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Kultur: Die Rückkehr der Geisterspieler

Claus Peymann und Thomas Bernhard erobern noch einmal Wien – zur triumphalen Wiederauferstehung von „Ritter, Dene, Voss“ im Akademietheater

Es war alles andere als eine normale Premiere. Schon als sich der Vorhang hob vor Karl-Ernst Hermanns aus den Burgtheatergrüften nach so vielen Jahren wieder emporgezaubertem Bühnenbild, schon beim ersten Anblick jener Mischung aus weinrotbrauner Manege und Gespenstersalon, an deren äußerem Rand, im Widerschein eines Jugendstilfensters die zarte, altblonde Schauspielerin Ilse Ritter in elegischer Entrücktheit, von bläulichem Dunst gekrönt die erste (von vielen) Zigaretten raucht, schon da rauscht der Beifall auf. Als sei’s eine Erscheinung.

Der Applaus trägt auch gleich die zweite, jetzt ins Bild tretende Diva und Titelheldin mit. Und als Kirsten Dene zur Ritter, ihrer Schwester in Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“, vom hier demnächst erwarteten Bruder spricht und dass er ihnen beiden „Interpretationsschwierigkeiten / Desinteresse / Katafalkismus“ vorgeworfen habe, da lachen die Zuschauer im Akademietheater der Wiener Burg sogleich über das typisch Bernhardsche Kunstwortmonster „Katafalkismus“.

Es wird danach noch viel gelacht und applaudiert werden, und am entfesseltsten ist der Szenenbeifall, wenn sich die Geschwisterbande auch um den Bruder bis zur erstickenden Liebestodfeindschaft verschlungen haben und der grandios eruptive Schauspielkünstler Gert Voss an den schwesterlichen „Brrrandteigkrrrapfen“, seiner verhassten „Lieblingsmehlspeise“, in einem Strom der Essgier und rasenden Verwünschungssuada würgt, die Worte und das zermalmte Gebäck als menschgewordener Vulkan durch den Saal speit, mit dem Gesicht in den Teller fällt und in einer letzten Verzweiflungsanstrengung das Tischtuch unter der gedeckten Riesentafel wegzieht, so das Familiengeschirr zertrümmert – aber, Zufall oder Zauberkunst, eine Sauciere dabei heil vor sich auf der Tafel stehen lässt.

Dieser Bruder, bei Thomas Bernhard das übersteigerte Abbild eines genial verrückten Neffen des Philosophen Ludwig Wittgenstein, heißt gleichfalls Ludwig und ist Philosoph. Und Millionenerbe. Normalerweise residiert er in vollkommener „Narrenfreiheit“ in der Nervenheilanstalt Steinhof bei Wien. Von dort ist er, der dritte Titelheld „Voss“, nun ins elterliche Geschwisterhaus zurückgekehrt. Dorthin, wo die Geister der mit Verehrung verabscheuten Ahnen hausen und ihm „Ritter“ und „Dene“ in kurioser, geistig-nervlicher Perversion ergeben sind – während sie selbst sich mit tragischer Penetranz und komischer Perfidie als hassliebende (im Stück) konkurrierende Schauspielerinnen auf den Herzkeks gehen.

Aber nicht nur der Philosoph ist hier in die himmelhöllische, altvertraut unheimliche Heimat zurückgekehrt. Auch Claus Peymann hat erstmals seit seinem Abschied als Burgtheaterdirektor 1999 wieder seine ehemalige Bühne betreten. Und kaum dass er beim Schlussapplaus aus der Kulisse lugte, steigerten sich die Ovationen der Wiener zum verzückten Aufschrei. Sein Nachfolger, Burgtheaterdirektor Klaus Bachler, von Peymann bei mehreren Medienauftritten zuvor wieder egomanisch-undiplomatisch (aber theaterbesessen) in den Hintern getreten, war vorsorglich (und ein bisschen unsouverän) aus Wien geflohen. So schien die Zeit wie angehalten, zurückgedreht, zurückgewünscht.

Dabei gleicht dieses Revival von „Ritter, Dene, Voss“ ohnehin schon einer Zeit-Reise. Einer traumhaften Gespensterfahrt. Im Sommer 1986 hatte das Stück als Thomas Bernhards Hommage an die drei Titel-Schauspieler (deren Figuren fast nichts mit ihnen selbst zu tun haben) bei den Salzburger Festspielen Premiere und wurde im September 1986 nach Wien übernommen. Daraufhin gab es 116 Vorstellungen in elf Jahren, und Peymanns brillante Inszenierung gastierte vom Berliner Theatertreffen (1987) bis zum Jerusalem Festival in vielen Ländern. Die letzte Aufführung fand 1997 im Akademietheater statt; und nun, nach sieben Jahren, ist „Ritter, Dene, Voss“ von den Beteiligten aus Anlass des bevorstehenden 15. Todestages von Thomas Bernhard (am 12. Februar) wieder rekonstruiert worden; die noch immer fabelhafte, mit dem größeren Lebensgewicht der seit der Uraufführung 18 Jahre älter gewordenen Spieler keineswegs gravitätischer, eher in den Todesmotiven radikaler und in den spielerischen Überlebenslüsten selbstironischer gewordene Inszenierung soll noch bis Mai in Wien und später dann auch in Peymanns Berliner Ensemble gezeigt werden.

Diese Arbeit ist nicht alterslos, aber in sich auf eine poetische Weise (trotz ein paar Längen im ersten Akt) noch immer makellos. Wenn man bedenkt: 1986 – da explodierten Tschernobyl und die Raumfähre Challenger, Kurt Waldheim wurde Österreichs umstrittener Präsident (und Bernhards Lieblingsfeind), in Istanbul töteten islamische Selbstmörder schon damals 21 Menschen in einer Synagoge, und Mike Tyson wurde der jüngste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten. So lange, so kurz ist das alles her. „Ritter, Dene, Voss“ aber bleibt eines von Bernhards zwei, drei haltbarsten Stücken und dank Ritter, Dene, Voss von tatsächlich geisterhafter Intensität und Lebendigkeit. An einem 12. Februar, 185 Jahre vor Bernhard, starb im Übrigen ein anderer Philosoph. Jetzt schimpft Ritter zur Dene den Voss alias Ludwig W. „deinen Gegen-Kant“. So spielt die Zeit. Ein Zufall?

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