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Kultur: Die späten Kriegsheimkehrer

600 Bilder gingen der Alten Nationalgalerie verloren, nur 30 kamen zurück. Eine Ausstellung erzählt ihre Geschichte

Wie verschlungen die Wege der Wiederkehrer wirklich waren, wird kaum vollständig zu rekonstruieren sein. Jetzt hängen sie erst einmal friedlich vereint an der Wand: das heitere Familienbildnis des Malers Wilhelm Herbig (1824), die sommerliche Praterlandschaft von Ferdinand Georg Waldmüller (1830), der treu dreinblickende Hund mit Schimmel von James William Cole (um 1860/70) und das entzückende Bildnis eines jungen Mädchens von Adolph Menzel (1838). Die Gemälde sprechen nicht von ihrer Odyssee; sie bleiben Zeugen ihrer Zeit, des 19. Jahrhunderts, un doch hat sie das Schicksal des 20. Jahrhunderts zusammengeschweißt. Nun kehren sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts an ihren angestammten Platz auf der Museumsinsel in die Alte Nationalgalerie zurück – und erzählen wie einst von ihrer Epoche.

Die Ausstellung im Erdgeschoss des Stüler-Baus ist nicht sehr groß. Sie umfasst gerade einmal 18 Werke. Trotzdem besitzt sie Sprengkraft. Denn jedes Bild ist erst kürzlich zurückgekehrt, nachdem es jahrzehntelang als verschollen galt. Die Ausstellung feiert zwar das Glück der Rückkunft, zugleich erinnert sie an die immensen Verluste der Nationalgalerie durch Zerstörung, Raub und Nachkriegswirren. 800 Bilder gingen der Sammlung insgesamt verloren, allein 600 der Alten Nationalgalerie, was einem Drittel ihres Bestandes entspricht.

Die zahllosen Listen und Inventare, maschinengetippt und handgeschrieben, geben heute eine Ahnung davon, was seit 1941 in der Alten Nationalgalerie los gewesen sein muss, welches Hin und Her mit den Hunderten von Bildern begann, um sie vor Zerstörung zu retten. Seit 1939 war das Museum für das Publikum bereits geschlossen; zwei Jahre später begann die Auslagerung: erst in den Kellern der neu erbauten Reichsbank am Werderschen Markt, dann, mit Näherrücken der Kampfhandlungen, in den Flaktürmen Zoo und Friedrichshain und schließlich, gegen Kriegsende, außerhalb der Stadt in stillgelegten Salzbergwerken. Von dort gelangten die Bilder je nach Standort in die Hände der britischen, amerikanischen oder russischen Besatzungsmächte, die sie wiederum nach Zwischenlagerung in Wiesbaden, in Braunschweig oder in der Sowjetunion an die Sammlungen in BRD und DDR zurückgaben.

An jeder einzelnen Station konnten Bilder abhanden kommen. Die verrücktesten Geschichten spielten sich damals ab; etwa jene vom verletzten Soldaten, der nach eigener Erzählung statt im Lazarett im unbewachten Flakturm inmitten der Kunst aus der Narkose erwachte und unterm Patientenkittel zwei Bilder hinausschmuggeln konnte. Das eine gab er noch 1945 wieder zurück, das andere behielt er bis in die achtziger Jahre. Und doch entstand der Großteil der Verluste für die Alte Nationalgalerie durch Leihgaben an andere Museen und staatliche Behörden: über 500 Werke insgesamt. Die Reichskanzlei etwa nahm 1933/34 insgesamt 69 Werke aus dem Sammlungsbestand in Empfang. Hitler liebte vor allem Schinkel und Ahlborn und schmückte damit seine Wohnung. Wie durch ein Wunder kehrte von dort jüngst Ahlborns „Blick auf Florenz“ (1832) zurück: Der Dom, der Palazzo Pitti erstrahlen im gleißenden Sonnenlicht, im Vordergrund beugen sich zwei Zisterziensermönche im Schatten einer Eiche zum Gebet. Harmloser geht es nicht. Im Anschluss an die Kabinettausstellung „Verlust und Wiederkehr“ soll das Gemälde einen Platz im Schinkelsaal erhalten.

