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Kultur: Die Schönheit ist des Neuen Anfang

Weil Träume in den Himmel wachsen: Daniel Libeskind gewinnt den New Yorker Wettbewerb um den Wiederaufbau von Ground Zero

Die Entscheidung von New York ist, genauer bedacht, wohl eine Sensation, vielleicht schon: ein epochales Zeichen. Daniel Libeskind also hat den Wettbewerb für die Neubebauung von Ground Zero an der Südspitze von Manhattan gewonnen.

Gewonnen mit seinem Entwurf für ein Ensemble gekanteter Wolkenkratzer – überragt von einer 541 Meter hohen Turmspirale, deren oberste 20 Stockwerke, statt Büros, Restaurants oder Wohnungen, einen vertikalen Park bilden sollen: einen himmlisch-irdischen „Garten der Welt“. Würde dieses Haus aus Beton, Stahl, Glas, Erde und Pflanzen tatsächlich gebaut – hier hat der kommerzieller Pächter von Ground Zero schon seine Vorbehalte angemeldet –, dann wäre es auf dem berühmtesten Grundstück der Gegenwart der bisher höchste je errichtetete Wolkenkratzer. Doch der wahre Durchbruch zielt gar nicht in die Höhe. Er geht in die Tiefe der Architekturgeschichte.

Allein schon der Gedanke, dass einer wie Daniel Libeskind das spektakulärste Bauprojekt des neuen Jahrhunderts verwirklichen soll, wäre vor ein paar Jahren noch eine völlig verrückte Vorstellung gewesen. Galt Libeskind doch als Ideenspinner, als utopischer Träumer und Philosoph der Architektur – kein Praktiker, nur ein Luftbaumeister. Der 1946 in Lodz geborene Sohn jüdisch-polnischer Emigranten, der als Jugendlicher über Israel nach New York kam und erst Musiker war, bevor er Architektur studierte, er blieb zwei Jahrzehnte an wechselnden Universitäten und Kunsthochschulen, von Harvard bis Mailand und (1993) Berlin-Weißensee, nur ein Architekturtheoretiker: ein oft kryptischer Lehrmeister des philosophisch-ästhetischen Dekonstruktivismus. Doch dann hatten ihn auch der Wille zur Wirklichkeit und die Lust an der Konstruktion gepackt, und beim Entwurf für das erst so umstrittene und heute weltweit gerühmte Jüdische Museum in Berlin war der Gedankenblitz zum gebauten Blitz, zur Vergegenwärtigung einer geborstenen, versehrten Geschichte geworden. Und zum neuen Leuchtzeichen.

Seit 1989 hat Daniel Libeskind ein Architekturbüro in Berlin. Doch nicht vor 1997/98 sind in Berlin und in Osnabrück seine ersten Bauwerke realisiert worden – beide Male Museen, in Osnabrück für den in Auschwitz ermordeten Maler Felix Nussbaum. An Berlins Potsdamer Platz hatte man Libeskinds paradoxe, durch Formensprengung neue Form und Konzentration erzeugende Gestalt- und Symbolarchitektur nicht gewollt; und so hat er außer Bühnenbildern fürs deutsche Musiktheater oder das Imperial War Museum in Großbritannien noch immer nicht sehr viel realisiert. Hat eher beeindruckt durch seine Entwürfe für teils gewonnene, teils knapp verlorene Wettbewerbe, nicht zuletzt beim Berliner Holocaust- Mahnmal. Und um eine Architektur, die neben dem baulichen, wirtschaftlichen Nutzwert auch eine ideelle Vorstellung, ja ein Mahnmal (für die Toten des Terroranschlags) mit enthalten sollte, ging es jetzt ganz unvermeidlich auch in New York.

Dabei stand Daniel Libeskind nicht allein. Sieben illustre Einzelbaumeister und Architektengruppen präsentierten im letzten Dezember ihre Vorstellungen, und jede wollte durchaus so etwas wie eine „Vision“ eröffnen. Am offensichtlichsten war das bei den zwei sich berührenden, im kühnen Schwung fast umarmenden „kissing towers“ des Briten Norman Foster. Und neben dem Schöpfer der gläsernen Reichstagskuppel traten mit Libeskind und Peter Eisenman, dem Stelen-Mahnmalbauer, in Manhattan auch zwei weitere Berlin-Bekannte hervor. Zusammen mit Richard Meier wollte Eisenman an die zerstörten Twin Towers des World Trade Center mit fünf miteinander physisch und geometrisch verbundenen Hochhäusern erinnern – und sich zugleich von der am 11. September 2001 begrabenen Doppelturm-Idee lösen.

