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Kultur: Die tote Stadt

Schlechter Trip: „Dealer“ von Benedek Fliegauf

Undeutliches, fernes Rauschen, als hätte man Druck auf den Ohren. Als wäre man tief unter der Wasseroberfläche. Es ist der Klangteppich, der in Benedek Fliegaufs Film „Dealer“ hineinzieht. Der junge ungarische Regisseur zeigt eine Gegenwelt, in der es kälter ist als auf dem Meeresgrund. Nekropolis heißt die fiktive Stadt, die so tot ist, dass sie alle Geräusche schluckt. Hier ist niemand zu Hause.

In dieser Unterwelt leben nur GefühlsVerschüttete. Bleichgesichtige, chronisch Übernächtigte, eine Gesellschaft von Zombies. Verbunden sind sie einzig durch den Dealer (Felician Keresztes). Er kennt sie, versorgt sie mit Drogen. Auf dem Fahrrad durchquert er die Trabantenstadt, langsam folgt ihm die Kamera auf seiner endlosen Reise durch immergleiche Straßen.

Die Wohnungen sind ordentlich, sauber, fast steril. Etwa bei Wanda (Aniko Szigeti), der Exfreundin des Dealers. Durch den kühlen bläulichen Filter sind Blümchentapeten zu erkennen. Doch Wanda erfriert in dieser Kitschdekoration. Geht an ihrer Sucht zugrunde. Versuche, zärtlich zu sein, scheitern. Was ein Streicheln sein soll, verkommt zum grobmotorischen Wangentätscheln. Wer hier Wärme oder gar Liebe will, muss sich selbst umarmen.

Der Dealer ist Beobachter und Teil einer Gesellschaft von Verlorenen. Große Lügen kommen in kleinen Sätzen daher. „Es geht mir gut“, sagt Wanda. „Schau dich doch an!“, erwidert er und sieht sie mit kalten Augen an. Doch dieser Blick fällt in seiner ganzen Härte auf ihn selbst zurück. Immer wieder sieht man seine Züge ganz nah. Und nach jeder Station, nach jedem Besuch wirken sie verbitterter, enttäuschter, hilfloser.

In dichten Bildern, ganz langsam, inszeniert Fliegauf diesen Trip ohne Fluchtchancen. Ein Stillleben, das nicht die Vergänglichkeit zeigt, sondern nur längst Vergangenes. Möglichkeiten waren vielleicht einmal. „Verreise doch“, sagt die Freundin Barbara. Doch es klingt wie eine Unmöglichkeit. Alle Figuren sind aus der Zeit gefallen. Haben wir uns ein Jahr nicht mehr gesehen – oder eine Woche? Der Vater des Dealers weiß es nicht. Er ist verrückt geworden. Ein Narr. Aber der Einzige, der noch weinen kann.

Hauptakteur jedoch ist diese wunschlose Stadt, Nekropolis. Die Zivilisationswüste dominiert. U-Bahn-Stationen, Krankenhausgänge, kaltes Neonlicht. Das Chaos in den Köpfen hat sich auf die Stadt übertragen. Innenwelt und Außenwelt sind eins. Straßenlaternen wirken wie Irrlichter. Niemandem scheint hier die Sonne. Treppenaufgänge sehen so aus, als könnte hinter ihnen nur das große Nichts warten. Das bleibt, wenn das Heroin raus ist, sagt Wanda. Wer das Kino verlässt, den fröstelt.

Nur im Eiszeit (OmU)

David Gels

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