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Kultur: Die reine Leere

Vor dem Abriss kommen die Künstler: Heute wird in Berlins Mitte der ehemalige Palast der Republik wiedereröffnet

Eigentlich ist es ein einziger Anachronismus: Eine Hand voll Intellektuelle und Künstler entdecken ein leer stehendes Gebäude und machen dort Dinge, für die dieser Ort nie gedacht war, Theaterperformances oder Club-Nächte zum Beispiel. Das war unmittelbar nach dem Mauerfall subkulturelle Praxis in Berlin, alte Bunker und leer stehende Kaufhäuser wurden mehr oder weniger legale Clubs. Die Techno-Szene, das Tacheles, auch die Sophiensäle sind auf diese Weise entstanden.

Heute sind diese Piratenspiele restlos ausgespielt. Die Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg sind flächendeckend und teuer aufgehübscht, die Friedrichstraße ist ein wuchtiges Denkmal der Investorenarchitektur, die historische Mitte wird von Ministerien, Museen und Unternehmens-Repräsentanzen besetzt. Und ausgerechnet am Schlossplatz, mitten im Zentrum, wo sich symbolisches Kapital anhäuft wie fast nirgendwo anders in der Hauptstadt, werden für drei Monate noch einmal Künstler, DJs, Theaterleute, Stadtforscher und Subkulturspinner einen mit historischer Bedeutung bis zum Bersten aufgeladenen Ort benutzen und füllen – diesmal vollkommen legal.

Der entkernte Palast der Republik erwacht zu neuem, letztem Leben. Der kleinbürgerlich-pompöse Prunkbau der DDR, nach der Asbestsanierung eine gespenstisch anmutende Ruine mit einer tragenden Stahlkonstruktion und nicht einer einzigen Zwischenwand in dem riesigen Innenraum, wird bis zum 9. November (!) als „Volkspalast“ bespielt. Sasha Waltz wird ihr neues Tanzstück zeigen, es wird ein Festival mit Musik aus „schrumpfenden Städten“ geben, von Techno aus Detroit bis zu elektronischer Musik aus Ishevsk in Russland, der Stadt, in der die Kalaschnikow gebaut wird. Skateboardfahrer und Fassadenkletterer werden den Palast als Gelände für Extremsport nutzen, eine symbolische Besetzung des urbanen Raums, wie sie jugendliche Subkulturen, von Graffiti-Sprayern bis zu Skatern, seit jeher betreiben.

Im September wird das Parterre geflutet, Besucher lassen sich in Gummibooten durch das Labyrinth der Stahlstreben und der schwimmenden künstlichen Fassadenelemente treiben. Fast glaubt man, wir würden nicht das Jahr fünfzehn nach der Wiedervereinigung schreiben, sondern wären für einen Moment noch einmal in den anarchischen frühen Neunzigern, der subkulturellen Gründerzeit.

Dass es Amelie Deuflhard, Chefin der kleinen Off-Bühne in den Sophiensälen, gelungen ist, ihr Projekt gegen enorme Widerstände durchzusetzen, grenzt an ein kleines Wunder. Die Sophiensäle, das Hebbel am Ufer und befreundete Künstler okkupieren mal eben Berlins wuchtigste Bauruine für die Kunst, und das an einem Ort, der inzwischen für kommerzielle Interessenten von größter Attraktivität ist. „Viele Befürworter des schnellen Abrisses und Freunde der Schlossfassade sehen in dem Gebäude so etwas wie Müll der Geschichte. Etwas, dessen Verfallsdatum abgelaufen ist und das schnell entsorgt werden muss“, sagt Philipp Oswalt, Architekt, Stadtforscher und einer von Deuflhards Verbündeten bei der Zwischennutzung. Für Oswalt ist das Gebäude alles andere als eine hässliche Resterampe der DDR: „Man merkt an der öffentlichen Aufregung, dass der Palast in seiner penetranten Öffentlichkeit und Zentralität eine ganze Reihe von aktuellen Themen in den Raum stellt. Es ist ein Gebäude eines früheren Systems, das seine Funktion verloren hat. Das ist auch ein Verweis auf den manifesten Leerstand, den wir in Ostdeutschland mit über einer Million leer stehender Wohnungen haben. Bei den schrumpfenden Städten geht es nicht nur um Wohnviertel, sondern auch um Transformationsprozesse.“

Die Palastbespielung könnte wie eine Neuinterpretation des symbolisch überdeterminierten Gebäudes wirken. Eine Umcodierung und Entideologisierung. Sie macht es vielleicht möglich, eine Konstruktion aus Stahlstreben und riesigen Außenwänden aus Glas einfach als Stahlstreben und Glas zu sehen und nicht als Denkmal einer Diktatur oder als Verweis auf die Zerstörung des Stadtschlosses durch die Kommunisten. Ob das die Debatte um den vom Bundestag beschlossenen Abriss neu entfachen wird?

Angesichts der immensen Abrisskosten – Schätzungen bewegen sich zwischen 20 und 60 Millionen Euro – und der in keiner Weise erkennbaren Finanzierung eines milliardenteuren Neubaus könnte ein entideologisierter Umgang mit dem noch stehenden Rohbau befreiend wirken. Bezeichnend für diese Neuinterpretation der Palastruine sind die Allianzen, die die Betreiber der kulturellen Zwischennutzung mit Sponsoren eingegangen sind. McKinsey Deutschland wird hier mit 4000 Gästen, Mitarbeitern und Kunden sein vierzigjähriges Bestehen feiern. Die Vermietung an die Unternehmensberater finanziert einen erheblichen Teil der Umbaukosten von 100 000 Euro, die aus der nur unter Lebensgefahr zu betretenden Ruine einen Veranstaltungsort für 1000 Besucher macht.

Wenn Gegner der Zwischennutzung nun behaupten, es handele sich um eine Verschwendung von Steuergeldern, übersehen sie, dass der Umbau komplett mit Sponsorengeldern finanziert wird.

Die Entdämonisierung des Orts, das Zerbröseln seines mythologischen Rests, ist spätestens seit der Jahresversammlung des Bundesverbands der deutschen Industrie – in Anwesenheit des Bundeskanzlers – unübersehbar. „Mich interessieren Gebäude, Brachflächen, urbane Räume, die aus der normalen kapitalistischen Verwertung herausfallen und über Jahrzehnte nicht genutzt werden“, sagt Stadtforscher Oswalt, der sich seit Jahren mit dem Phänomen der schrumpfenden Städte beschäftigt: „Interessanterweise finden an solchen Orten oft sehr produktive Entwicklungen von Subkulturen statt, die auch für das öffentliche Leben in der Stadt eine wesentliche Rolle spielen. Dieser Raum am Schlossplatz ist komplett überinstitutionalisiert, mit den Ministerien, der Universität, den Museen. Eigentlich braucht es dort einen offeneren, weniger von den Zwängen einer Institution determinierten Ort.“

Die entspannte Zusammenarbeit der Off-Szene, die den Palast jetzt temporär bespielt, mit Sponsoren aus der Wirtschaft verweist aber auch auf einen harten Konflikt: Wie ist es möglich, öffentlichen Raum für die Öffentlichkeit offen zu halten, wie können städtische Orte von Bürgern, nicht nur von Investoren und ihren Werbeflächen, besetzt und benutzt werden?

Manchmal sind Zwischenzeiten die besten Zeiten.

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