, und die Streicher wachsen ins Laute.

Die, die hier proben, gehören zur Berliner Operngruppe, einer außergewöhnlichen Zusammenkunft von Amateurmusikern und Profis. Wer ins Orchester schaut, sieht 20-jährige Studenten der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ oder der UdK neben passionierten Hobbymusikern. Er sieht Solisten wie die rumänische Sopranistin Aurelia Florian neben Sängern aus Berliner Laienchören. Vor allem sieht er „ausnahmslos erstaunliche Talente“, wenn er mit den Augen Felix Kriegers auf das Ensemble schaut.

Krieger, der unter anderem an der Staatsoper dirigiert und diese Saison in Paris debütieren wird, hat die Berliner Operngruppe 2007 gegründet. Ihr Markenzeichen: die Aufführung von Raritäten, vor allem des frühen Verdi – 2010 „Oberto“, 2012 „Attila“, jetzt „I Masnadieri“. Die Stücke werden jeweils nur ein einziges Mal aufgeführt, anfangs noch im Radialsystem, 2013 zog die Truppe dann, mit Bellinis „Beatrice di Tenda“, bereits ins Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

Früher musste Krieger nach Solisten fahnden, heute fragen sie bei ihm an

Als „Talenteforum“ versteht Krieger das gemischte Ensemble, und als „Liebhaber-Schule“ gleichermaßen. Für die Studenten biete die Operngruppe die frühe Chance, Orchesterluft zu schnuppern. Die Profis können „auch mal Lehrer sein“. Und für die Amateure – oder „Liebhaber“, wie sie innerhalb der Operngruppe anerkennend genannt werden – bringt das Engagement die Möglichkeit, ihr Hobby vors Publikum zu tragen. Viele der „Liebhaber“ haben in ihrer Jugend musiziert, aber dann „einen anständigen Beruf ergriffen“, feixt Krieger. Umso mehr ist er dankbar, dass sich die Mitglieder seiner Operngruppe ihre Leidenschaft für die Klassik bewahrt haben. Dass hier Laien im Ensemble sitzen, spürt man kaum: Das Ensemble erschafft Belcanto-Aufführungen, die in Berlin ihresgleichen suchen.

Musste Krieger in den ersten Jahren mit Flyern nach Talenten fahnden, fragen heute Solisten extra an, um am Projekt mitzuwirken. Neben Aurelia Florian, die an der Deutschen Oper singt, bestücken unter anderem Xavier Cortes und Alfredo Daza (Staatsoper) das Ensemble. Im Fricsay-Saal, sonst Heimat des Deutschen Symphonie-Orchesters, sitzen die Solisten nun nahezu unscheinbar hinter dem Dirigenten und begleiten die Proben mit leiser Stimme. Krieger weiß, dass er sich um sie nicht groß kümmern muss – die Integration kommt von allein. Drei Wochenenden probt die Operngruppe für eine Aufführung, erst zum letzten kommen die Solisten hinzu. „Die sind dann immer überrascht, welch hohem Niveau sie hier begegnen“, sagt Krieger. Die Proben und Honorare für die Solisten finanziert die Operngruppe aus Spenden, weshalb sie jährlich um ihren Fortbestand zittert. Öffentliche Unterstützung gibt es nicht. Und anders als bei der geachteten „Chelsea Opera Group“ von Sir Colin Davis, die der Berliner Operngruppe Vorbild ist, zahlen die Mitglieder keine Beiträge, um musizieren zu dürfen.

Wie der junge Verdi experimentiert die Truppe und sucht nach Unkonventionellem

Als Krieger 2007 begann, Gelder für seine Unternehmung zu sammeln, lachten die Kollegen: zu ambitioniert, zu exotisch. Dabei ist es gerade diese Exotik, die das Projekt im operngesättigten Berlin am Leben hält. So ein bunter Haufen aus allerlei musikalischen Ecken, sagt Krieger, das sei eigentlich „typisch Berlin“: „In dieser Stadt tummeln sich jede Menge versteckte Talente.“ Es ist also kein Zufall, dass für den fünften Auftritt der Gruppe das Räuberstück „I Masnadieri“ ausgewählt wurde. Denn auch der junge Verdi hat lustvoll experimentiert und nach Unkonventionellem gesucht. Diese Stücke, meint Krieger, „bringen genau die Energie mit, die wir hier in unserem Cast wiederfinden“. Zu dem gehört auch Takuya Kishimoto, 24, aus Japan. Seit einem Jahr studiert der Tubist an der Hanns-Eisler- Schule – nun spielt er Cimbasso, eine Ventilposaune, die vom Charakter her nahe an der Basstuba ist. Das Instrument soll es nur zwei Mal in Berlin geben, Kishimoto hat das Glück, es für „I Masnadieri“ spielen zu dürfen. „Der Klang ist stärker und härter als der der Tuba“, erklärt er. Verdi, kein Freund der Tuba, habe genau das geschätzt. Kishimoto sitzt nun vor einem Instrument, das sich wie eine Tuba anfühlt, doch wie eine Posaune anhört. Die Operngruppe, sie ist für viele der Teilnehmer auch eine Art Unterricht.

Für die Amateure heißt das, die Lust am Musizieren wiederzuentdecken. Der 70-jährige Lehrer aus Kreuzberg singt nun im Chor. Der 53-jährige Wirtschaftsanwalt holt nun die Leidenschaft nach, die er einst dem Jurastudium opferte: Geige spielen. Und für Dirigent Krieger heißt das, Musik wieder als Handwerk erleben zu können. Bei einem professionellen Orchester kann er nicht viel mehr als „die Sahne auf den Kuchen bringen“. Aber die Operngruppe, so Krieger, die sei noch richtiges „Kuchen backen“.

„I Masnadieri“ am heutigen Mittwoch, 20 Uhr, Konzerthaus am Gendarmenmarkt

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