Bei 600 verlorenen Werken sind rund 30 Rückkehrer nur ein Anfang, das weiß auch Generaldirektor Michael Eissenhauer. Trotzdem macht er sich Hoffnung auf zügigen Zuwachs. Allein zwei Drittel der Werke kamen in den vergangenen zwanzig Jahren wieder an ihren angestammten Platz zurück. Die Wiedervereinigung der Nationalgalerien Ost und West nach dem Mauerfall bewirkte hierbei Wunder. Nun konnten die getrennt geführten Verlustlisten abgeglichen werden, nun war endlich bekannt, was wirklich verloren gegangen war.

Den wichtigsten Schub aber leistete die technische Vereinfachung der Recherche durch das Internet. Nur zwei Klicks – und jeder kann mit Hilfe des Art Loss Register in London und der auf Kriegsverluste spezialisierten Lost Art Database in Magdeburg selbst in Erfahrung bringen, was es mit dem Werk aus vermeintlichem Familienbesitz auf sich hat. Der Generationswechsel in den vergangenen Jahren, die Sichtung des Erbes, tut ein übriges, dass plötzlich Bilder in Privatbesitz neu in den Blick geraten und auf ihren Wert hin geprüft werden. Der Kunsthandel hat sich zunehmend darauf spezialisiert, die losen Enden zusammenzuknüpfen. Auch auf Auktionen werden Werke eindeutiger Provenienz heute nicht mehr versteigert, selbst wenn längst Verjährung gilt. Das verstieße gegen die guten Sitten, so mittlerweile das Empfinden.

Statt des Rückkaufs bieten die Staatlichen Museen einen „Finderlohn“, nicht mehr als zehn Prozent des Marktwertes. Schließlich habe das auf Umwegen in den Handel gelangte Werk ursprünglich der Nationalgalerie gehört und könnte nicht ein zweites Mal erworben werden, so die Hausjustiziarin. Die Sache ist also delikat, weshalb die „Finder“ und die Höhe ihres „Lohns“ ungenannt bleiben. Einzige Ausnahme: Harald Wohlthat aus Kiel. Der Nachfahr des Malers Wilhelm Herbig hatte das 1824 entstandene Familienbild mit der Frau des Künstlers und ihren sechs Kindern 1946 in London ersteigert. Bis Kriegsende hing das Gemälde noch als Leihgabe der Nationalgalerie in der Deutschen Botschaft in London und wurde dann als „Feindvermögen“ versteigert. Anfang der neunziger Jahre schenkte Wohlthat schließlich das Bild der Nationalgalerie, damit es wieder dorthin gelangt, woher es kommt.

Auf Nichtwissen kann sich also niemand mehr herausreden: Ein Blick auf die Rückseite der Bilder spricht Bände. Dort prangt meist ein Aufkleber des Museums oder ein Stempel mit Nummer der Sammlung Wagener, die den Grundstock der Nationalgalerie legte. So manche Kratzspur verrät, dass auch den Neubesitzern eines Gemäldes aus der Nationalgalerie die Angelegenheit mulmig wurde und sie die Spuren zu tilgen suchten. Wirklich glücklich dürften sie mit der schönen Kunst kaum werden, auch wenn ein Tatbestand nicht mehr gilt. An diesem Punkt wird die Justiziarin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bei aller Freude über die Heimkehr der verlorenen Bilder dann doch einmal streng. Jenseits der Malerei gibt es schließlich immer noch einen ethischen, moralischen und politischen Hintergrund.

Alte Nationalgalerie, Bodestr. 1, bis 6. 3.; Di.–So. 10–18, Do. 10–22 Uhr. Katalog 5 €.

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