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Kultur: Die Summe ihrer Teile

Stationen einer Wiederentdeckung: Kienzle & Gmeiner zeigt Werke von Anna Oppermann

Thomas Hirschhorn? Nein, zu persönlich sind die Texte auf den unzähligen kleinen und großen Zetteln. Jonathan Meese? Auch nicht, zu feinstofflich wirkte die Installation bei Art Agents aus Hamburg auf der letzten Art Cologne. Und doch schien das aus Text- und Bildelementen bestehende Sammelsurium – wie Meeses beste Installationen – direkt in den Kopf des Künstlers zu führen. Die so zeitgemäß wirkende Text-Raum-Installation „Portrait Herr S.“ entstand seit 1969 und die Künstlerin, von der es stammt, ist bereits mehr als zehn Jahre tot. Anna Oppermann, 1940 in Eutin geboren, studierte Kunst im Hamburg der sechziger Jahre, nahm 1977 an der Documenta 6 und 1987 an der Documenta 8 teil, stellte dazwischen auf der Biennale in Venedig aus und wurde 1990 Professorin für Freie Kunst an der Hochschule der Künste Berlin. Es gab eine Zeit, da zählte sie zu den wichtigsten Künstlerinnen Deutschlands. Trotzdem erinnerte sich zuletzt nur noch ein eher kleiner Kreis, darunter viele Künstler, an ihre Einzelausstellungen 1984 im Künstlerhaus Bethanien und in den Kunstvereinen von Hamburg und Bonn. Ihre permanenten Installationen in der Kunsthalle Hamburg und dem Sprengelmuseum sind nur noch wenigen präsent.

Es kann kein Zufall sein, dass die 1993 an Krebs gestorbene Künstlerin gerade jetzt wieder entdeckt wird: nicht nur dank der Galerie Art Agents, die ihren Nachlass verwaltet, sondern auch vom Württembergischen Kunstverein, der für Mai 2007 eine Retrospektive plant, und von der Berliner Galerie Kienzle & Gmeiner, die sie neu ins Programm nimmt.

Anna Oppermann nannte ihre prozessual, oft über Jahre hinweg entstehenden und sich bei jedem Aufbau verändernden Arbeiten Ensembles. Ausgehend von privaten Notizen, Zitaten, Fotografien, Fundstücken und Zeichnungen, die altarähnlich arrangiert werden, entwickelt die Künstlerin durch den Raum mäandernde dreidimensionale Collagen, die sich vom Einfachen zum Komplizierten verdichten. Spurensicherungen, die miteinander verwoben sind wie das Denken und psychische Prozesse selbst. Der Betrachter kann in die Gedankenwelt einsteigen, wo er will, den Assoziationsketten so weit folgen, wie er mag. Das Spektrum reicht von Anna Oppermanns Selbstverständnis als Frau und Künstlerin bis zu Themen wie Liebe, Wahrheit und Verehrung. 61 Ensembles entstanden seit den sechziger Jahren, wobei auch hier die Grenzen fließend sind und jeder Wiederaufbau einer Neuinterpretation gleichkommt. Heute kann er nur von engen Vertrauten der Künstlerin geleistet werden.

Die Galerie Kienzle & Gmeiner zeigt neben einer Auswahl an Bildern das zwischen 1979 bis 1987 entstandene Ensemble „Der ökonomische Aspekt“, das sich aus ihrer Arbeit für die Documenta 6 entwickelt hat (Preise auf Anfrage). Kritisch und ironisch setzt sie Zitate über Marktmechanismen zusammen, visualisiert die Problematik, als Künstlerin auch Geschäftsfrau zu sein und „das eigene Gesicht zu Markte zu tragen“. Die Grenze zwischen der eigentlichen künstlerischen Tätigkeit und deren Kommentierung verschwimmt. Auch die auf Leinwand gedruckten Fotografien, auf denen sie wiederum zeichnet und druckt, funktionieren als Spiegel im Spiegel. Wie bei Alice in Wonderland verschieben sich Größenverhältnisse, die vermeintlich sichere Perspektive des Betrachters wird aus den Angeln gehoben.

Vielleicht ist das einer der Aspekte, die diese Arbeiten so aktuell machen. Man hätte gern gesehen, wie es weitergegangen wäre mit dieser Ausnahmekünstlerin. Sie selbst sagte einmal, man solle „nicht Schlüsse ziehen aus dem, was ich dir mitteile, sondern aus dem, was ich weglasse“.

Galerie Kienzle & Gmeiner, Bleibtreustraße 54, bis 24. Februar; Dienstag bis Freitag 14 – 19 Uhr, Sonnabend 11 – 16 Uhr.

Katrin Wittneven

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