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Kultur: Die Südsee liegt gleich um die Ecke

GALERIE NORD & M: Exotisches Wechselspiel.

Trägt man eigentlich noch Arschgeweih? Wahrscheinlich klingt die Mode, sich am Steiß eine Tätowierung stechen zu lassen, auch in Moabit und Marzahn langsam wieder ab. Beliebte Motive waren sogenannte Tribals, abstrakte Schleifen und Schwünge. Ein klassischer Fall von Exotismus! Schließlich liegen die Ursprünge der permanenten Körperbemalung in der Südsee. Dort, genauer auf der Insel Tahiti, lebt der deutsche Künstler Andreas Dettloff seit fast 25 Jahren. Seine Biografie macht ihn zum geeigneten Protagonisten für die Gruppenausstellung „Exotika 2013“. Er treibt den Exotismus des Tribal-Tattoos auf die Spitze. Seine Röntgenaufnahmen von „Polynesian Dancers“ zeigen die Schemen rhythmisch verkrümmter Skelette. Jeder Wirbel der Wirbelsäule ist mit fremdartigen Ornamenten verziert, die jede Funktion verloren haben. Exotik bedeute, so Dettloff, sich der Andersartigkeit bewusst zu sein. Das Andere brauche auch in einer globalisierten Welt Respekt, vertrage aber auch Humor.

Die kommunalen Kunstvereine von Marzahn und Tiergarten, Galerie M und Galerie Nord, haben sich erstmals zusammengetan. Vielleicht auch, weil man um die Exotik zu suchen nicht unbedingt Kontinente überschreiten muss, sondern manchmal nur Bezirksgrenzen. „Das Besondere am Exotismus ist, dass er immer an einem anderen Ort verortet wird,“ sagt Ralf F. Hartmann, Leiter des Kunstvereins Tiergarten, „dass man ihn nicht in der Umgebung ausmacht, sondern in der Entfernung. Wenn die Exotik sich als fremde Kultur im eigenen Lebensumfeld etabliert, wird sie als störend empfunden", erklärt er auch im Hinblick auf seine Arbeit in einem multiethnisch geprägten Stadtteil. „Das kann zu entsprechenden Konflikten führen.“

Konflikte tragen die beteiligten Künstler auf der ästhetischen Ebene aus. Moritz R. aus Berlin baut etwa digitale Welten in der Anmutung von „Second Life“, einer vor wenigen Jahren noch exotisch neuen, mittlerweile längst wieder vergessenen Parallelwelt im Internet. Mit dem Fluchtreflex des Computer-Gamers kann man in seine paradiesischen Traumlandschaften mit Realitätszitaten eintauchen, die bei aller Vektorgeometrie doch als verheißungsvoller Ort für letztlich ungefährliche Abenteuer erscheinen.

Mu Yunbai arbeitet analog. In seinen Holzschnitten und Tuschzeichnungen verfolgt er die Veränderung der Stadt Lijiang im Südwesten Chinas, die zum Ziel für Millionen von Besuchern geworden ist. Die Exotisierung seiner Heimat durch die Tourismusindustrie erlebt er jeden Tag. Diese Erfahrung verdichtet er auf der Bildebene zu kafkaesken Szenerien. Wie Mu ist auch Na Yingyu Teil des Künstlerkollektivs Lijiang Studio. In seinem Film „Our Homeland, Gone Just Like That“ befasst er sich mit ethnischen Minderheiten in China und dem Verschwinden ihrer kulturellen Wahrnehmbarkeit.

Hartmann will mit der Ausstellung einen Kontrapunkt zum internationalen Kunstmarkt setzen: „Berlin hat großen Anteil an der Vermarktung einer exotisch aufgeladenen Kunst, die beispielsweise aus dem östlichen China kommt. Eigentlich sieht man aber eher westliche Formate, ob in der Malerei oder der Installation, die einen asiatischen Touch haben und sich trefflich in Europa vermarkten lassen. Aber was ist mit der Produktion, die nicht dieser Wunschvorstellung entspricht, sondern sich konträr zu unserer Wahrnehmung von Kunst verhält?“, fragt er. Die Kunstvereine arbeiten nicht kommerziell. Für die Künstler bieten sie die Möglichkeit, auf dem Trittbrett einer wie auch immer verstandenen Exotik mitzufahren und so auch Interesse von Sammlern oder Galeristen zu wecken. Marcus Woeller

Galerie Nord, Turmstr. 75, bis 12. 10.; Galerie M, Marzahner Promenade 46, bis 1. 11..

Marcus Woeller

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