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Kultur: Die Schlacht der Titanen - Gipfeltreffen in Berlin-Kreuzberg

Ein paar Tage lang war es das heißeste Gerücht der Stadt, weitergegeben nur hinter vorgehaltener Hand und dennoch laut genug erzählt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Kreuzberg fieberte in der Hoffnung, dass endlich auch im Kiez mal wieder etwas Sensationelles stattfinden würde.

Ein paar Tage lang war es das heißeste Gerücht der Stadt, weitergegeben nur hinter vorgehaltener Hand und dennoch laut genug erzählt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Kreuzberg fieberte in der Hoffnung, dass endlich auch im Kiez mal wieder etwas Sensationelles stattfinden würde. Und tatsächlich: Als am Dienstagabend im SO 36 das Saallicht ausgeht, wird er wahr, der Traum, dessen vermeintliche Unerfüllbarkeit Alt-Punker wie Neu-Teenies bis dato gleichermaßen verzweifeln ließ.

Hinter dem im Vorfeld kolportierten Namen "Essen auf Rädern" verbergen sich tatsächlich Die Toten Hosen, die gerade aus Buenos Aires zurückgekehrt sind, wo sie mit insgesamt dreißig Sekunden Spielzeit ihr kürzestes Konzert gegeben hatten. Danach brach die Bühne unter dem Ansturm der Fans zusammen und die Musiker hatten Glück, unverletzt zu bleiben. Kaum der Gefahr entkommen, stürzen sie sich schon in die nächste Schlangengrube, denn die derzeit erfolgreichste Punkband Deutschlands tritt in Berlin als Vorgruppe eines Trios auf, dem spätestens mit dem leibhaftigen Erscheinen von Campino keiner im Saal mehr abnimmt, dass es - wie angekündigt - "Die zu späten" heißt. Wer, wenn nicht die selbst ernannte "beste Band der Welt", könnte sich den Luxus einer solchen Vorgruppe leisten? Wer anders als Die Ärzte besäßen die Frechheit, Die Toten Hosen zum Kräftemessen einzuladen - und ihnen von vornherein die undankbarere Position anzubieten?

Doch die Düsseldorfer beweisen Sportsgeist, erinnern gleich zu Beginn mit "Blitzkrieg Bop" von den Ramones daran, dass das Thema des Abends Punkrock heißt und dass dieser in der Hosen-Version noch immer viel mit Kampfsport zu tun hat: Mit bösem Blick und reichlich Körpereinsatz arbeiten sie sich weitestgehend ironiefrei durch ein Hitprogramm. Für Die Ärzte dagegen ist der Punkrock nach wie vor ein Lausbubenstreich, bei dem man sich benehmen darf, als wäre man ein Leben lang vierzehn. Das Pseudonym des Abends wahrend, reden sie einander nur mit Thomas, Thorsten, Dieter, Horst, Steffi oder Karlheinz an, sind ansonsten aber so selbstironisch, sinnentleert und unterhaltsam wie immer: Es gibt den Ärzte-Karaoke-Wettbewerb, es gibt "Die fette Elke" als Mutter aller Spottlieder, es gibt den unnachahmlich billigen Las Vegas Charme von Bela B., der für Momente die Befürchtung nährt, der Drummer könnte sein Rockstar-Gehabe womöglich ernst meinen.

Auf direkten Bühnenkontakt aber verzichten die beiden Bands. Man zieht zwar übereinander her, doch kommt es weder zur Neuauflage jener Schlägereien, die sich Ärzte und Hosen früher lieferten, noch zur erhofften Punkrock-Session. Das aber ist nicht schlimm, denn Kreuzberg hat auch so seine Sensation, die mit ortsüblicher Coolness zelebriert wird: Feiern ja, übermäßige Euphorie nein. Sonst denken die da oben noch, sie hätten was Besonders zustande gebracht...

Niklas John

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