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Kultur: Die Schöpfung geht weiter

Dresdens Frauenkirche ist nur der Anfang: Wie die Elbestadt ihr historisches Ensemble wieder aufbaut

Wer sich eine festliche Trauung in der wiedererrichteten Dresdner Frauenkirche erträumt, muss sich bereits jetzt bis 2008 gedulden. Die sonnabendlichen Hochzeitstermine sind bis auf ganz wenige Lücken bis Ende 2007 bereits vergeben. Bei den Kindstaufen dürfte es kaum besser sein. Lisa, Lukas und Linus heißt, schön alliterarisch, das Trio der ersten Täuflinge.

Sogar der Gottesdienstbesuch gestaltet sich schwierig. Zumindest zu Weihnachten: Da sind die sechs angesetzten Termine bereits ausgebucht. Auch wer zur Not mit einem schlichten Besichtigungstermin vorlieb nehmen mag, muss sich in Geduld üben: Nicht einmal der vorweihnachtliche Schneefall lässt die Warteschlange schrumpfen. Mal zwei, mal drei Stunden stehen die Besucher in den engen Gassen an, aus denen die Neubebauung des Neumarkts mit bemerkenswerter Geschwindigkeit emporwächst, der die Frauenkirche wie ein Geschmeide fasst. In nur sieben Wochen seit der festlichen Weihe am 30. Oktober wurden 250 000 Besucher gezählt.

Dreierlei hat Dresden mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche gewonnen: ein Gotteshaus, einen Konzertsaal und eine Touristenattraktion. Über die Faszination des Bauwerks lässt sich inzwischen genauer urteilen. Sie ist mit dem ersten Aspekt, dem Wiedergewinn des Gotteshauses, untergründig verknüpft. Denn nicht ein profanes, seiner ursprünglichen Aufgabe entkleidetes Bauwerk ist wiedererstanden, wie es beim nahen Residenzschloss Abschnitt für Abschnitt der Fall ist – und unter kaum geringerer Anteilnahme der Öffentlichkeit.

Die Frauenkirche ist Kirche, sie ist nicht eröffnet, sondern geweiht worden. Aus den in ihrer rekonstruierten Frische noch allzu bonbonfarbenen Kuppelfresken schauen die Evangelisten und die Verkörperungen der Kardinaltugenden herab, nicht als Ausweis barocker Ausschmückungslust, sondern als Zeugen gelebten Glaubens. Die Ergriffenheit, die bei dem würdigen Weihegottesdienst unter den Festgästen allenthalben zu spüren war, pflanzt sich unter den touristischen Besuchern fort. Man geht nicht fehl, in der Neugier auf das wieder- oder eher doch neu geschaffene Bauwerk zugleich eine heimliche Sehnsucht nach der Geborgenheit im Glauben zu vermuten.

Das Neu-Sein des Kirchenbaus und vor allem seiner reichen, spätbarocken Innenausstattung versperrt jenem typischen Reflex den Weg, der sich bei touristischen Besuchern alter Sakralbauten einstellt: dass es eben alte, aus vergangener Zeit überkommene Bauwerke sind, die uns über die Historie hinaus nichts mehr zu sagen hätten. Die Dresdner Frauenkirche stellt dagegen den Anspruch auf Zeitgenossenschaft. Was protestantische Architektur will, sagt die demonstrativ in der Mittelachse des Bauwerks angeordnete Kanzel deutlich: die Verkündigung des Worts. Die in vier kühn getürmten Stockwerken konzentrisch angeordneten Logen unterstreichen die Forderung, dem Wort Gehör zu schenken. Spektakulär sind die Ausblicke aus diesen Emporen, je höher der Besucher steigt. Die Vertikalbewegung des Bauwerks, außen abzulesen am übergangslosen Emporwachsen der gestreckten Kuppel aus dem polygonalen Unterbau, ist im Inneren geradezu mitreißend. Und sie erfasst über den Augen- auch den Ohrensinn, sobald die grandiose Orgel hoch über dem Altar zu spielen beginnt.

Dass der Klang der neuen französischen Orgel härter, vielleicht auch metallischer sei als der als etwas wolkig-wohlig geschilderte Klang der Silbermann-Orgel von einst, mögen Fachleute diskutieren. Dem Laien jedenfalls erscheint die fanfarenartige Helligkeit des neuen Orgelklangs zur Diesseitigkeit des farbfrischen Raumschmucks gerade recht. Damit indessen sind dem zweiten Zugewinn Dresdens, dem der Frauenkirche als Konzertsaal, Grenzen gezogen. Die ersten Orchesterkonzerte haben erwiesen, dass die Klangspezifik und besonders die Nachhallzeiten des Kuppelbaus einer durchgängigen Musiknutzung entgegenstehen, vor allem der großen Symphonik.

