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Kultur: Die späte Welle

Surfen mit Paul McCartney & Co: Brian Wilsons Soloalbum inszeniert eine Party der Pop-Giganten

Ihre Lieder handeln von jenen kleinen Freuden, die das Leben in einer asphaltierten Welt übrig ließ: von chromblitzenden Automobilen, von Strandparties, von Carol Ann und Mary Lou. Und natürlich von der unendlichen Weite des Ozeans, von den Surfspots zwischen Malibu und Huntington Beach und vom Paradies auf Erden, wo es Wellen und Mädchen und bunte Hemden gibt: von Hawaii.

Die Lieder der Beach Boys, das waren seine Songs. Während die anderen Strandknaben ein Leben lebten, das in etwa der Tiefe ihrer Texte entsprach, da war er es, der sie und vor allem sich selbst immer wieder zur Hochleistung antrieb. Unter der Oberfläche aus spiegelndem Chrom, geblümten Gabardinestoffen und glänzend gewachstem Balsaholz, unter schicken Twang-Gitarrenakkorden und chorischen Harmonien verborgen, da kämpfte er einen verlorenen Kampf. Gegen den sadistischen Vater, die Konkurrenz einer Boygroup aus Liverpool und den selbst gewählten Übervater Phil Spector. Am härtesten aber kämpfte er mit legal und illegal erhältlichen Mitteln allen Mitteln gegen sich selbst.

Es hat lange gedauert, bis man Brian Wilson als das Genie anerkannte, das er selbst immer sein wollte. Als er mit „Pet Sounds“, dem gefeierten Album von 1966, all seine realen und eingebildeten Gegner endlich stumm und staunen machte, da war es auch schon vorbei mit dem sonnigen Leben. Brian Wilson, der außer zu PR-Zwecken nie auf einem Surfboard gestanden hatte, geriet unter die eigene Welle. Wipe out nennt man diesen Moment, in dem es einen von der glitzernden Wasseroberfläche einer mächtigen tube in die kalte, dunkle Tiefe reißt. Es braucht große Kraft, um wieder aufzutauchen. Man kann dabei viel Wasser schlucken und hart auf den Sand schlagen. Wenn der Sog sehr stark ist, kann man auch ertrinken.

Brian Wilson blieb lange unter der Oberfläche. Er hörte dort Stimmen und sah Dinge, die man eigentlich lieber nicht kennen lernen möchte. Nach Jahren der Therapie beim umstrittenen Doktor Landy, nach Drogenentzug und einer gnadenlosen Radikaldiät, bei der er mehr als die Hälfte seines monströsen Körpergewichts verlor, ist Brian Wilson wieder da. Ein Soloalbum erschien bereits 1998 und mit zwei aufsehenerregenden Touren bewies er sich und der Welt das kaum Fassbare: Dass er wieder aufgetaucht ist.

Konzerte und neue Alben des begnadeten Arrangeurs und Songschreibers sind daher stets eine Sensation. Der Mann, der da am Klavier sitzt, ist ein Gezeichneter. Tief liegen die Furchen in seinem Gesicht, seine Bewegungen wirken wie mühsam einstudiert. Als Wilson das unveröffentlichte Beach-Boys-Albums „Smile!“, eines der letzten Mysterien der Popgeschichte, im Frühjahr auf einer Tournee vorstellte, da konnte er den fröhlichen Imperativ des Titels kaum einlösen.

Denn es ist einsam geworden um Brian Wilson. Vater, Übervater, Bruder und die meisten Freunde sind inzwischen verstorben. Nun kehrt der 62-Jährige mit dem neuen Soloalbum „Gettin’ In Over My Head“ mit neuen Freunden zurück: Elton John, Paul McCartney und Eric Clapton sind die Stargäste der Platte, die mit aller Macht an die goldenen Zeiten anknüpfen will. Das erste Stück „How Could We Still Be Dancin’“, als Hitsingle konzipiert, beginnt mit einer der Wilson-typischen A-cappella-Harmonien. Es ist wie immer bei Wilson eine Frage an ihn selbst, auch wenn sie hier Elton John singen muss. Die Tragik des Durchlittenen scheint auch in den anderen Songs mitzuschwingen. Der „City Blues“, dem Eric Clapton seine Gitarre leiht, beschwört die Einsamkeit. Der späte Hotrod-Song „Desert Drive“ wirkt dagegen wie eine Selbstkopie aus der „Fun, Fun, Fun“-Ära und auch das Titelstück „Gettin’ In Over My Head“ macht einfach da weiter, wo die Beach Boys mit ihrem Weihnachtsalbum 1964 aufgehört hatten: etwas zaghafter, doch das gleiche Intro wie bei „Merry Christmas Baby“.

Das Booklet gestaltete Pete Blake, der bereits das bunte Cover für das „Sgt. Pepper’s“-Album der Beatles schuf. Alles sieht also nach Monumentalalbum aus. Nur fehlt die Energie der frühen Jahre. Es stellt sich in etwa die Ausgelassenheit einer Stehparty ein, auf der nur Prominente eingeladen sind. Das Duett „A Friend Like You“ mit Sir Paul McCartney wurde denn auch nach einem Benefizkonzert geschrieben. Vor wenigen Monaten noch sagte Wilson allerdings in einem Interview auf die Frage, ob er Freunde im Musikgeschäft habe: „Nein. Ich habe überhaupt keine Freunde.“ Auf die zentrale Frage des Albums „How could we still be singing after all those tears?“ hat Brian Wilson keine Antwort. Er muss einfach weitermachen – was auch sonst? Das wichtigere Album „Smile!“ erscheint im Herbst.

Brian Wilson, „Gettin’ In Over My Head“ (Rhino/Warner)

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