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Kultur: Die Scham-Offensive

Innenansichten eines Krieges: Wie die Folterbilder aus dem Irak unser Verständnis von Demokratie illustrieren

Einmal im Jahr kommt die Jury des „World Press Photo Award“ zusammen, um hunderte von Aufnahmen nach dem einen Foto zu durchsuchen, das alles sagt. Die Bilder, die hier gekürt werden, sind Ikonen ihrer Zeit. Sie kanalisieren eine Empörung, die sich sonst im Fluss der Ereignisse verliert. Jean-Marc Boujus jetzt ausgezeichnetes Siegerbild ist da keine Ausnahme. Es zeigt einen Iraker im Kriegsgefangenenlager der 101. Luftlandedivision, der mit einer schwarzen Kapuze auf dem Kopf versucht, seinen vierjährigen Sohn zu trösten. Die Terror-Exzesse von Abu Ghraib sind hier vorweggenommen. Trotzdem besticht das Foto vor allem durch die rührselige Geste: ein Vater, ein Kind und eine Macht, die nichts Familiäres zulassen will.

Es sind solche Bilder, die darüber entscheiden, „welches Gewicht wir Konflikten beimessen und wie wir sie in Erinnerung behalten“, schrieb Susan Sontag jüngst in der „New York Times“. Umso tragischer ist es für all die professionellen Bildreporter, dass nun ausgerechnet fotografische Laien mit ihren unscharfen Digitalbildern das amerikanische Irak-Experiment in ein neues Licht stellen. Zeigen sie doch die Innenansicht eines Krieges, wie sie sonst nur die Täter haben.

So bringen die auf CD-ROM gebrannten und unter der Hand verteilten Kerkerpornos die Balance aus Mitleid und Schrecken durcheinander, mit der wir unser visuelles Gedächtnis kultivieren. Dass da ein paar Rowdies, angestachelt vom Militärgeheimdienst und gebilligt durch Vorgesetzte, eine brutal-perverse Version von „1001 Nacht“ durchspielen, erregt uns zwar moralisch. Aber das Mitleid bleibt aus. Die Bilder sind „zu schlecht“, um uns zu erschüttern. Wir finden uns in den Opfern nicht wieder. In der Perspektive der Täter lebt deren Intention weiter. Ihr Blick kann nicht mehr zurückgenommen werden, das fotografische Bild verewigt ihn. Die Demütigung, die schon das bloße Hinsehen bedeutet, schreibt sich hinterrücks als Überlegenheitsgeste in unser Denken ein.

Sieht so der Export von Demokratie aus? Oder wird im Irak ein Alptraum wahr, den alle Besatzer träumen? Auf jeden Fall haben die neuen Machthaber Demütigungen ersonnen, die über die üblichen Verhörmethoden, das berüchtigte „Weichkochen“ von Häftlingen, weit hinausgehen. Mit Erstaunen nehmen wir zur Kenntnis, wie unverblümt die Peiniger von Abu Ghraib Sado-Maso-Visionen nachinszeniert haben, die ihnen selbst suspekt sein dürften. Sie stapelten nackte Gefangene wie zu einer homosexuellen Swinger-Orgie. Oder sie ließen sie in Gruppen masturbieren. Sie hetzten Schäferhunde auf ihre entkleideten Opfer. Dass diese Brutalität Züge von sexueller Lustbefriedigung trägt, erhellt die Konturen eines Kulturkampfes, in dem Soldaten nur die Speerspitze eines demokratischen Messianismus sind.

Der Soldat konstituiert sich in Grenzverletzungen. Nicht nur dass er die Grenzen eines Landes überschreitet, er streift auch bewusst moralische Bindungen ab und ersetzt sie durch – nicht zwangsläufig unmoralische – Professionalität. Ein Militärkörper wird geformt, der sexuelle Triebkräfte in eine physische und technische Überlegenheit umwandelt. Im Prinzip ist ihm alles, was von außen kommt, gefährlich. Aber auch gegen die inneren Widerstände muss die Truppe stets neu verteidigt werden. Sie verlangt vom Einzelnen mehr, als er leisten kann. Nicht nur physisch lernt der Soldat, über sich hinauszuwachsen. Die Truppe lebt in einem permanenten Ausnahmezustand.

