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Kultur: Die Schnittbrettfahrer

„boat people™ “: eine Agitprop-Mode- Performance mit Lisa D. am Wiener Burgtheater

Mit versteinerten Gesichtern und im militärisch zackigen Gleichschritt präsentieren die Models, was es an ihnen zu kaufen gibt: kurze, weiße Kleidchen, die den Blick auf viel nackte Haut ziehen, das Höschen darunter, die Strumpfhalter. Brust raus, Bauch rein, die Schultern nach hinten gebogen, sodass sich die Wirbelsäule zu einem imposanten Hohlkreuz verbiegt. Kühl, leblos, Automaten weiblicher Stereotypie gleich stolzieren an diesem ungewöhnlichen Abend im Kasino des Wiener Burgtheaters fünf Schauspielerinnen (unterstützt vom „echten“ Model Susie Ramberger) über einen weißen Laufsteg, der sich, gleich ihren deformierten Rücken, am Ende zu einer Halfpipe aufwölbt.

Models sind eben auch nur Frauen, und sie werben an diesem Abend wortreich für die erste Kollektion des neuen Modelabels „boat people™“: „Dieses Kleid erzählt auf verschlungenen Wegen über das richtige Leben.“ Denn auf den aus unzähligen Kinderkleidungsstücken – als Massenware billig bei H&M gekauft – kunstvoll zusammen geschneiderten Kleidern hängen gut sichtbar die Verkaufsetiketten. Eine schräge Idee: Man gehe zu H&M auf Schnäppchenjagd und schicke die erbeuteten Teile dann in einem bereitgestellten Karton in Lisa D.’s Berliner Atelier, wo sie je nach Wunsch zu einem bestimmten Modell umgeschneidert werden. Von Casual über Business bis zu Abendkleidern im „Networking“- oder „Celebrity“-Style reicht die Palette der Auswahl. Ein Kleid, das einerseits die kapitalistische Spirale offen legt und andererseits als Fetisch (von 150 bis 1500 Euro) dient, der vor dem schlechten Gewissen schützt.

Das Konzept für diesen ironischen Agitproptheaterabend lieferte die österreichische Kleiderphilosophin und autodidaktische Designerin Elisabeth Prantner. Als Lisa D. betreibt sie in den Hackeschen Höfen zwei kommerzielle Modeshops, mit denen die studierte Soziologin ihre Kunstprojekte finanziert: Modeperformances als gesellschaftskritische Reflexionen an der Schnittstelle zwischen Musik, Theater und Philosophie. Dass sie mit ihrer neuen Show um das Rollenspiel der Identitäten mittels Kleidung nun direkt im Theater landete, ist nur konsequent.

Das postdramatisch-assoziative Textgewebe zur Wiener Performance um ihr Fake-Label „boat people™“ lieferte der Grazer Nachwuchsautor Johannes Schrettle, Jahrgang 1980. Inhaltlich wie formal drängt sich der Vergleich mit den diskursiven Textgeschwadern eines René Pollesch auf. Dieser begleitete Schrettle als Mentor im Rahmen des Lehrgangs „Szenisches Schreiben“ bei der Entstehung von dessen Bühnenerstling, „Dein Projekt liebt dich“, das zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen wurde. Doch wo im Pollesch-Theater ein stakkatoartiges Sprechen über Identitätsverlust im postkapitalistischen Arbeitskampf die Hauptrolle spielt und derart sinnlich das repräsentative Theater infrage stellt, wirft das Theater an diesem Abend die Frage an Autor und Regisseur unbeantwortet zurück. Regisseur Robert Lehniger findet weder ein Konzept noch Gestaltungsmittel für Schrettles epigonale Textinseln aus theoretischen Betrachtungen und poetischen Einschüben. Langatmige Catwalk-Szenen (musikalisch untermalt von „Sofasurfer“ Wolfgang Schlögl), die wenig erzählen, werden unterbrochen von konzeptuellen Erläuterungen und Live-Videos , die die Models hinter den Kulissen zeigen. „Ich bin so sexy! Ich und mein Bewusstsein sind das Traumpaar des heutigen Abends“, jubelt Teresa Weißbach im Close-Up. Da blitzt die Grundidee des Abends auf: Political Correctness zur Steigerung des eigenen Marktwerts.

Christina Kaindl-Hönig

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