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Kultur: Die Straße als Set

Liebes Leben: Fotografien von Roswitha Hecke.

„Kunst ist die Perversion des Lebens“, steht in breiten Lettern auf einer Mauer. Vor der Mauer steht Irene, eine Zürcher Straßenprostituierte. Abschätzig wird sie von Passanten beäugt. Die Fotografin Roswitha Hecke begleitete Irene 1978 über Wochen mit der Kamera. Das Ergebnis ist das mehrfach ausgezeichnete Fotobuch „Liebes Leben“, dessen Originale in der Galerie Sassa Trülzsch zu sehen sind.

Hecke wiederum verfügt über das Talent, sich unsichtbar zu machen und eine Vertrautheit zu schaffen, die jede Kamera vergessen lässt. Ihr Set ist die Realität, ihre Fotos sind nicht arrangiert. Hier offenbart sich auch der Kunstcharakter der Aufnahmen: Hecke verfolgt keine Strategie, keine Arrangements für die Kunst. Sie fordert kein repräsentatives Ergebnis, sondern nutzt die Fotografie als Medium, um Individuelles auszudrücken. Irene bekommt protagonistische Züge, erzählt wird eine Geschichte über ihr Leben. Man sieht Irene mal im eleganten Abendkleid bei einem Diner, mal in freizügigen Dessous zwischen Plastiktüten auf der Straße, mal erschöpft und gedankenversunken und dann wieder liebevoll einem kleinen Jungen zugewandt.

Immer aber teilt sie mit ihrem öffentlichen Auftritt den anderen Personen auf den Bildern eine stereotype Rolle zu. Da sind spießige Passanten, lüsterne Herren und der besitzergreifende Freund. Irenes Rolle bildet einen spannenden Widerspruch: eine Frau, die ihre Schönheit und Freiheit auslebt, zu der man aufblicken kann, mit der man sich identifizieren möchte, doch auch eine Prostituierte. Ein Bild, das so nur durch den vertrauten und unvoreingenommenen Blick der Fotografin auf ihr Motiv entstehen kann. Friederike Höll

Galerie Sassa Trülzsch, Blumenthalstr. 8; bis 21. 6., Mi–Sa 11–18 Uhr

Friederike Höll

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