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Kultur: Die Schattenmänner

Was passiert in einem Arbeitslosenleben? Eigentlich nichts. Wie macht man einen Film darüber? Fernando León de Aranoa hat mit „Montags in der Sonne“ ein schmerzhaft leuchtendes Stück Kino über ein Thema gedreht, das Angst macht – und in Spanien einen Hit gelandet

„Montags in der Sonne“ ist der zärtlichste, lustigste, poetischste Arbeitslosenfilm, der je gedreht wurde. Und schon ist es passiert, das Unwort steht da: „arbeitslos“. Als „Los lunes al sol“ in Spanien ins Kino kam, hat der Verleih alles getan, um das Wort zu vermeiden. Also, der Film des jungen Fernando Leon de Aranoa handelt von Montagen, von viel Sonne, von lustigen Freunden in einer Stadt am Meer ... Lieber nicht sagen, dass die Stadt eine große Werft hatte, sonst denkt noch jemand, sie sei geschlossen worden.

Aber irgendwann, fand der Regisseur, musss man den Menschen die Wahrheit sagen. Auch auf die Gefahr hin, dass niemand einen Arbeitslosenfilm sehen will. Vielleicht weil kein Mensch das sehen will, wovor er am meisten Angst hat. Arbeitslose gelten zudem als nur bedingt unterhaltsam und etwas umdüstert. Deshalb mögen auch die Neoliberalen keine Arbeitslosenfilme. Aber in Sachen Unterhaltsamkeit müssen wir ab sofort umdenken.

Denn die Weltseele selbst hat sich entschlossen, Santa, José, Lino, Reina, Amador, Rico und Sergej aus Vigo an der spanischen Atlantikküste einzuwohnen. Oder wie sonst die Zärtlichkeit erklären, mit der jede einzelne gezeichnet ist? Sollte eine solche Präzision nicht höheren Ursprungs sein? Und keine Szene, keine Einstellung ist zuviel. Natürlich, die Engländer haben auch Talent für Verlierer-Filme, die Unerschrockene „sozialkritisch“ nennen. Aber Ken-Loach-Beseelungen sind doch anders. Härter, rauher.

„Montags in der Sonne“ handelt davon, was in einem Arbeitslosen-Leben so alles passieren kann: eigentlich nichts. Das könnte misstrauisch machen. Stimmt etwas mit dem Energie-Level unserer Arbeitslosen nicht?, fragen sofort die Kinetiker. Aber Fernando León de Aranoa korrigiert unsere Vorurteile. Schiffe-Bauen ist eine Spielerei gegen die Anstrengung, die es kostet, überflüssig zu sein. Es gibt nur sehr verschiedene Möglichkeiten, ihr nachzugehen.

Da ist Santa (wunderbar wie alle in diesem Film: Javier Bardem), eigentlich ein Aufschneider-und-Anführer-Typus, aber wen will man als Arbeitsloser noch anführen? Von seiner letzten Anführerei, dem Werft-Streik, hat er noch eine Rechnung offen: 800 Peseten für eine kaputte Werftlaterne des Typus „Swimlight“. Und wenn die Laterne einen Cent kosten würde, Santa zahlt nicht. Die Sprachkonvention nennt das Nicht-über-seinen-Schatten-Springen-Können und suggeriert, dass es im Leben auf eben dieses Drüberspringen ankommt. Arbeitslos-Sein aber heißt, mit seinem eigenen Schatten konfrontiert zu werden.

Lino, der Freund, versucht immerzu zu springen, er geht zu jedem Bewerbungsgespräch. Santa liest ihm noch die Details vor, Höchstalter 35, Computerkenntnisse und eigener PKW erforderlich, aber Lino, 50 Jahre alt, ist nun mal ein Schattenspringer (fast stumm, den puren Ich-schaffe-das-Willen im Gesicht: José Angel Egido). Einen Computer hat er schon mal im Kinderzimmer seines Sohnes gesehen, und einen PKW könnte er sich von seinem ersten Gehalt kaufen. Irgendwann färbt Lino sich die Haare, wegen der Altersgrenze, vor lauter Scham nicht zu Hause, sondern auf der Toilette einer Fähre. Ganz zum Schluss erst wird er aufstehen, als ein Personalchef seinen Namen aufruft – und hinausgehen. Der einzige Befreite unter allen noch Hoffenden. Lino ist angekommen in der Arbeitslosigkeit. Er wird sich mit seinem Schatten befreunden. Denn was, wenn dieser Schatten die eigene Seele wäre?

Santa, der Ex-Anführer, ahnt das ohnehin. Seine innere Stimme sagt ihm immer, was er tun soll. Die kaputte „Swimlight“ nicht bezahlen, sich der jungen spanischen Supermarkt-Käsefrau mit den Schweizer-Käsehäppchen als Schweiz-Experte vorstellen und dabei ihren Käse aufessen, den Ersatz-Baby-Sitter für eine kaum Volljährige machen und von ihr nur einen winzigen Anteil bekommen („So läuft das jetzt, Santa!“) und kleinen Jungs eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen. Der gewichtige Santa als seltsamster Märchenerzähler, das könnte die schönste Szene des Films sein, wenn er nicht so viele andere schönste Szenen hätte. Javier Bardem liest das Märchen von der Ameise und der Grille. Er liest, wie die Grille singt einen ganzen Sommer lang, während die Ameise fleißig ist, dann kommt der Herbst, die Grille friert, klopft bei der Ameise an, und die beginnt: „Hättest du doch ...“

Was ist das für eine Welt, wenn schon die Märchen anfangen zu lügen? Oder haben nicht die Märchen unrecht, sondern die Welt? Das Beste an „Montags in der Sonne“ ist, dass er gar nicht erst den Versuch macht, diese Frage zu beantworten. Keine These. Keine Anklage. Bloß keine linke Rhetorik. Die Gerechtigkeit dieses Films ist viel einfacher. Nur weil so viele keine Stimme mehr haben - weil sie gesellschaftlich nicht mehr existieren - glauben wir, sie sind gar nicht mehr da?

Die Werftschließung in Vigo ist authentisch. Die fünf Freunde sind in einem höheren Sinne authentisch. Und von Amador, dem Säufer, der zum wahren Philossophen wird, von José, dem Mann der Bandarbeiterin in der Fischfabrik haben wir noch gar nichts gesagt. Nur der Ignorant in uns wendet ein, dass es eine so schöne, von innen leuchtende Arbeiterklasse doch gar nicht gibt. Und dann plötzlich weiß man wieder, dass man schon solche Santas kennt. Und die anderen auch. Jeder kennt welche.

Broadway, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kino in der Kulturbrauerei, Passage, fsk am Oranienplatz (OmU)

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