Zuletzt aber stand neben Libeskinds Turmspirale nur noch ein zweiter Entwurf zur Entscheidung: Die Bau-Gruppe „Think“ hatte wiederum zwei Türme vorgeschlagen, beide gleich 700 Meter hoch und durch einen schwindelnden Steg miteinander verbunden; ihre durch Glas und geschwungene Stahlbänder geprägte Struktur sollte dabei den Eindruck einer DNS-Doppelhelix als Urmuster des Lebens evozieren. Allerdings barg diese Symbolik auch viel luftig transparenten, gleichsam konstruktivistischen Kitsch.

Libeskinds nun erkorener Turmbau wirkt gegen Fosters und „Thinks“ Silhouetten eher unspektakulär. Er würde die Skyline Manhattans zwar überragen, aber nicht irritieren oder gar dominieren. Wir sprechen dabei über animierte, animierende Bilder, über eine virtuelle Anmutung – ohne schon bautechnische Details zu kennen. Das ist beim ersten Urteil noch der Vorbehalt. Auch scheinen die avisierten Kosten von etwa 330 Millionen Dollar angesichts der Baumasse stark (und für Stararchitekten typischerweise) nach unten kalkuliert. Ebenso bleiben alle Fragen der Machbarkeit oder Sicherheit noch zu prüfen.

Ein paar Antworten aber lassen sich jetzt schon geben: So bekundet Libeskind gerade im gestalterischen Abstand zu den zerstörten Zwillingstürmen auch seinen Respekt vor den Toten. Alles, was direkter die alte Form assoziiert oder gar imitatorisch weiterspielt, würde nur eine trügerische, für die Hinterbliebenen kaum tröstliche und gar peinliche Idee von künstlicher Wiederauferstehung suggerieren, die Einzigartigkeit der Opfer und der Zerstörung schmälern.

Auch dem Vorwurf der Gigantomanie und des babylonischen Übermuts versucht Libeskind zu begegnen. Da ein Flachbau in Manhattan (und gerade hier) nicht in Frage kam und die Alternative sonst nur eine Grünanlage oder ein Leerraum gewesen wären, die die New Yorker statt als Mahnung eher als Verewigung des Verlusts angesehen hätten, blieb nur die Tradition des Wolkenkratzers. Doch ist der originale Ort der Twin Towers ausgespart als Mahnmal, als nunmehr belebte Leere (Libeskinds „void“), und dem Einwand der Selbstüberhebung antwortet er mit seinem „Dachgarten“ in gleichsam spielerischer Gebärde. Der vertikale Park, in dem die Bäume wie Träume in den Himmel wachsen, bricht nicht nur der Stahlglasbeton-Bauweise die harte Spitze – er könnte als Umkehrung dem Bau auf dem „Null-Grund“ auch einen doppelten, utopischen Boden geben: Wurzeln in den Lüften.

Hier kommt, jenseits aller künstlichen Biotope oder der amerikanischen Geschichtszahl-Magie mit 1776 Fuß Bauhöhe, wieder der alte junge Libeskind ins Spiel. Er verkörpert den Architekt auch als Künstler und (praktischen) Philosophen. Libeskind spricht bei seinem Entwurf für Ground Zero von „Schönheit und Freiheit“. Das bedeutet – neben den Werken anderer Künstler-Architekten wie etwa Frank Gehry – in der jüngsten Architekturgeschichte eine Zäsur. Der Purismus der neuen Sachlichkeit und des (nach 1945) zur Schachtel- und Riegel-Bauweise degenerierten Bauhaus-Stils hatte die Idee der schieren Funktionalität geboren. Und ästhetische Debatten jahrzehntelang verkürzt.

Ob Libeskind in Manhattan tatsächlich gebaut wird, ist ungewiss. Doch ist es hohe Zeit – und selbst für das neue Berlin an manchen Plätzen noch nicht zu spät –, dass Architektur nicht nur als Medium der Stadtentwicklung, sondern auch wieder als Motor der Stadtverschönerung begriffen wird. Indem Libeskind der Zerstörung die Idee der Schönheit, die immer auch eine der Freiheit ist, entgegensetzt, gibt er ein Beispiel.

Weit über Ground Zero hinaus.

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