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Kultur: Die Schöpfung ist okay

FERNSEHZIMMER Kurt Scheel fordert seine Leser auf, Viere ungerade sein zu lassen Und nun also Harald Schmidt. Wenn man ein Stadium der Weisheit erreicht hat wie ich, zum Stoiker geworden ist, fleischliche und geistige Begierden quasi abgetötet hat, dann wundert man sich über jarnischt mehr.

FERNSEHZIMMER

Kurt Scheel fordert seine Leser auf, Viere ungerade sein zu lassen

Und nun also Harald Schmidt. Wenn man ein Stadium der Weisheit erreicht hat wie ich, zum Stoiker geworden ist, fleischliche und geistige Begierden quasi abgetötet hat, dann wundert man sich über jarnischt mehr. Und dennoch! Meines Wissens hat seit Bismarcks Abtritt („Der Lotse geht von Bord“) kein anderer die deutsche Öffentlichkeit so bewegt wie der Harald Schmidtsche, und diesmal hat sogar die sozialdemokratische Kampfpresse Ach und Weh geschrien: Das Feuilleton hat ausgerechnet im Adorno-Jahr seine alte TV-Verachtung geradezu perhorresziert – man konnte nur froh darüber sein, dass Adorno das nicht mehr erleben musste.

Nicht, dass ich solches geißeln möchte. Im Gegenteil! Ich finde es prima, wenn die berufsmäßigen Nörgelköppe auch mal positiv und kitschig werden und man dann erkennen kann, dass hinter dem apokalyptischen Getobe über den Untergang des Kulturstandorts D eher schüchterne Gesellen sich verbergen, die am liebsten „Hamlet“ mit Playmobil nachspielen würden, sich aber nicht so recht trauen. Für uns alte Streetfighter und Roués hat das etwas Niedliches, und natürlich kennen wir schärfere Genüsse, da können Sie jeden fragen, besonders aber Petra und Elvira; vielleicht auch Peymann.

Dass wir uns nicht missverstehen: Auch ich verehre Harald Schmidt, obwohl ich seine Show nur sehr selten gesehen habe. Das lag einfach daran, dass ich früh ins Bett gehe. Was ich Ihnen hiermit in diesen nachweihnachtlichen Tagen nahe legen möchte, ist schlicht folgendes: Warum denn immer so kritisch und unbestechlich? Lassen Sie doch auch mal Viere ungerade sein! Loben und schleimen ist Teil unserer Lebenswirklichkeit – befreien Sie das begabte Kind in sich und lassen es, bildlich gesprochen, dick mit Nutella „Harald Schmidt is my superstar“ an die Wände Ihres ganz persönlichen Fernsehzimmers schmieren! Denn wenn sich sogar das Feuilleton milde und fast weinerlich über die Krippe beugt und das Harald-Kind anbetet, dann kann doch ausnahmsweise und zur Jahreswende auch der normale TV-Gucker fröhlich „Alles paletti!“ rufen oder nachdenklich „Die Schöpfung ist im Prinzip okay“ konstatieren. Urbi et orbi!

Es geht mit anderen Worten um „Affirmation“. „Affirmation“, machen wir uns nichts vor, ist und bleibt ein Teufelswort, was Sie dadurch verifizieren können, indem Sie einem beliebigen Feuilletonisten das „Kompliment“ machen, sein letzter Schmidt-Artikel sei „bannig affirmativ“ gewesen. Er wird erbleichen und herumstottern, Schmidt sei ja nun wirklich gut und quasi ein (unehelicher) Sohn der Neuen Frankfurter Schule und insofern eine Art Urenkel Adornos – Sie aber lächeln nur leicht und wiederholen versonnen „bannig affirmativ“.

In Wirklichkeit haben natürlich beide recht: Der Triumph Harald Schmidts beim Feuilleton basierte auf dessen tiefer Sehnsucht danach, sich auch einmal ohne Schuldgefühle den Wonnen des Gewöhnlichen hingeben zu können, und wo geht das besser als auf einem Kindergeburtstag, im geschützten Raum anarchischer Harmonie? Aber Kindergeburtstage sind anstrengend, nicht nur für die Erwachsenen, sondern auch für die Kinder: Sie sind total übermüdet, wollen aber nicht ins Bett. Dieser Gordische Knoten konnte nur dezisionistisch im Sinne Carl Schmitts zerschlagen werden, und deswegen sind alle Beteiligten froh, dass nun Schluss und Ruhe ist und sie ohne Gesichtsverlust wieder ihrem Kerngeschäft nachgehen können: Das Feuilleton wird die Weltläufte kritisch kommentieren, der Entertainer seine Späße machen – aber nie wieder werden diese beiden in inniger Liebe zueinander finden. Man wird sich sogar ein wenig voreinander genieren, wenn man sich zufällig trifft, wie das eben so ist bei gewesenen Liebesleuten. Und Frau Engelke werden die Kritiker nie verzeihen, dass sie sich bei Harald Schmidt so wohlgefühlt haben, fast ein bisschen zu sehr.

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