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Kultur: Die Spur des Narren

Zum 70. Geburtstag des albanischen Weltschriftstellers Ismail Kadare

Von Caroline Fetscher

Zu den Geheimnissen des Schriftstellers Ismail Kadare gehört sein ununterbrochenes Beleben der Welt in einem umfassenden, nahezu animistischen Gestus. Ameisen oder Adler, Bauten oder Gebirge, Gesichter oder auch nur ein Schritt, eine Bewegung – in Kadares Kosmos findet jeder Gegenstand eigenen Charakter. Doch in diesem Gestus erschöpfen sich seine Sujets nicht, er liefert dem Erzählenden lediglich sein Material, ein Material zum Beschreiben dessen, was hinter den Dingen liegt und womit sie uns anspringen. Denn Kadare leuchtet in das Gespenstische der großen Organisationen wie Bürokratie, Armee, Nation hinein. Scharf beobachtet er die dunkle, primitive Psychologie von Machtverhältnissen und rachsüchtiger Logik, erfreut schwelgt er in Hellerem, in Liebe, Witz, Bilderreichtum, Subversion.

Geboren vor siebzig Jahren, 1936, im südalbanischen Gjirokastra nahe der griechischen Grenze, wuchs der Sohn eines Gerichtsboten in einem Haus „ohne Bücher“ auf, und kein Verwandter, Nachbar oder Lehrer hätte wohl vorausgesagt, dass aus ihm ein weltberühmter Autor und Intellektueller werden würde, dessen fragende Augen vom schwarzen Brillengestell umrandet sich in Moskau und Paris umsehen würden, und der fast Jahr für Jahr ein Buch schreiben würde.

Aus dem kommunistischen Albanien brachte ein Stipendium den Lyriker von Tirana in die Sowjetunion, 1964 gelang der Durchbruch mit „Der General der toten Armee“ – später verfilmt mit Marcello Mastroianni. Vierzig große und kleinere Romane hat der heute in Paris lebende Ismail Kadare bisher verfasst, einer der schönsten sicherlich die Kindheitsgeschichte „Chronik in Stein“. Im hermetischen Reich Enver Hodschas, das abgekapselt jede Idee von Freiheit fürchtete, gelang Kadare der Spagat zwischen Koexistenz und Dissidenz, der ihn vielen suspekt machte. Er verschiebt die Gegenwart in die Vergangenheit, etwa die osmanische oder den Zweiten Weltkrieg, er spielt mit den Zensoren. Kritik an der albanischen Diktatur kleidete Kadare in Bilder, die auch Grundschüler verstehen können, angesichts derer aber die Zensur ohnmächtig blieb, zumal Albanien sich lieber mit dem Weltruhm eines Autors schmückte, als ihn zu verfolgen.

Was hätten sie auch sagen sollen zu seinen Regentropfen in der „Chronik aus Stein“, die „just, da sie sich anschickten, vom Dach auf die Erde hinabzuhüpfen“, sich „unversehens in einem engen Rohr“ wiederfinden, „gemeinsam mit Tausenden und Abertausenden von Gefährten, die angstvoll fragten: ,Wohin sind wir da nur geraten, wo bringt man uns hin?’ Und plötzlich, ehe sie die wahnsinnige Fahrt im Rohr noch recht verkraftet hatten, stürzten sie in ein tiefes, finsteres unterirdisches Gefängnis, die große Zisterne unseres Hauses.“ So gerieten die Untertanen in die Falle, wo sie „sich traurig des weiten Himmels erinnern, den sie doch niemals wiedersehen sollten“.

In einer Hymne auf den Cervantes-Helden Don Quijote, den er sich als Leitstern auserkoren hatte, fasste Kadare einmal sein Verhältnis zur Literatur in einen Vergleich: „Trotz ihrer gewaltigen Tragweite“, schreibt er, „hinterließ die Reise des Kolumbus in der Weltliteratur keine wirklich nennenswerten Spuren. Die Wanderungen eines Narren durch ein paar spanische Dörfer, die, wenn sie überhaupt stattfand, niemandem etwas einbrachte, schenkte der Menschheit dagegen eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur.“ Sic, lässt sich nur anfügen.

Vergessen werden darf schließlich nicht, dass Ismail Kadare in deutschsprachigen Gefilden überhaupt nur existiert, weil es einen gibt, der die einzige, große, literarische Brücke zwischen dem Albanischen und dem Deutschen schlägt: sein Übersetzer Joachim Röhm. Der in Süddeutschland lebende Brückenbauer, einer von Kadares ehrlichsten Verteidigern und gründlichsten Kennern, verdient es, am Geburtstag des Schriftstellers ein bisschen mitgefeiert zu werden.

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