Die bauliche Fassung der Kirche durch die Rekonstruktion des Neumarkts wird indes jenes urbane Geflecht wiedererstehen lassen, innerhalb dessen die Frauenkirche als Symbol selbstbewussten Stadtbürgertums ihren weltlichen Platz hatte. Erst dann werden die Postkartenblicke vom jenseitigen Elbufer, mit der Silhouette von Kuppel, Schlossturm und Hofkirche, wieder ein geschlossenes Stadtbild aufnehmen.

Umso dringlicher erhebt der sandsteinhelle Bau der Frauenkirche die Forderung, den geplanten Bau der verniedlichend „Waldschlösschenbrücke“ genannten Stadtautobahn über die Elbe und ihre Auen hinweg zu verhindern. Die vom pausenlosen Verkehrsstau entnervten Dresdner hatten das noch zu DDR-Zeiten erdachte, mittlerweile auf 157 Millionen Euro veranschlagte Vorhaben per Volksentscheid befürwortet.

Doch mittlerweile ist das Mittlere Elbtal in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden. Die drohende Zerstörung der überhaupt ersten, 1747 für König August III. von Hofmaler Canaletto geschaffenen Ansicht des Stadtpanoramas ist mehr als ein Kollateralschaden der lokalen Verkehrsführung. Dass das sächsische Oberverwaltungsgericht am gestrigen Donnerstag dem Brückenbau zugestimmt hat und und dabei auch noch betont, die Unesco-Warnung habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt, kommt einer bewussten Missachtung des unendlich kostbaren Erbes gleich – um dessentwillen die Frauenkirche doch wieder aufgebaut worden ist.

Der Kölner Dom landete bereits auf der „Roten Liste des gefährdeten Weltkulturerbes“ – eine Peinlichkeit, die sich Dresden gerade noch ersparen kann. Die zeitgleich mit der Frauenkirche eröffnete Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen, „Der Blick auf Dresden“, im eindrucksvoll teilrenovierten Lipsius-Bau am Ende der Brühlschen Terrasse müsste allen Lokalpolitikern die Augen öffnen. Kaum eine zweite Stadt ist derart auf die Einmaligkeit ihrer Silhouette fokussiert worden wie Dresden.

Das Kunstprodukt der urbanen Schöpfung und die Produktion der sie abbildenden, durchaus auch symbolhaft interpretierenden Kunst durchdringen einander. Und die Faszination riss ja, allem Schmerz zum Trotz, nicht einmal 1945 ab. Sie suchte vielmehr Halt an dem wenigen, das geblieben war. Mit dem weiten Bogen dieser Ausstellung von den ersten Topografien des kurfürstlichen Dresden um 1600 bis zur meist fotokünstlerischen Gegenwart rückt die lange nur flüsternd angesprochene Frage der „zweiten“ Zerstörung wieder in den Blick.

Denn Dresden ist nicht im Februar 1945 untergegangen. Dresden wurde hinterher, unter besonderer persönlicher Einflussnahme des Sachsen Walter Ulbricht, zur „sozialistischen Stadt“ planiert. Auch was blieb – und womit sich die SED später schmückte –, stand anfänglich und immer wieder zur Disposition. Tausende von rettbaren Ruinen, von Fassaden, von Fragmenten dieser einmaligen Stadt wurden beseitigt. Auch über diese – von Matthias Lerm in seinem Buch von 2001 dokumentierte – Barbarei ist heute zu reden. Und keine weitere darf ihr folgen, schon gar nicht unter dem von jeher als Sachzwang missbrauchten Wunsch nach der autogerechten Stadt.

Dresden ist nicht autogerecht. Dresden ist eine kunstvolle Schöpfung. In der Sehnsucht nach der Frauenkirche, nach Teilhabe an diesem kostbaren Wiedergewinn äußert sich die Sehnsucht nach einer Stadt im menschlichen Maßstab.

Dresden, Lipsiusbau, bis 1. Mai 2006. Katalog im Deutschen Kunstverlag, 19,90 €, im Buchhandel 24,90 €. – Empfohlene Lektüre: Matthias Lerm, Abschied vom alten Dresden, 19,90 €. Volker Helas u.a.: Dresden. Eine vergleichende Zeitreise über zwei Jahrhunderte, 2005, 24,90 €. Beide Bücher im Hinstorff Verlag, Rostock.

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