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Auf der Couch. Franz (Simon Morzé) sucht Professor Sigmund Freud (Bruno Ganz, r.) auf, wegen seiner unglücklichen Liebe zur Varietétänzerin Anezka (Emma Drogunova).

© Tobis

Die Seethaler-Verfilmung "Der Trafikant": Blauer Dunst und Sigmunds Freude

Der österreichische Regisseur Nikolaus Leytner hat Robert Seethalers knorrigen Wien-Roman „Der Trafikant“ verfilmt – mit Bruno Ganz als Professor Freud.

Es gewittert zu Anfang. Nach einer kurzen Rammelei mit der Mutter des jungen Helden, mal eben im Stehen an einem Baumstamm, stürzt sich der Liebhaber, auch er ein Baum von (älterem) Kerl, zur Erfrischung in die grauen Fluten des Attersees. Mit jubelndem Gebrüll, trotz allem Blitz und Donner. Da zischt und kracht es aus einer Wolke, und weg ist der Mann im See. Mit einem Schlag.

Das hat etwas von makaberer Komik, von filmischem Bauerntheater. Doch Nikolaus Leytners „Der Trafikant“, eine Adaption von Robert Seethalers Bestsellerroman, mündet danach in einer einigermaßen unterhaltsamen, aber furchtbar gut und ernst gemeinten Literaturbebilderung. Bei der es vom Spätsommer 1937 im Salzkammergut schnell in den Herbst der Republik Österreich geht – bevor dann 1938 Land und Leute an Hitlers Großdeutschland fallen.

Worauf viele aufsteigen und manche für immer untergehen. Insoweit hat die Gewitterszene mit dunklen Wettern und jähem Tod ihre unübersehbare Symbolik.

Der 17-jährige Franz Huchel, ein versonnener Junge vom Land, muss in die Großstadt. Seine Mutter (Regina Fritsch) schickt ihn nach dem blitzartigen Ende ihres als Waldbesitzer und Fabrikant vermögenden Geliebten zu inem früheren Geliebten in die Lehre. Der hat in Wien eine kleine Trafik, so heißt auf Österreichisch ein Tabak-, Papier- und Zeitungsladen. Franz schläft bei dem alten Trafikanten Otto Trsnjek (Johannes Krisch) im Hinterstüberl und lernt von seinem liebenswert knorrigen, im 1. Weltkrieg um ein Bein gebrachten Chef solcherlei Geschäfts- und Lebensweisheiten: „Eine schlechte Zigarre schmeckt nach Pferdemist, eine gute nach Tabak. Eine sehr gute Zigarre jedoch schmeckt nach der Welt!“

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Dieser Trafikant ist als Kriegsversehrter zum Eigenbrötler geworden, weltklug und treuherzig zugleich. Vor allem ist er kein Nazi, obwohl die Braunen ihn und sein Geschäft bereits umzingeln. Das erkennt man schon daran, dass die Guten niemals böse ausschauen, aber alle Bösen die Metzger- und Sturmbannführerfratzen tragen, als seien sie direkt Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ entsprungen. Und des Trafikanten Nachbar? Ein Fleischhauer, mit Blut an den Händen.

Franz nimmt das wie ein Tagträumer nur halb wahr. Der Junge wird von Simon Morzé mit einer mal anrührenden Scheu, mal von der Regie forcierten transusigen Altklugheit gespielt. Vor allem tut er einem schnell leid, weil er wie der alte Trafikant zum Opfer verurteilt ist. In der Politik und in der Liebe. Diese gilt einer hübschen, drallen Böhmin (Emma Drogunova), die mit ihrer Bier-, Sex- und Musikantenfreude in breitem Böhmisch („So ist Läben, Burschi!“) alle folkloristischen Klischees vereint. Und den armen Franz, die wahre Liebe, gegen Sex und Sicherheit an der Seite eines SS-Mannes tauscht.

Bruno Ganz spielt den alten, kurz vor der Emigration stehenden Seelenkundler Freud

Zur Beglänzung dieses mit frisch gebügelten Historienkostümen, über Kopfsteinpflaster holpernden Oldtimern und malerisch nachgepinselten Wiener Gassen inszenierten sehr kleinen Großstadtmelodrams tritt freilich auch eine Person der Kulturweltgeschichte auf. Einer der Trafikanten-Kunden ist Herr Professor Sigmund Freud, in Gestalt und perfekter Maske von Bruno Ganz. Trotz Raucherkrebs sind die Zigarren Sigmunds letzte Freude. Der junge Franz hängt sich nur zu gerne an den alten, kurz vor der Emigration nach London stehenden Seelenkundler. Was Ganz/Freud, ein bisschen dunstumwölkt, die Gelegenheit zu weiteren Sentenzen gibt. „An den Klippen zum Weiblichen zerschellen selbst die Besten von uns!“ Oder: „Mit den Frauen ist es wie mit den Zigarren. Wenn man zu fest an ihnen zieht, verweigern sie den Genuss.“

Hätte Bruno Ganz nicht sein wunderbar ironisches Lächeln und Augenzwinkern, man müsste vor so viel kulturgeschichtlicher Gartenlaube samt unfreiwilliger Komik gleich kapitulieren. Doch diese gedrechselten Zitate sind eben auch der reine, von der Literaturkritik einst hoch gelobte Seethaler. Das Problem des österreichischen Regisseurs Leytner ist seine wohl distanzlose Hingabe an den Roman, sein Verzicht auf jede eigene filmische Handschrift. Daraus wird dann jene Werktreue, die ein Werk auch im doppelten Sinne verraten kann. Peter von Becker

Ab Donnerstag in den Berliner Kinos Blauer Stern Pankow, Capitol, Cinemaxx Potsdamer Platz, Delphi Lux, Eva, Kulturbrauerei, Yorck

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