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Kultur: Die Schönheit des Zögerns

Sie sahen verloren aus. Hingen in der Kneipe an der Jukebox herum oder zu Hause vorm Bier.

Sie sahen verloren aus. Hingen in der Kneipe an der Jukebox herum oder zu Hause vorm Bier. Ohne ein Ziel vor Augen fuhren sie los, an die Zonengrenze oder in andere unwirtliche Gegenden. Ihr Blick verhieß Trotz, aber sprechen mochten sie kaum. Die Liebe war eine falsche Bewegung, die Arbeit eine Entfremdung, die Vergangenheit vergiftet, die Landschaft öde und die Stadt ein Hort der Gleichgültigkeit. Kein Satz, keine Geste, kein Bild verstand sich von selbst. Die Protagonisten des neuen deutschen Films - bei Kluge und Reitz, Schlöndorff und Wenders - waren Helden der Einsamkeit, der Verunsicherung, der Melancholie. Artisten vor und hinter der Kamera, ratlos.

Aufbruch? Aber bitte: Am 28. Februar 1962 unterschrieben 26 Filmemacher am Rande der Oberhausener Kurzfilmtage ein Manifest. "Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films entzieht einer von uns abgelehnten Geisteshaltung endlich den wirtschaftlichen Boden", lautet etwas hölzern der erste Satz. Berühmt geworden ist der letzte: "Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen." Auch der klingt nicht nach Revolution, sondern ein wenig zögerlich. Man fordert nicht, man - glaubt.

Das Zögern, unter anderem formuliert von Edgar Reitz, Peter Schamoni und dem 30-jährigen Rechtsanwalt Alexander Kluge, hatte seinen Grund. Wer zu neuen Ufern aufbricht, muss wissen, was er hinter sich lässt. Die Filmemacher traten aus dem Windschatten des Wirtschaftswunders ins Offene. Ihr Blick ging jedoch vor allem zurück, denn er wollte die Verdrängung des NS-Propagandafilms und dessen Fortsetzung im Heimatfilm der 50er Jahre nicht länger hinnehmen. Die Schwierigkeit beim "Abschied von gestern" (so der Titel von Kluges Kinodebüt 1966) bestand in dem Paradox, dass der Bruch mit der deutschen Geschichte in dem Augenblick erfolgte, als man sich ihr endlich stellte. Also stand sich die vaterlose Generation notwendig selbst im Weg, als sie begann, ihre Bilder das Laufen neu zu lehren. Also drehten sie ihre eigenen, anderen Heimatfilme, "Nicht versöhnt" oder "Im Lauf der Zeit" - Heimatfilme mit schlechtem Gewissen. So wenig 1945 eine Stunde Null in der deutschen Filmgeschichte bedeutete, so wenig markierte 1962 einen Themenwechsel. Nur die Perspektive und die Tonart änderte sich gründlich.

Ein schlechtes Gewissen verkauft sich schlecht. Kein Wunder, dass die Autorenfilmer zwar Ruhm einheimsen, nicht aber Publikumserfolge erwirtschaften konnten. Nur bei Fassbinder gesellte sich zum Misstrauen gegenüber den Bildern von Deutschland auch noch die Wut auf die Bigotterie einer Gesellschaft ohne Gedächtnis.

Lang, lang her? Von wegen. Die meisten Unterzeichner des Oberhausener Manifests waren unbekannte Kurzfilmer mit dem erklärten "Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen". Auch 40 Jahre später sind es die Kurzfilmer, Florian Gallenberger oder Johannes Kiefer, die international Furore machen und als Oscarkandidaten nach Los Angeles reisen. Seit 40 Jahren wird der deutsche Film von jeder Regie-Generation neu erfunden.

Übrigens gab es schon damals trotz Manifest keineswegs ein Künstler-Kollektiv. Das neue deutsche Kino bezeichnet eine Reihe von Einzelkämpfern, die sich wie Wenders und Fassbinder lieber am Kino des John Ford oder Douglas Sirk orientierten oder wie Rudolf Thome an der nouvelle vague der Franzosen, als sich zusammenzuschließen. Auch Tom Tykwer, Andreas Dresen und Dominik Graf, Christian Petzold, Hans-Christian Schmid und Romuald Karmakar, die sich nach dem Komödienboom der 90er Jahre auf die Suche nach den ganz neuen Deutschlandbildern begaben, dürften sich kaum regelmäßig um einen Tisch versammeln.

Einig ist man sich damals wie heute nur beim Kampf um bessere Produktionsmittel. Zwar ist die dank Manifest aus der Taufe gehobene staatliche Filmförderung selbst bei deren Gründungsvätern nicht mehr unumstritten. Aber wer die Forderung nach "Freiheit von der Bevormundung durch Interessengruppen" wiederliest, der denkt sofort an die vielbeschworene "Stärkung der unabhängigen Produzenten" und den Streit um die Macht der Fernsehsender, wie er jüngst beim "Bündnis für den Film" entbrannte.

Der größte Kinoerfolg 2001 war eine Westernparodie, Michael Herbigs "Schuh des Manitu". Der erfolgreichste Film des Jahres 1962 war "Der Schatz im Silbersee". Wenige Monate nach Oberhausen begann die Karl-May-Welle. Seit 40 Jahren nix passiert?

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