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Kultur: Die sizilianische Oper: Aus den Sittengemälden

Alles hätte so schön werden können. Gerade hatte man im sizilianischen Vigata ein neues Theater gebaut.

Alles hätte so schön werden können. Gerade hatte man im sizilianischen Vigata ein neues Theater gebaut. Zur Eröffnung wollte der Präfekt Bortuzzi, ein Mann aus der Kulturstadt Florenz, den Provinzlern die Oper "Der Bierbrauer von Preston" vorführen. Gewagt genug. Doch als er dann noch den Komponisten Luigi Ricci als Mozart-Epigonen vorstellt, geht gar nichts mehr. Die Sizilianer hegen eine ebenso unerklärliche wie heftige Abneigung gegen den Salzburger. Ein zähes Tauziehen beginnt, bei dem der Präfekt alle Register seiner staatlichen Autorität zieht und sich auch der lokalen Eminenzen im Hintergrund bedient. Die Vigateser, so dickköpfig wie fantasievoll, halten dagegen.

Andrea Camilleri entwirft ein farbenfrohes, burleskes Sittengemälde der sizilianischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Jener Zeit also, in der die Insel die Fremdherrschaft der Bourbonen gegen die des piemontesischen Italien eintauschte. Und wieder ist es die Figur des Fremden, die der italienische Bestseller-Autor als Reaktionsbeschleuniger einsetzt. "Ich kann Sizilien nicht einem Sizilianer erklären", sagt Camilleri. So entzünden sich am Präfekten Bertuzzi all die Widersprüche und Eigenheiten einer Gesellschaft, die zwar am Rande Europas lebt, aber sich auch von einem Florentiner nicht beibringen lassen will, welche Musik sie zu hören hat. Verschrobene Käuze, verstiegene Träumer und Idealisten zeigt Camilleri hier, deren Opposition zur Obrigkeit sich an einer scheinbaren Nebensächlichkeit entlädt. Die dann aber - einem ebenso unpolitischen wie zufälligen Ehrbegriff folgend - auch zusammenhalten.

Vielleicht ist "Die sizilianische Oper" nicht nur der witzigste, sondern auch der optimistischste von Camilleris "historischen" Romanen. Denn letzten Endes kreisen diese immer um die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts, als die Chance vertan wurde, die Sizilianer von Untertanen zu Bürgern zu machen. So zeichnet der zweite Camilleri-Roman dieses Frühjahrs denn auch ein etwas weniger fröhliches Porträt des damaligen Sizilien. In "Die Mühlen des Herrn" ist der Fremde ein Genueser Mühleninspekteur - allerdings mit sizilianischen Vorfahren. Auf die Insel geschickt, um nach dem Mord an zwei Vorgängern Ordnung in den Distrikt Montelusa zu bringen, macht sich Giovanni Bovara gleich unbeliebt. Er will mit dem Steuerbetrug aufräumen, an dem alle verdienen, während der Staat leer ausgeht. Stück für Stück kommt Bovara dem Netzwerk gegenseitiger Gefälligkeiten auf die Spur, in dessen Mitte der allmächtige Don Cocò Aflitto sitzt: Großgrundbesitzer, Industrieller sowie Medienunternehmer in einer Person. Seine Handlanger hängen Bovara schließlich den Mord am Gemeindepfarrer an - dem größten Erotomanen und Wucherer im Ort.

Den Rock für den Pfarrer heben

Der lustvolle Fabulierer Camilleri bringt auch hier seine saftigen Liebesgeschichten und Eheszenen unter, die seine Bücher so lesenswert und amüsant machen. Wie die reiche Witwe sich jeden Fußbreit vom Pfarrer bezahlen lässt, den sie bereit ist ihren Rock zu lüften oder sich ein würdevoller Hausherr wie selbstverständlich einmal in der Woche an der Bediensteten vergeht - es sind sizilianische "Short Cuts", die sich zum Porträt einer Kleinstadt zusammenfügen. Ohnehin muss man alle Bücher Camilleris - von denen jetzt eins nach dem anderen übersetzt wird - als Einheit lesen. All seine Werke weben am Bild von Sizilien. Jedes einzelne neue Facetten enthüllend, ein Mosaik disparater Elemente. Und ihre Stärke besteht gerade darin, dass Camilleri keine eindeutige Position bezieht, sich auch selbst immer wieder neu dem historischen Sizilien nähert. So ist der Präfekt in der "sizilianischen Oper" der übliche Ignorant aus dem Norden, der keine Ahnung von Land und Leuten hat und sein Wissen über seine Untertanen aus illustrierten Büchern bezieht sowie von den Lakaien, mit denen er sich umgibt. Von ganz anderem Kaliber erweist sich jedoch der Mühleninspekteur Bovara. Etwas steif aber moralisch integer sieht er sich einer korrupten Gesellschaft gegenüber, deren Intrigen und Machenschaften er erst langsam durchschaut. Was ihm aber recht wenig nützt, als er selber wegen Mordes angeklagt wird. Zwar verkörpert Bovara ganz den etatistisch-norditalienischen Rigorismus des neugeschaffenen Nationalstaats, hat aber durch seine Eltern in seiner Jugend auch Sizilianisch gelernt. Erst in der Rückbesinnung auf seine sprachlichen Wurzeln gelingt es ihm, die gegen ihn gesponnenen Intrigen mit noch feineren Mitteln zu schlagen.

Die komische Misere der Insel

So haftet der Figur Bovaras ganz entgegen der sonstigen Lebensfülle Camillerischer Entwürfe etwas thesenhaftes an. Als wolle der Autor zur Lösung der Probleme der Insel eine Synthese aus norditalienischem Staatsverständnis und "Sicilianita¡" vorschlagen. Und hat doch recht damit. Denn natürlich greifen die Klischees über Sizilien zu kurz. Ist die Herrschaft der Mafia kein ewiges Schicksal, sondern historisch geworden. Und Camilleri zeigt hier - wie in seinen heute spielenden Kriminalromanen - sowohl die gesellschaftliche Misere als auch die große Vitalität und den Humor der sizilianischen Kultur. Und so liegt ihm denn doch alle Theorie fern, sind seine Romane eine Verteidigung der Eigenart einer Insel, die immer wieder neu entdeckt werden will.

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