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Kultur: Die Seele - eine Stahlfeder

Das "Weite Land", das ist die Seele.Und die Seele, sie wohnt in einer Villa in Baden bei Wien, bei einer Hautevolee von Fabrikanten, Künstlern, Ehefrauen zu Beginn des Jahrhunderts.

Das "Weite Land", das ist die Seele.Und die Seele, sie wohnt in einer Villa in Baden bei Wien, bei einer Hautevolee von Fabrikanten, Künstlern, Ehefrauen zu Beginn des Jahrhunderts.Aber auch eine gut situierte Seele besitzt Flügel, und weil sie sich in kultivierten Zeiten nicht mehr in schlecht temperierte Geisteshöhen aufschwingen mag, flattert sie sehnsuchtsvoll ins warme Nachbarbett.Kaum hat Fabrikant Hofreiter seine Affäre mit Frau Bankier Natter abgeschlossen und ist mit ihr zum Sie zurückgekehrt, da macht er schon der jungen Debütantin Erna Avancen.Oberflächlich gesehen ist Schnitzlers "Tragikomödie" von 1911 ein zynisch-heiterer, müd-schmerzlicher Reigen von Seitensprüngen.Nur Hofreiters Gattin Genia, ihrem Mädchenliebestraum und ihrem fern in England weilenden Knaben nachhängend, mag es um der inneren Schönheit willen ihrem Gemahl nicht mit gleicher Münze heimzahlen.Als dieser in den Bergen mit Erna frische Luft und Lust schnappt, gibt allerdings auch sie sich einer Liaison mit dem jungen Fähnrich Otto hin.Alsbald weiß alle Welt von diesen Amouren.Hofreiter fühlt sich gar seiner Frau wieder nähergerückt; wohl weniger aus Eifersucht denn aus Ennui, daß da jemand mit so "frechem, jungem Blick" seine Spielkreise stört, erschießt er den Galan im Duell.

In Köln ist das weite Land ein weiter Raum, elegant, kühl, leer, und die Seele eine Stahlfeder: die Spannung, die an ihr zieht, ist nicht die Sehnsucht, sondern eine mechanische Kraft.Schnitzler schickt seine Badener Gesellschaft immer wieder hinaus zum Tennisspiel: der Sport wie die Liebe ein schlichtes Hin und Her, raffiniert durch Regeln.In Köln aber geht es nicht um Sport und Spiel, hier sind Profis am Werk, die mit rascher Perfektion Positionen verbessern, Kapital vermehren: Shareholder des Sozialen.So ist Hofreiter kein jovialer Platzhirsch sondern ein Privat-Machiavelli, der blitzschnell jede Konstellation erkennt, ergreift, zu seinem Vorteil arrangiert.Martin Reinke spielt ihn mit der tigernden Unruhe und heiseren Selbstgefälligkeit, die man von ihm kennt.Er gibt das hohe Tempo vor - mehr Squash als Tennis -, aber die Kälte kommt von den Frauen.Genia und Erna besitzen nichts Sehnsuchtsvolles, sie wollen ihren Platz, nicht die Liebe.Die Gemahlin ist nicht die tausendmal Enttäuschte - sie argwöhnt, lauert und wartet auf ihren Moment; wiewohl mit Stil.Die Gespielin ist nicht das schwärmende Mädchen, sondern der selbstbewußte Twen; man unterstellt Cabriolet und Aktienbesitz.Beide Frauen (Birgit Walter, Anja Laïs) verweigern auffällig, was man von Schnitzlers Frauen erwartet: aus großen Augen die tiefen Blicke.Schmaläugig, stirnrunzelnd, nervös, sich ihrer schwächeren Position bewußt, plazieren sie ihr Kapital: Verlockung.Selbst die Meinold (Susanne Barth), Trägerin stolzer Einsamkeit nach einstmals zugefügtem Liebesverrat, ist hier nicht weise Freundin, sondern arrogant egoman; stählern wie alle.Nur Liebhaber Otto, Revanche Genias, ist aus so etwas wie Holz gemacht, aus dem es keimen könnte.

Das Kölner schnelle, kalte Land hat Volker Hesse inszeniert, (noch) Ko-Direktor der Zürcher Neumarkt-Bühne und als Theaterreformer zuletzt auch für Berlin im Gespräch; seine erste Kölner Inszenierung ist sicher eines: zeitgemäß.Ihr metallisches Dur, für das Bühnenbildnerin Kazuko Watanabe einen großartigen Klangraum gebaut hat, planiert jedoch all die Schnitzlerschen Zwischentöne.Die Figuren sind einander motivisch so ähnlich, daß man ihre Konflikte, vor allem den Tod am Schluß, nicht mehr begreift.Daß Hofreiter von der Jugend Ottos zutiefst herausgefordert sei - kaum möglich.Schnitzler, der literarische Freud, wußte aber, daß den Paarungsreigen weniger der Lust- denn der Todestrieb dreht.Wie und wen dreht er heute? Vielleicht aber ist die Inszenierung selbst Produkt dieser zeittypischen motivischen Leere: Hesse verteilt seine Spieler oft über die Tiefe des Raumes, als Endpunkte von Linien rufen sie einander ihr Geplauder zu.Dann wieder ballen sich die Figuren zu sirrenden Schwärmen, die herankommen und davonziehen.Da gelingen Hesse starke Bilder davon, daß nicht mehr das Begehren des anderen, sondern Relation und allgemeine Geschwindigkeit unseren Zusammenhalt produzieren.

Wieder am 5., 10., 11., 14.und 25.April

ULRICH DEUTER

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