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Kultur: Die rebellische Muse

Charlotte von Kalb inspirierte Schiller, Hölderlin und Herder. Nun wurde ihr Grab in Kreuzberg restauriert

Ein Satz, so lieblos wie ein Fallbeil. „Eine Frau, die ein vorzügliches Wesen ist, macht mich nicht glücklich“, hat Friedrich Schiller über sie geschrieben. Charlotte von Kalb, die Dichtermuse, Geliebte und Freundin, war zu selbstbewusst und intelligent für die klugen Männer ihrer Zeit. Die Namen ihrer Freund- und Liebschaften lesen sich wie ein Who is who der deutschen Klassik: Schiller, Hölderlin, Jean Paul, Herder. Auch Goethe, der mit der Frau von Stein eine vergleichbar unmögliche Liaison durchlebt hatte, schätzte sie. Sie selbst verbündete sich in ihrer Weimarer Zeit mit dem alternden Herder eher gegen den kaltblütigen Dichterfürsten. Am 25. Juli jährt sich der Geburtstag Charlotte von Kalbs zum 250. Mal.

Für Schiller oder Jean Paul hätte sich Charlotte, eine geborene Freifrau Marschalk von Ostheim aus uraltem fränkischen Adel, sofort von ihrem ungeliebten Mann scheiden lassen. Ihr Instinkt war nicht falsch: Heinrich von Kalb, ein Offizier mit Spekulationssucht, brachte 1804 gemeinsam mit seinem Bruder, der eine Schwester Charlottes geheiratet hatte, das Familienvermögen der Ostheims durch. Er erschoss sich 1806; später auch der älteste Sohn, jener Fritz, den der junge Hölderlin als Hofmeister erzogen hatte. Aus Charlottes ehelichen Fluchtversuchen – beide lange vor der ersten Katastrophe – wurde indes nichts. Schiller wie Jean Paul heirateten, nachdem sie von ihr bestürmt worden waren, intellektuell anspruchslosere Frauen, die stattdessen häuslich und anpassungsfähig waren. „So sind die guten Weiber“, resümiert Jean Paul sein Eheglück kurz nach der Trennung von Charlotte, „die weiblichen Kraftgenies hingegen sind wie wir“.

Charlotte von Kalb – im Verständnis ihrer Zeit ein weibliches Kraftgenie, ein „männlicher“ unabhängiger Geist – blieb festgelegt auf die Rolle der Frau, die möglichst lautlos im Hintergrund wirkt. Gelegen hat ihr so etwas nicht. Am Bild der unterforderten, von anderen verehrten, doch nicht wiedergeliebten Frau ließ sich auch posthum nicht mehr viel retuschieren. Ihre Memoiren und die – aus heutiger Sicht eher bescheidenen – eigenen literarischen Erzeugnisse gab erst ihre Tochter Edda heraus. In kaum einer deutschen Literaturgeschichte fehlt sie jedoch: als Muse und für die Zeitgenossen leicht wiedererkennbares Vorbild literarischer Gestalten. Als Autorin hingegen wurde sie schnell und gründlich vergessen.

Charlotte von Kalb ist bis heute die bekannteste Unbekannte der deutschen Literaturgeschichte. Eine doppelt tragische Figur, jahrzehntelang ihrer Zeit voraus und schließlich doch vom Leben überholt. 1843 starb sie hochbetagt, völlig verarmt und erblindet in Berlin – vermutlich in einem wenig repräsentativen, von einer mitfühlenden Preußenprinzessin mietfrei zur Verfügung gestellten Zimmer des Königlichen Schlosses. In Berlin liegt sie auch begraben: in Kreuzberg, Bergmannstraße, Dreifaltigkeitsfriedhof II.