Das gilt besonders für jene Soldaten, die eigentlich Zivilisten sind. Bei ihnen ist die Professionalisierung nicht so weit forangeschritten, dass ihre bürgerliche Karriere davon abhängig wäre, sich zu „bewehren“. Vielmehr wollen Teilzeitsoldaten wie die Gefängniswärter von Abu Ghraib zu etwas dazugehören, dessen Kodex ihnen fremd ist. Und so könnte sich der von Hannah Arendt beschriebene Mitläufer-Typus auch in der 327. Militärpolizeikompanie herausgebildet haben. Die Reservisten mussten nur einmal etwas tun, das mit ihrem bürgerlichen Gewissen nicht zu vereinbaren war, und schon hatten sie eine moralische Demarkationslinie überquert, hinter die sie nicht zurückkonnten. Der Ausweg: die Wiederholung des Tabubruchs, die Abstumpfung gegen jede Art von ethischem Gesetz.

Noch ein anderes Problem lassen die Folterungen erkennen: Während im Westen sukzessive Schamgrenzen fallen und die Sexualisierung immer ungehemmter auf öffentliche Lebenswelten übergreift, müssen demokratische Armeen eine wachsende Anzahl von Frauen in ihre Reihen integrieren, ohne dabei von innen sexualisiert zu werden. Das gelingt nur halbwegs. So wird die Einsatzfähigkeit von US-Truppen durch Schwangerschaften von Soldatinnen (bis zu 33 Prozent) erheblich heruntergesetzt. Das Folterfoto, auf dem eine – übrigens schwangere – Soldatin sich in der Pose einer Domina fotografieren ließ, scheint diesen Trend zu bestätigen. Frauen sind keine Kampfmaschinen. Sie übernehmen eine andere Funktion. Die Erniedrigung des Irakers, dessen Hals mit einer Art Hundeleine stranguliert wird, ist nicht zufällig einer Bordell-Szene nachempfunden. Hier winselt einer, soll uns das Bild sagen, dessen Schmerzen ihm ein Vergnügen sind, ein perverses, sexuelles Begehren, das die Amerikanerin zum Gegenstand hat.

Für Muslime dürfte es keinen besseren Beleg für die Ansicht geben, dass der Westen verachtenswert ist. Die radikalen Strömungen innerhalb des Islam entspringen ohnehin dem Ohnmachtsgefühl einer latenten kulturellen Erniedrigung. Und sie bekommen nun neue Nahrung, da es für Muslime keine größere Entwürdigung als Blöße gibt. Aus der islamischen Gründungsgeschichte ist die Erzählung überliefert, dass Ali, der Cousin des Propheten, einst einen Gegner verschonte, nachdem dessen Gewand im Kampf zu Boden gefallen und er nackt war. Warum er ihn nicht töte, wollte Mohammed wissen. Worauf Ali antwortete, der Mann sei bereits geschändet und das sei schlimmer als der Tod.

Die US-Soldaten haben schnell verstanden, wo der Heroismus der Iraker am verletzlichsten ist. Die Coca-Cola-Armee trifft auf eine Gesellschaft, die voller Verachtung für die postheroische „Dekadenz“ des Westens ist und dessen Primat der Erhaltung des Lebens für Schwäche hält. Wie erschüttert muss dieses Denken sein, wenn muslimische Männer und Familienväter zu Sexualobjekten werden – und in Scham weiterleben müssen.

Sexuelle Gewalt ist eine Waffe, die Gesellschaften von innen zerstört. Im Bosnienkrieg und in den afrikanischen Bürgerkriegen waren Massenvergewaltigungen der Auftakt zu ethnischen Säuberungen. Milizen- und Heerführer haben sich bewusst der Dynamik umherstreifender Männerhorden bedient, um das Terrain mehr zu entvölkern, als zu beherrschen. Auch im Irak müssen die Opfer damit rechnen, von der Gesellschaft, die außer Stande war, sie zu schützen, verstoßen zu werden. Die Verurteilung der Täter ändert daran wenig. Sie mag ein wenig Würde zurückgeben, aber die Ehre nicht. Die ist verloren.

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