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Kultur: Die süße Liebe der Matrosen

Zurück in die Fünfziger: Peter Zadeks „Bitterer Honig“ am St. Pauli Theater mit Eva Mattes und Julia Jentsch

Es war einmal ein Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen. 18 Jahre alt, schrieb es ein Theaterstück, nannte es „Der bittere Honig“ und schickte es Joan Littlewood, der Leiterin der Theatre Workshop Company in London East. Im Jahre 1958 übernahm Littlewood die Uraufführung des Stücks über die Lebenswirklichkeit der englischen Unterschicht. Es wurde umjubelt, mit Preisen überhäuft und 1961 von Tony Richardson verfilmt. „Der bittere Honig“ wurde Kult, die Autorin Shelagh Delaney weltberühmt.

Beinahe 50 Jahre später wird „Der bittere Honig“ erneut uraufgeführt. In einer verschollen geglaubten Ur-Fassung. Regie führt Peter Zadek, am Hamburger St. Pauli Theater. Es ist eine Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen, dem Theater Pfalzbau Ludwigshafen und dem Théâtre National du Luxembourg. Unter anderen Umständen könnte sich das kleine Privattheater die Zadek’sche Promibesetzung mit Eva Mattes, Uwe Bohm und Julia Jentsch gar nicht leisten. Und das St. Pauli Theater scheint ein guter Ort für dieses Stück: Nah am Hafen liegt es, inmitten von Rotlicht, Armut und Matrosen.

Altmodisch arm ist die Bühne (Karl Kneidl) ausgestattet: eine Couch, ein Teppich, im Hintergrund ein Vorhangfetzen. Eine Glühbirne baumelt von der Decke, seitlich steht ein ansteckendes Klo und lädt ein Klavier zur Begleitmusik (Charly Wesseler). Hierher sind sie gezogen, Mutter Helen und ihre beinah erwachsene Tochter Jo, Ergebnis eines Sexunfalls. In Regencapes stecken die beiden Frauen, in Koffern der gesamte Hausstand. Richtig lustig ist ihr Leben nicht.

Helen organisiert die dünnen Finanzen über wechselnde Männerbekanntschaften und spült gern mit Alkohol. Jo will ihr Leben ganz anders gestalten, weiß aber nicht wohin und wie. Die Besetzung ist grandios: Eva Mattes als eitle Alkoholikerin mit Rothaarperücke, Julia Jentsch als trotziger Teenie. Der Umgangston ist scharf. Aus dem Nichts entstehen Wortgefechte, die übergehen in Prügeleien.

Als ein gewisser Peter Smith (köstlich: Uwe Bohm) – mit Zigarre, Hut und Langstielrosen – österreichelnd um Helens Hand anhält, scheint ein Teil des Leids vorbei. Mit ausreichend Tremolo singen Helen und Peter einen „GoodbyeVienna“-Schmalzer, persiflieren Romantik und küssen sich fest. Ein rentables Heiratsversprechen ist gemacht.

Indes tritt Jo in die Fußstapfen ihrer Mutter. Hals über Kopf verliebt sie sich in den nächstbesten, schwarz gefärbten Matrosen (Ronald Zehrfeld). Ist glücklich, frei und frohgemut. Völlig unverstellt spielt Julia Jentsch die Halbwüchsige im Liebesglück. Spielt sie schüchtern und ungelenk, wollend und zögernd zugleich. „Er ist ein Matrose. Er ist herrlich!“, schwärmt sie als stolze Seemannsfrau.

Den ersten Teil des Abends erzählt Zadek mit ausreichend Humor und erstellt eine Milieustudie fern von Tränendrüse oder Mitgefühl, von Sozialkitsch oder bösem Realismus. Unterhaltsam und ironisch setzt er die Armut und Trostlosigkeit der Figuren in Szene, ohne sie zu denunzieren. Offensiv inszeniert er die abgewrackte Helen als selbstgefälliges Busenwunder, lässt zu Schnulzenmusik den Mond aufgehen und Uwe Bohms Peter als beinah-schneidigen Stepptänzer versagen.

Später jedoch machen sich Elend und Langeweile breit. Denn es kommt, wie es kommen muss: Jo wird die Weih- und gewissermaßen auch Entweihungsnacht mit ihrem Matrosen nie vergessen: Schwanger ist sie daraufhin und der Ahoi-Treueschwörer fern. Allein ist Jo mit der verhassten Schwangerschaft. Die Situation ist aussichtslos und die Regie offenbar am Ende der Ideen. Allein die Schauspieler waren groß. Drei Stunden lang hat Peter Zadek englische 50er-Jahre-Armut bemüht – warum, bleibt unklar.

Katrin Ullmann

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