Am morgigen Mittwoch wird dort ihr restauriertes Grab mit einer Feierstunde der Öffentlichkeit übergeben. Kulturstaatssekretär André Schmitz, der für Berlins Friedhöfe zuständige Stellvertretende Landeskonservator Klaus-Henning von Krosigk, Pfarrer Jürgen Quandt und der Schauspieler Hans-Jürgen Schatz sprechen am Grab, dessen schlichter Liegestein aus rotem Granit gereinigt und neu versetzt worden ist. Strahlend frisch gibt die Inschrift nun wieder jenen schönen Vers preis, der Charlotte von Kalbs kompliziertes Leben zugleich entrückt und vergoldet: „Ich war auch ein Mensch, sagt der Staub! Ich bin auch ein Geist, sagt das All!“

Mit Charlotte von Kalbs restaurierter Ruhestätte werden drei weitere, unmittelbar benachbarte Gräber präsentiert. Für insgesamt 40 000 Euro konserviert worden sind auch das Grabdenkmal des Altphilologen Karl Lachmann, das des Theologen Philipp Marheineke (er hielt 1843 den Trauergottesdienst für Charlotte von Kalb) sowie das schöne Säulenmonument von Heinrich Lommatzsch, eines Enkels des Theologen und Mitbegründers der Berliner Humboldt-Universität Friedrich Daniel Schleiermacher.

Für die Restaurierung eingesetzt wurden neben öffentlichen Mitteln auch private Spendengelder. Allein 9000 Euro steuerte Hans-Jürgen Schatz bei: Vor zwei Monaten organisierte er zusammen mit Musikern der Berliner Philharmoniker im Schloss Tegel eine exklusive Konzertlesung mit Texten von und über Charlotte von Kalb, deren Einnahmen der Restaurierung zugutekamen. Eine weitere ansehnliche Spende steuerten Nachfahren von Heinrich Lommatzsch bei. Schatz, der sich im Kuratorium des Vereins „Denk mal an Berlin“ engagiert, setzt sich seit Jahren für die Rettung kulturhistorisch bedeutender Berliner Grabstätten ein. 2009 konnte dank seiner Hilfe das Charlotte von Kalb benachbarte Grab von Schleiermacher restauriert werden, im Jahr darauf das des Dichters und Theatermannes August Wilhelm Iffland auf dem Friedhof II der Jerusalems- und Neuen Kirchgemeinde am Mehringdamm.

Auch andere Einzelkämpfer oder Vereine wie die Karl-Friedrich-Schinkel-Gesellschaft setzen sich seit Jahren für die kulturhistorisch einmalig dichte, doch akut vom Verfall bedrohte Berliner Sepulkralkultur ein. Das Berliner Landesdenkmalamt hat das bürgerschaftliche Engagement aufgegriffen und im Frühjahr den wunderschönen Katalog „Unter jedem Grabstein eine Weltgeschichte“ veröffentlicht. Für hundert exemplarische Berliner Gräber werden Mäzene wie Schatz gesucht, die uneigennützig eine denkmalgerechte Restaurierung finanzieren.

Unter jedem Grabstein eine Weltgeschichte – selbst wenn sie nur, wie im Fall der Charlotte von Kalb, in den Herzen der Beteiligten und, nach der literarischen Verwertung, in den Köpfen der Leser ihren Lauf nahm. Eine Titanide, eine rebellische Riesin, hat der solche Frauen gewiss nicht gewohnte Provinzler Jean Paul sie genannt. Charlotte habe, bekennt er einmal, mehr für seine Bildung getan, „als alle übrigen Weiber zusammen“. Auch Schiller hätte wohl so einen Satz unterschrieben.

Jean Paul wie Friedrich Schiller bemächtigten sich dieser emanzipierten Frau durch literarische Entgegnungen: Schiller in Gedichten wie „Freigeisterei der Leidenschaft“, Jean Paul in seinem Hauptwerk, dem Roman „Titan“, wo Charlotte wenig verbrämt als Linda auftritt. „Nicht durch das, was ich war und was ich wirklich geleistet hatte“, schreibt Schiller fünfzehn Jahre nach dem gemeinsamen Mannheimer Liebessommer an sie, „sondern durch das, was ich vielleicht noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen wert.“

So viel Hellsicht verdient ein wenig Erinnerung.

Öffentliche Übergabe der restaurierten Grabstätte von Charlotte von Kalb: 20. Juli, 11 Uhr, Friedhof Dreifaltigkeit II an der Bergmannstraße. Weitere Infos unter: www.berliner-grabmale-retten.de

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