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Kultur: Die Reize der Rätsel

Ost-Off-Theater in Potsdam: das 10. Unidram-Festival

So dunkel war es im Theater selten: nur Geräusche, Gerüche und eine zwischen körnigen Schwarz- und Grautönen changierende Finsternis. Dann ein Rieseln und Rauschen wie von Sand oder Getreide. Beim „Visuellen Theater“ der polnischen Gruppe „Scena Plastyczna Kul“ aus Lublin, einer der Besonderheiten beim 10. „Unidram-Festival des osteuropäisch-deutschen Off-Theaters“ in Potsdam, sieht man erst einmal gar nichts. Später sieht man etwas mehr, aber richtig durch blickt man eigentlich nie. Was auch einen Reiz dieses bereits 1970 gegründeten Theaters ausmacht, das vom polnischen Theaterguru Grotowski wie vom amerikanischen Bread and Puppet Theatre beeinflusst scheint. In der neuen Produktion „Wrota“ (Torweg) blähen sich schließlich schemenhafte Gebilde im fahl erhellten Licht auf. Sie rollen wie luftige Walzen heran oder verschwinden in dunkler Ferne. Später kommen aus dem Dunkel auch drei Gestalten und rutschen in einen Wassergraben vor dem Publikum. Hier treiben sie dahin, zur untermalenden rauschhaften Musik. Ein merkwürdiger Eindruck, poetisch und rätselhaft.

Dann strömen aus dem Hintergrund lange Gebilde auf dem Boden heran. Es mögen Stöcke, Schlamm oder Schlangen sein. Wasser fließt zwischen sie, und während eine Lampe aufscheint und verlöscht, stapfen stockstarr hochaufgeschossene, somnambule Figuren nacheinander nach vorn. Dann, wenn eine Person nach der anderen wie in Trance zu Boden stürzt und in der Reihe der anderen liegen bleibt, wirkt dieser Theaterabend wie ein existenzielles Ritual, bei dem sich manch religiöse Assoziation einstellt.

Die Unidram wurde 1993 von freien Potsdamer Theatermachern mit Hilfe der Universität gegründet. Mit dem Impuls, auch in einer vom Nachholbedarf an westlicher Theateravantgarde bestimmten Nachwendezeit das ostdeutsche Off-Theater nicht zu vergessen. Die Unidram ist ein kleines Festival mit mittlerweile großer Resonanz. Weil sie aus den neuen und alten Quellen des osteuropäischen Avantgardetheaters schöpft, ohne auf Moden und Festival-Märkte zu schauen. Dieses Jahr war das Theater Derevo aus St. Petersburg und Dresden mit seiner fulminanten tanztheatralischen Version der „Divina Commedia“ ebenso zu Gast wie die Gruppe Stage Code aus Prag, in der sich eine dänische Schauspielerin mit einer amerikanischen Tänzerin zu einem eher kabarettistischen Abend über Engelserscheinungen zusammenfand. 17 Gruppen aus 11 Ländern präsentieren so ein Programm, das unter keinem Motto steht, das nur die Vielfalt der Stile zwischen Performance und Figurentheater, Körper- und Tanztheater kennt. Die Potsdamer Spielorte heißen Russenhalle und Waldschloss, Fabrik und Lindenpark, und sie alle besitzen einen eigenen Reiz.

In „Alcesti“, dem ersten Teil einer Auseinandersetzung mit der griechischen Tragödie, fühlt man sich von der italienischen Compagnia Abbondanza/Bertoni in die Welt des verstorbenen polnischen Theater-Bildkünstlers Tadeusz Kantor verschlagen. Zu sehen sind hinter weißem Gazeschleier drei groteske Menschenpuppen. Sie bewegen sich mit marionettenhaft mechanischen Bewegungen. Es geht um Liebe, Hochzeit und Leid. Bei diesem Spiel der zwischenmenschlichen Passionen empfindet man die Gesten zuweilen als übergroß, weil zu jeder Bewegung auch deren Geräusch übertragen und verstärkt wird. Wenn sich also Mann und Frau, zunächst fleischfarben bandagiert, zugleich kreatürlich nackt wie entindividualisiert begegnen und gegenseitig erkunden, dann ergibt sich ein so komischer wie existenziell erschreckender Eindruck. Aber im Witz der von Tangos, Arien und Trauermärschen umtosten, stummfilmhaften Situationen des von einem buckligen Priester umsorgten Paares liegt auch viel Grausamkeit. Die virtuosen, fast artistischen Darsteller bieten keines der modisch kompatiblen Tanztheaterprogramme, die viele Festivals überschwemmen. Sie haben ein Körpertheater von ganz eigenem Stil entwickelt: das sich in mechanisch-abgehackten Bewegungen nur ein wenig zu selbstverliebt ausstellt. Doch es zeigt eine aufregende eigene Ausdruckskraft für komisches, existenzielles Theater. – Zum Finale sind bis morgen Abend in Potsdam noch weitere Off-Produktionen aus Bratislava, Berlin und St. Petersburg zu erleben.

(Infos unter Tel. 0331–719139/7405619 und www.unidram.de )

Hartmut Krug

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